Duisburg. Die Stadtverwaltung Duisburg wurde von einem ortskundigen Bürger zwei Tage vor der Katastrophe gewarnt: Die Zu- und Abwege seien zu klein für die erwarteten Menschenmassen. Die Stadt schaute weg, der warnende Bürger erhielt nicht einmal eine Antwort auf sein Schreiben.

Die Loveparade im Jahr 2010 war eine Herausforderung für die Stadtverwaltung Duisburg. Eine Herausforderung, der sie sich offenbar nur mit einer List stellen wollte, wie aus den Ermittlungsakten zur Katastrophe hervorgeht. Beamte der Stadt waren vorab über die Gefahren für Leib und Leben gewarnt, entschlossen sich aber, eher den Hinweis zu ignorieren, als die Veranstaltung abzusagen.

„. . . möchte ich nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken“

Die Warnung des Anwohners an die Stadt ging am 22. Juli ein, zwei Tage vor der Katastrophe. Das Schreiben war nicht lang, hatte es aber in sich. Frank L. warnte: „Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, wie da (auf dem Loveparade-Gelände, d. Red.) so viele Leute untergebracht werden sollen, ohne dass es zu Randale und Schlimmeren kommt.

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Zur Weiterleitung an die Verantwortlichen: Wenn hier nicht noch die A59 aufgemacht wird und mehrere Zu- und Abgänge geschaffen werden, möchte ich nicht in der Haut der Verantwortlichen, der Polizei und der Sanitäter stecken.“ Als Vergleich nannte Frank L. das „Taubertal Open Air-Festival“. Da kämen bis zu 40.000 Menschen hin, „was dann ausverkauft bedeutet.“ In Taubertal sei das Gelände in etwa so groß, wie der alte Güterbahnhof in Duisburg – das Gelände der Loveparade. Zur Party werden aber über 500.000 Menschen erwartet.

Frank L. hatte den entscheidenden Punkt angesprochen, den später auch Professor Keith Still in seinem Gutachten zum Desaster kritisierte. Die Zu- und Abläufe zum Gelände waren zu klein, um die erwarteten Massen aufzunehmen zu können. Die Loveparade hätte niemals genehmigt werden dürfen.

Anfrage wird nicht einmal beantwortet

Umso erstaunlicher die Reaktion der Stadt: Eine Sachbearbeiterin leitet die Warnung schriftlich an die zuständigen Mitarbeiter im Bauamt weiter. Ihre Bitte: „Herr L. macht sich große Sorgen über die Größe des Geländes, auf dem die Loveparade stattfindet. Vielleicht können Sie den Herrn mit ein paar Worten beruhigen.“

Das Bauamt entscheidet von oben, wie weiter verfahren wird: „In Absprache mit Frau G. wird die Anfrage nicht beantwortet.“

Anstatt der Warnung eines Ortskundigen nachzugehen und die eigene Arbeit zu hinterfragen, grenzte die Stadtverwaltung den Bürger auf Anweisung von oben aus. Für das Strafverfahren gegen die Mitarbeiter des Bauamtes kann dieses Verhalten erhebliche Folgen haben. Sie hätten wissen können, dass es gefährlich wird. Dass sie den Hinweis ignoriert haben, kann strafbare Fahrlässigkeit bedeuten.

Kontrolleure schauten vor der Loveparade bewusst weg

Eventuell lässt sich ein Grund für die Ignoranz der Stadt in den Akten finden. Immer wieder berichten die Beamten von Druck von oben. In einem Vermerk heißt es etwa, der Rechtsdezernent der Stadt, Wolfgang Rabe, habe sich im Namen der Loveparade-Macher über „unkooperatives“ Verhalten des Bauamtes beschwert.

Einen Tag bevor die Warnung des Bürgers einlief, hatten sich die Verantwortlichen der Bauaufsicht zudem einen Trick ausgedacht, um die Loveparade zu ermöglichen. Die Amtsleiterin der Bauaufsicht fasste den Trick in einer E-Mail zusammen: Nach Absprache mit dem „Chef“, schlage dieser vor, im Rahmen der Baugenehmigung Sicherheitsauflagen zu erlassen – diese Auflagen jedoch nicht zu kontrollieren.

Die Amtsleiterin schreibt: „Vor Ort bei der Begehung können wir das nicht überprüfen, also uns bitte schriftlich geben. Und dann kommt es eben am Samstag oder Montag....“. Das Bauamt würde so erst offiziell nach der Loveparade erfahren, dass die Auflagen nicht eingehalten worden seien.

Amtsleiterin schrieb:„Dies hier NICHT in die Akte“

Loveparade Jamiri

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    Die Beamten wussten demnach, dass die Sicherheitsanforderungen womöglich nicht erfüllt wurden, und steckten dennoch den Kopf in den Sand. Dass den Beamten selbst nicht wohl bei der Sache war, zeigt folgende Email der Amtsleiterin, in der sie den Wegschau-Trick erklärt: „Dies hier NICHT in die Akte ! ! !“ (Hervorhebungen im Original)

    Nach der Katastrophe versucht der oberste Chef der Bauaufsicht, der Beigeordnete Jürgen Dressler, den Tisch im Bauamt rein zu halten. Es gebe keine Hinweise „auf Unrechtmäßigkeiten“, schreibt er in einer E-Mail. Er bittet seine Mitarbeiter um „größte Zurückhaltung gegenüber Öffentlichkeit“. Er mahnt, zu schweigen, da die Beamten „natürlicherweise keinerlei sachgerechte Antworten geben können und dürfen.“

    Die Warnung des Bürgers wird nicht thematisiert.