Duisburg. Beim Bürgerentscheid am 12. Februar 2012 ging es allein um die Zukunft von OB Adolf Sauerland. Dennoch waren an seine Abwahl Erwartungen verknüpft: Transparenter, bürgernäher sollte die Zukunft in Duisburg werden. Die Parteipolitik, so scheint es, hinkt diesen Erwartungen noch hinterher.
Vor einem Jahr setzte Duisburg ein Zeichen. Ganz Deutschland sprach darüber, wie die Duisburger ihren Oberbürgermeister aus dem Amt jagten. Die Abwahl schaffte es an diesem Abend zur Top-Nachricht in der Tagesschau. Drei der 15 Minuten widmete der Sender dem Thema, knapp sieben Millionen sahen zu, auch wie Adolf Sauerland bis zum Schluss jegliche Verantwortung von sich wies. „Wenn man in seinem Bereich keinen Fehler begangen hat, welche Verantwortung muss man dann übernehmen?“, fragte er in die Kamera. „Man muss Verantwortung dann übernehmen, wenn man für so ein Unglück verantwortlich ist. Und das ist zur Zeit keiner in der Stadt Duisburg“.
Diese Worte sind Sinnbild für seinen Umgang mit der Katastrophe und seine Haltung, die ausschlaggebend war, dass die Abwahl ein solch eindeutiges Votum nach sich zog, das sich nicht einmal die kühnsten Rechner unter Sauerlands Kritikern ausgemalt hatten.
Symbol der Katastrophe
In Jubel und Freudenschreien gingen die Worte von Stadtdirektor Peter Greulich unter, als er um 19.37 Uhr das Ergebnis verkündete: 129.833 Wahlberechtigte stimmten für Sauerlands Abwahl, das sind 35,5 Prozent, gereicht hätten 25 Prozent oder gut 90.000 Stimmen.
Duisburg, so empfanden es an diesem Abend viele, „befreite“ sich damit selbst von seinem Stadtoberhaupt, das sich einem freiwilligen Rücktritt partout widersetzt hatte. Sauerland, seit 2004 im Amt, war als oberster Repräsentant schon lange nicht mehr als das Gesicht der Stadt tragbar, er war zum Symbol der Katastrophe geworden.
Die unsägliche Pressekonferenz, seine Uneinsichtigkeit, sein Kleben am Stuhl, die fehlende, dann viel zu späte und deshalb unglaubwürdige Entschuldigung, all das hatte die Situation verschlimmert, bis der Frust der Bürger über dieses kümmerliche Wirken und über den Stillstand in der Stadt sich schließlich bei der Abwahl entladen hatte.
Einen Schlussstrich ziehen
Das war der geschichtsträchtige 12. Februar 2012, der Tag der Abwahl. Man könnte jetzt einen Schlussstrich ziehen. Doch diese Abwahl war von Beginn an mit einem Schlagwort verknüpft, unter dem die Bürgerinitiative bereits die Unterschriften gesammelt hatte: „Neuanfang“.
Anders, besser, transparenter, bürgernäher sollte die Zukunft in Duisburg werden, kein Größenwahn, keine waghalsigen Leuchtturmprojekte, keine Grabenkämpfe in der politischen Auseinandersetzung, sondern eine Politik im Sinne und zum Wohl des Bürgers. Doch schon das hehre Ziel, sich im breiten Konsens auf einen überparteilichen Kandidaten zu einigen, der bestenfalls all diese Ideale verkörpert, schlug fehl.
Am Ende war der Wahlzettel so lang wie nie zuvor, 13 Bewerber konkurrierten um den Chefsessel im Rathaus. Dass in einer traditionellen SPD-Hochburg der SPD-Kandidat gewinnt, war am Ende dann weniger überraschend.
Sören Link musste sein Amt mit dem Vorwurf antreten, ein „Partei-Apparatschik“ zu sein, ein junger, ein unerfahrener dazu.
Neuanfang ist nicht personalisierbar
Dem setzt er den Anspruch entgegen, ein „Oberbürgermeister für alle Duisburger“ sein zu wollen. Und einen „neuen Stil“ hat er mit seinem „guten Plan“ versprochen. Ein politisches Klima, dass Bürger „mitnimmt und beteiligt“, mit „echter Bürgerbeteiligung“. Hält er sein Wort?
Wichtig war: Sören Link hat das Verhältnis zwischen der Stadt und den Hinterbliebenen und Verletzten der Loveparade-Katastrophe entspannt. Er hat am zweiten Jahrestag die richtigen Worte gefunden, als Zeichen die 21 Magnolien auf die Bahnhofsplatte gestellt, sich um den Konsens bei der Gedenkstätte bemüht. Diese Schritte wären ohne die Abwahl undenkbar gewesen. Link hält sein „Plan“ im Blick, drei der sechs Versprechen, an denen er sich innerhalb seiner sechsjährigen Amtszeit messen lassen will, hat er erfüllt.
Zudem schreibt sich die Stadt die Bürgerbeteiligung groß auf die Fahnen, sei es beim Haushalt, bei der Bahnhofsplatte, beim Bürgerdialog des OB in den Bezirken, oder weiterhin beim Stadtentwicklungsprojekt 2027. Ob Link die Bürger nur reden lässt oder ihre Forderungen auch berücksichtigt, muss sich zeigen. Ein Neuanfang jedenfalls lässt sich nicht nur auf den Oberbürgermeister personalisieren. Er mag der Tonangeber sein, die Musik aber spielt das gesamte Orchester. Die Parteienpolitik, so scheint es, hat sich bislang kein neues Notenheft zugelegt.
Blick auf dringende Themen
Dennoch: Die Stadt hat einen Neuanfang gemacht, es ist ein Prozess, der vor exakt einem Jahr begonnen hat. Duisburg steht nicht mehr nur unter dieser dunklen Wolke der Katastrophe, der Blick richtet sich längst wieder auf andere, dringende Themen, freilich nicht nur auf erfreuliche. Immerhin lässt sich darauf jetzt die Kraft und Energie lenken, die zuvor in der ewigen Diskussion um Starre und Spaltung versandet war.