Duisburg. An diesem Sonntag wählt die zerrissene Stadt Duisburg ihren neuen Oberbürgermeister. Ein Versöhner wird gebraucht, doch schon der Blick auf die dreizehn Kandidaten zeigt: die Parteien und die Bürger sind sich uneins wie nie, wer nach dem abgewählten Adolf Sauerland an die Spitze der Stadt rücken soll.
Auf den Plakaten, die überall in der Stadt hängen, sieht er aus, als habe er in den letzten zehn Jahren nichts anderes gemacht. Politik eben. Smart lächelnd, sich anbietend wie ein Profi. Dabei ist Michael Rubinstein alles andere als das. Geschäftsführer einer jüdischen Gemeinde ist er und erst seit acht Jahren im Ruhrgebiet. Die Katastrophe der Loveparade, der Aufstand der Bürger gegen Oberbürgermeister Adolf Sauerland haben Leute wie ihn in die Politik gespült. Rubinstein will Oberbürgermeister von Duisburg werden, ist am Sonntag einer von 13 Bewerbern.
Es hat etwas Rührendes, wie der 40-Jährige an diesem regnerischen Vormittag mit einem zum Politstand umgebauten Kinder-Bollerwagen über den Wochenmarkt von Alt-Hamborn zieht. Blaue Windjacke, Jeans und Sportschuhe, bewegt er sich inmitten der Marktstände, um den Vorbeigehenden Postkarten von sich in die Hand zu drücken. Er spricht an, wird angesprochen. Viele kennen ihn nicht. Aber sie lassen sich von ihm gern in ein Gespräch verwickeln. „Parteilos sind Sie? Das könnte ein Vorteil sein!“, sagt ein Mann und schiebt den Buggy mit Enkel weiter.
„Hartes Brot ist das!“, sagt Rubinstein. Nachdem im Frühjahr Adolf Sauerland (CDU) in einem imposanten bürgerlichen Kraftakt abgewählt worden war und sich die etablierten Parteien wie die Bürgerinitiative Neuanfang für Duisburg nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten, da war er plötzlich da. Rubinstein fand, dass es nun tatsächlich Zeit für einen Neuanfang sei und die Stadt einen wie ihn brauche. Einen Unabhängigen.
Er hat etwas gezögert, erhielt dann jedoch Unterstützung von FDP und Piraten-Partei. Seinen Wahlkampf finanziert der Diplom-Medienwirt im wesentlichen selbst mit einem Bank-Darlehen.
Inzwischen ist es Nachmittag, und nicht weit entfernt vom Alt-Hamborner Markt, in einer städtischen Begegnungsstätte in Marxloh, sitzt SPD-Kandidat Sören Link Bingo spielend inmitten von etwa 30 älteren Damen, die allesamt seine Großmütter sein könnten. Ein klassischer Wahlkampftermin. Klinkenputzen dort, wo man die eigene Klientel pflegen muss, pflegen will. Die Damen sind überwiegend Arbeiter-Witwen und der Sozialdemokratie zugetan. So jung Link auch ist, 35 Jahre eben, ist ihm die Szenerie nicht fremd. Drei-, viermal war er schon hier, als Landtags-Abgeordneter, der er bis zum 14. März war. Er ist Duisburger, ging mit 16 in die Partei, hat aufgesogen, was da opportun ist.
Die Gräben in der Stadt zuschütten
Link, der als Verwaltungsfachwirt bei der Bezirksregierung Düsseldorf arbeitete, bevor er 2005 in den Landtag gewählt wurde, gilt als aussichtsreichster Kandidat. Ihm traut mancher gar zu, es ohne Stichwahl in das Amt zu schaffen. Doch das erscheint eher unwahrscheinlich.
Realität ist aber auch, dass Stadt und Verwaltung durch die lähmende Nach-Loveparade-Zeit mit einem ignorant am Sessel klebenden Sauerland zerrüttet sind. Sauerlands Partei geht mit dem 69-jährigen Benno Lensdorf ins Rennen. Lensdorf ist erfahrener Lokalpolitiker, seit 2004 Erster Bürgermeister. Es heißt aber, er habe die Kandidatur übernommen, weil sich in der CDU kein anderer fand.
Drei Kandidaten von dreizehn. Unter ihnen sind neben der Kandidatin der Grünen, der Gleichstellungsbeauftragten Ingrid Fitzek, vor allem Individualisten wie Rolf Karling, der OB Sauerland bei einem Auftritt für dessen Umgang mit der Loveparade-Katastrophe mit einer Ladung Ketchup abstrafte oder Richard Wittsiepe, der zuvor als Sprecher der Bürgerinitiative Neuanfang für Duisburg agierte.
„Bingo!“ ruft Sören Link in der Begegnungsstätte und zeigt stolz sein Kärtchen mit den Zahlen. Am 13. März hat Link seine Kandidatur erklärt, am Tag danach ist die rot-grüne Landesregierung am Ende, der Landtag aufgelöst. Sören Link ist geschockt, entscheidet sich aber schnell, nicht „den Röttgen zu machen“. Verzichtet auf eine erneute Kandidatur für den Landtag, setzt ganz auf Duisburg.
„Die Gräben in der Stadt zuschütten, diese Aufgabe hat jeder, der in Duisburg OB wird“, sagt Link und spricht über Haushaltssanierung, über Investoren, die gewonnen werden müssen und über eines seiner Lieblingsthemen, die Bildungspolitik. Viel Spiel ist da nicht in einer Stadt, auf der 2,2 Milliarden Euro Schulden lasten, in der 12,9 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Egal, ob Duisburgs nächstes Stadtoberhaupt Link, Lensdorf oder Rubinstein heißt.