Duisburg. . Die WAZ suchte den südlichsten Zipfel der Stadt auf – und fand dort eine Familie, die seit 40 Jahren ein Ausflugslokal betreibt. Bis dorthin galt es aber einen langen Fußmarsch zu absolvieren.

Heute auf den Tag genau vor 100 Jahren erreichte der Norweger Roald Amundsen als erster Mensch den Südpol. Die WAZ ließ sich von dieser Expedition inspirieren und machte sich zu Fuß auf den Weg, um von der Redaktion am Hauptbahnhof den südlichsten Punkt der Stadt aufzusuchen. Ein Reisebericht.

11.30 Uhr. Abmarsch am Harry-Epstein-Platz in der Innenstadt. Der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Glücklicherweise hat der Regen aufgehört. Das Ziel: Serm. Laut Landkarte findet sich dort der südlichste Zipfel der Stadt. Die Vorfreude in Herz und Hirn paart sich mit Wanderlust. Erste Schritte führen zur Mercatorstraße. Die Ausrüstung? Besteht zum Glück nicht aus schwerem Gepäck, Hundeschlitten oder Skiern. Sondern nur aus einem Block, drei Stiften und zwei hoffentlich bequemen Schuhen.

11.40 Uhr. Abbiegen auf die Düsseldorfer Straße. Für die nächsten Kilometer wird sie die Asphalt-Leitschnur gen Süden sein. Die U 79 in Richtung Düsseldorf rauscht vorbei. Wird aber ignoriert. Polarforscher kennen keinen ÖPNV.

12.02 Uhr. Der Weg führt an Hochfeld vorbei. Die auf Stelzen stehende Brücke der A 59 erreicht hier beinahe die Höhe eines Eisbergs. Der würde aber schmelzen, so warm ist es. Schal und Kapuze finden keine Verwendung mehr.

1500-km-Tour

Am 20. Oktober 1911 brach Roald Amundsen mit seiner Gruppe von der Küste der Antarktis auf. Nach einer Strecke von 1500 Kilometern durch das ewige Eis erreichten er und seine Männer am 14. Dezember 1911 den Südpol. Auch Duisburg hat einen südlichsten Punkt. Seine geograhphischen Koordinaten (ETRS): R = 6°42’53“, H = 51°19’59“. Er liegt mitten im Rhein.

12.05 Uhr. „Schnee“ taucht auf – in Fenstern am Rande der Düsseldorfer Straße. Allerdings ist der aus Watte. Die Nachbarn dort setzen alle auf Weihnachts-Winterlandschaften als Dekoration. Kurz darauf scheint auch „Eis“ in Sicht zu sein. Doch Volmer’s Eiscafé auf der Fischerstraße in Wanheimerort ist seit Sonntag in den Betriebsferien. Ewiges Eis gibt’s wirklich nur am Südpol.

12.40 Uhr. Nach einer kurzen Rast in Brunis Stehcafé geht’s weiter. Vorbei am Waldfriedhof zur Linken. Von hier aus geht’s über die Düsseldorfer Landstraße durch Buchholz weiter nach Süden. Pinguine tauchen am Horizont auf. Sind aber alles Pappkameraden – im Schaufenster einer Apotheke. In Höhe der Feuerwache 7 lugt die Sonne hinter den Wolken hervor. Das spornt an. Tempoforcierung.

13.15 Uhr. Einige Kleingärtner der KGV Sittardsberg diskutieren am Vereinsgelände. Erstmals die Schnürriemen festgezurrt am Huckinger Markt. Ein Thermometer zeigt plus sechs Grad an. Am echten Pol sind’s manchmal minus 60. Unfassbar. Vorbei am Landhaus Milser. Statt Gletscherspalten wird hier nur der Angerbach überquert. Erstmals richtig im Grünen! Nach nicht enden wollender Bebauung am Wegesrand ist das Auge fast irritiert, einmal wieder in die Weite blicken zu können.

13.55 Uhr. In Höhe des „Apfelparadieses“ erstmals an der Stadtgrenze nach Düsseldorf gekratzt. Kurz zuvor führt der Roßpfad aber nach rechts ab. Es ist ein Wald- und Feldweg. Für die Füße ist dies eine willkommene Abwechslung zum bisherigen Asphalt-Dauerlauf.

14.25 Uhr. Der Weg über die Felder zieht sich. Das Ziel naht dennoch. Es trägt den Namen Am Hasselberg. Ein Sträßchen, das Duisburg von Düsseldorf-Wittlaer trennt. Da ist es auch schon.

14.37 Uhr. Angekommen! Knapp 16 Kilometer in drei Stunden und sieben Minuten. Mit Schweiß auf der Stirn statt Frostbeulen am Fuß. Im Haus mit der Nummer 290 wohnen die Schwenkes. Südlicher lebt niemand in Duisburg. Zum ultimativen Südpunkt sind es noch ein paar Meter, doch die sind trockenen Fußes nicht zu meistern: Der lokale „Südpol“ liegt mitten im Rhein. Also endet die Expedition am Ufer des Deiches. Hier rammen wir die WAZ-Flagge symbolisch in den Boden. Zeit für ein Gespräch mit dem Hausherrn.

14.40 Uhr. Karl-Heinz Schwenke erzählt: „Meine Familie betreibt hier seit 40 Jahren ein Ausflugslokal, 25 davon bin ich in der Verantwortung.“ Es heißt: „Zum Aschlöchsken“. Das hat nichts mit dem Schimpfwort zu tun, sondern mit einem längst verschwundenen Ascheloch. Darin entleerten einst die Rhein-Kohleschiffer ihre Verbrennungs-Überreste. Heute stärken sich hier Radfahrer, Spaziergänger und Ausflügler mit Getränken und Snacks. Im Sommer sind die Plastikstühle mit Blick aufs Wasser belegt. Selbst jetzt im Winter haben die Schwenkes – auch Ehefrau Christel und die Kinder Markus und Nadine helfen mit – zu tun. Ihrer geographischen Ausnahme-Position ist sich die Familie sehr wohl bewusst. Die Lage ist auch dafür verantwortlich, dass die Post täglich von einem Düsseldorfer Boten gebracht wird. Ein Duisburger Autokennzeichen und eine 0203-Telefonvorwahl haben die Schwenkes aber. So ist das hier unten, im tiefsten Süden.