Bottrop. Ein ganz normales Einfamilienhaus der 60er Jahre in Bottrop wurde mit allen Tricks moderner Technik zum Energiespar-Musterhaus umgebaut. Doch wie lebt es sich mit Automatik-Lüftung statt offenen Fenstern, bierkastendick isolierten Wänden und Lichtschaltern per Smartphone?

Heiz- und Stromkosten null Euro im Monat, Fingerabdruck statt Schlüssel zum Öffnen der Haustür und daneben eine Privat-Stromtankstelle für das Elektroauto: So lebt der Zahnarzt Christian Kewitsch mit Frau Beate und zwei Töchtern in seinem umgebauten "Zukunftshaus" in Bottrop. Der Energiekonzern RWE und 30 Bautechnik-Unternehmen haben aus dem 1960er-Jahre-Einfamilienhaus der Kewitschs ein Musterobjekt für Energieeinsparung gemacht. Seit der Einweihung Mitte Juli 2013 wohnt die Familie jetzt knapp ein Jahr darin.

Ausgerechnet in einer der letzten Steinkohlen-Bergbaustädte Deutschlands steht damit ein bundesweit beachtetes Vorzeigeprojekt für die Energiezukunft: ein Haus aus 50 Jahre altem Bestand mit um 90 Prozent verringertem Wärmebedarf, Photovoltaik auf dem Dach für die Stromerzeugung, Wärmepumpe für das Heizungswasser, Computer-Steuerung der Lampen und Rollläden - kurz: mit allem, was CO2 spart und Technik-Fans glücklich macht.

Für RWE ist das ein großes Thema. Seitdem die Kraftwerke in Energiewende-Zeiten kein richtiges Geld mehr erwirtschaften, setzen alle Versorger auf dezentrale Energieangebote - also Strom vom eigenen Dach, Wärme aus dem eigenen Keller, Blockheizkraftwerke. RWE liefere dann nicht mehr nur Kilowattstunden, sondern ein "warmes Haus", sagt der Geschäftsführer der zuständigen Gesellschaft RWE Effizienz, Norbert Verweyen. Der Konzern will bei Umbau, Finanzierung, Anlagenkauf und Stromeinspeisung beraten, vermitteln - und natürlich mitverdienen.

Bei so viel Dämmung ist ein Kamin nicht drin

Die Politik ist ebenfalls höchst interessiert. In NRW stammen mehr als sechs der acht Millionen Wohnungen aus der Zeit vor 1977, dem Jahr der ersten Wärmeschutzverordnung. Ihr Energiebedarf ist fünf- bis sechsmal so hoch wie bei heutigen Neubauten. Ohne moderne Dämmung und energiesparende Umbauten des Wohnungsbestandes wird das Erreichen der CO2-Einsparziele schwierig. Doch wie lebt es sich in dem Musterhaus?

Das Ehepaar Kewitsch erklärt, wie das Zukunfthaus funktioniert.
Das Ehepaar Kewitsch erklärt, wie das Zukunfthaus funktioniert. © dpa

Die über 30 Zentimeter dick gedämmte Wände verringern natürlich den Lichteinfall an den Fenstern. Die Fenster wirkten dennoch nicht "wie Schießscharten", es sei hell genug, sagen die Eheleute.

Die nahezu perfekte Dämmung und die Dreifach-Verglasung der Fenster zwang die Hausherrin aber, auf den von ihr geliebten Holzkamin zu verzichten: "Die Wärme zieht ja nicht mehr ab. Wir hätten uns totgeschwitzt." Und da es keinen "natürlichen Zug" in der Wohnung mehr gibt, sorgt ein modernes Lüftungssystem für den Luftaustausch. Die Fenster sollen nach Möglichkeit - vor allem im Winter - geschlossen bleiben. Vogelgezwitscher bleibt dann draußen.

Abstimmung der Heizungs- und Kühlungsanlage klappt noch nicht perfekt

Noch klappt die Abstimmung der komplexen Heizungs- und Kühlungsanlage nicht perfekt. "Derzeit ist es eher zu warm", sagen die Eheleute. Die Entwickler arbeiten aber weiter an der Steuerung.

Andererseits bläst die Lüftung unangenehme Gerüche ruckzuck weg. Sogar ausgedehntes Pommes-frites-Braten lasse sich nach kurzer Zeit nicht mehr feststellen, sagt Christian Kewitsch. Beide Eheleute haben Spaß an der Technik mit computergesteuerten und elektrisch betriebenen Rollläden, Webcam für die Außenansicht und Brandmeldern, die notfalls per SMS den Hausherrn automatisch verständigen.

Sprudelwasser aus dem Wasserhahn.
Sprudelwasser aus dem Wasserhahn. © dpa

"Da ist vieles nette Spielerei", sagt Kewitsch, während er am Computer die Wohnzimmerlampe ein- und ausschaltet. Dass er nicht mehr 500 Euro im Monat für Heizung und Strom ausgeben muss, sondern sogar etwas mehr Energie erzeugt, als er verbraucht, ist aus seiner Sicht allerdings ein handfester Vorteil.

Runde 500 000 Euro hat der Umbau einschließlich der teuren Messtechnik für die Auswertung des Versuchshauses gekostet. Das ist natürlich kein Vorbild für die breite Anwendung. Es geht ja vor allem um die Demonstration technischer Möglichkeiten. Aber auch in Durchschnittshäusern ließen sich schon mit einer Hausautomatisierung für wenige hundert Euro rund 10 bis 15 Prozent der Energie einsparen, sagt eine RWE-Sprecherin. Und mit Dämmung und Austausch der Fenster seien bei überschaubarem Einsatz deutlich höhere Einsparungen drin. Das Geschäftsmodell der RWE-Gesellschaft zielt vor allem auf "niedrig investive Maßnahmen" zwischen 20 000 und 50 000 Euro.

Bei aller Modernisierung in seinem Heim hat Kewitsch sich auch einen eher traditionellen Männertraum erfüllt: Im Keller steht jetzt ein Bierfass, die Leitung geht hoch in die offene Küche. Dort gibt es jederzeit frisch gezapftes Pils. (dpa)