Bottrop. . Der Bottroper Bürger kann das Megaprojekt „Innovation City“ noch nicht richtig greifen. Das Projekt hat trotz zahlreicher Werbemaßnahmen ein Vermittlungsproblem. Dabei ist schon einiges zu sehen. Und vieles steht in den Startlöchern. Ein Überblick.
Am Zukunftshaus
„Innodingsda City ... was soll das denn werden? Das muss doch alles bezahlt werden! So eine Renovierung rechnet sich doch gar nicht.“ Täglich läuft Gerhard Barnick, 79 Jahre alt und 36 davon als Elektrohauer unter Tage, an dem ramponierten Kasten vorbei, der künftig zum „Zukunftshaus“ werden soll. Früher war eine Bäckerei drin, sagt Barnick, „da konnte man gut essen“. Heute erklärt ein Plakat im verklebten Schaufenster, dass dieses Geschäftshaus an der Bottroper Hansastraße nach der Sanierung mehr Energie produzieren als verbrauchen soll. Ein Leuchtturm für Innovation City.
Dabei hat Barnick nicht mal Unrecht: Wenn man solch einen runtergewirtschafteten Bau mit Geothermie, Solarzellen und Glasfaserröhren ausstattet, die das Tageslicht ins Innere leiten, darüber ein futuristischer Fassadenmantel nach Passivhaus-Standard – dann kann das nicht wirtschaftlich sein. Es sei denn, man berücksichtigt den Werbeeffekt. Private Partner – hier vor allem Bayer – wollen in dem Haus zeigen, was technisch möglich ist. Bald soll’s losgehen, dann wird das Haus zum Zukunftsschaufenster. Endlich.
Denn bislang ist Innovation City kaum greifbar für den Bürger. Da muss man gar nicht dem Kabarettisten Ludger „Dr.“ Stratmann folgen: „Der Bottroper versteht das nicht. Hätte man das ,Strom sparen in Bottrop’ genannt ...“ Richtig ist, dass Innovation City trotz aller Briefe, Hausbesuche und Infostände ein Vermittlungsproblem hat. Die meisten, die wir fragen, haben schon mal davon gehört, erklären können es nur wenige – die Zeitungsleser. Ein gebildet wirkender Bottroper in den Dreißigern fragt: „Sorry, war das auf Facebook?“
Und was hat Hauer Barnick eigentlich gegen Innodingsda? Er erinnert nicht nur modisch an Stratmanns Kollegen Herbert Knebel, als er antwortet: „Die Parkgebühren haben sie auch erhöht. Ich fahre jetzt zum Einkaufen nach Sterkrade. Kennen Sie das Sterkrader Tor?“
Auch interessant
Über den Solardächern
Nun ist Gerhard Barnick zwar ein sehr typischer Ruhrgebietsmensch, aber sicher schon länger nicht mehr mit dem neuen Wasserstoffbus zum Tetraeder gefahren. Sonst hätte er spätestens von der Halde aus bemerkt, dass Innovation City, diese sperrige Sammlung von 125 Projekten, längst das Bild seiner Stadt prägt. Blaugrau glänzt Bottrop von oben. So viele Solardächer! Das ist ungewöhnlich. Die Skihalle dort unten mit ihrem Vier-Millionen-Euro-Kraftdach ist zwar nicht direkt ein Innovation-City-Projekt, wird aber gerne einverleibt. Vielleicht muss man sich auch von diesen starren Kategorien trennen: Innovation City will ja vor allem das Klima wandeln, auf dass Private investieren in mehr Energieeffizienz. So hat die Stadt schon im Herbst 2011 einen Solaratlas erstellen lassen. Hausbesitzer konnten sich im Netz informieren und anschließend persönlich beraten lassen. Da unten tut sich was.
Bei den Beratern
Überhaupt die kostenlosen Beratungen. Sie sind das Kernstück von „Motivation City“, wie man das große Stadtummodeln auch nennen könnte. Über 1000 Eigentümer haben sie nun, nach gut zwei Jahren, in Anspruch genommen. Es war mühsame Arbeit, sie dazu zu bewegen. Sigrid Sahlberg und Christian Oppermann gehörten zu denen, die von Tür zu Tür gezogen sind. Man kann sich das vorstellen: Könnten ja Trickbetrüger sein.
„Aber besonders die kostenlosen Thermografien kamen gut an.“ Da hat der Bürger was in der Hand, rot auf grün. Nun ist die Warteliste lang, und die Gesellschaft hat ein Lotsensystem aufgebaut, das die Hausbesitzer bis hin zum Antrag für Fördergelder begleitet. Innovation-City-Chef Burkhard Drescher denkt bereits laut darüber nach, das neu entwickelte Beratungssystem „europaweit zu verkaufen“.
Auf dem Trapez
Im Frisiersalon Rösler weiß man: Visionen haben es an sich, dass erst mal nur die Visionäre sie sehen können. Das „Trapez“ vorm Schaufenster etwa war mal ein Vorzeigeplatz. Um 1978 rum. Heute wirkt die Anlage neben dem Zentralen Busbahnhof aus der Zeit gefallen, die Laufkundschaft läuft größtenteils woanders.
InnovationCity Ruhr
Aber die Stadt hat große Pläne. Für 1,3 Millionen schöner soll es werden, das Trapez, mit „ökologischem Boden“ statt Beton. Doch die Stadt ist ja nicht allmächtig, auch hier müssen die Hausbesitzer mitspielen. Friseurin Rösler kennt die meisten Bewohner und weiß: „Die Leute sind gespalten. Fifty-fifty.“ Und wenn’s zu gemütlich wird, lassen sich dann die trinkfesten „Herrschaften vom Berliner Platz“ hier nieder? So denken die Leute, Visionen haben sie schon lange nicht mehr verwirklicht gesehen. Rösler: „Die Hälfte glaubt’s erst, wenn’s soweit ist. Und wenn’s dann ein Jahr gepflegt wird.“