Bottrop-Kirchhellen. Die Aufregung ist groß an der Matthias-Claudius-Straße in Kirchhellen. Seit wenigen Tagen stehen dort „wie aus dem Nichts“ Halteverbote.

Es war ein friedlicher Freitagmorgen an der Matthias-Claudius-Straße, der stillen Wohnstraße neben der Kirchhellener Johannesschule. Bis die Anwohner aus ihren Fenstern einen Bautrupp anrollen sah. Die Männer luden Verkehrsschilder ab und stellten sie auf: Seither stehen die bisher dort geparkten Wagen im absoluten Halteverbot. Was soll denn das?, haben die Anwohner gefragt. Die Antwort kam mit einem Schulterzucken: Anordnung vom Straßenverkehrsamt.

Keiner hat mit uns geredet, und es gab auch keine Beschwerden.
Maria Kahnert, Anwohnerin

„Für uns kam die Aktion wie aus dem Nichts“, berichtet Anwohnerin Maria Kahnert. „Seit vielen Jahren schon ist auf der einen Fahrbahnseite Parkverbot. Das ist wegen der engen Straße und der Schule nebenan auch völlig in Ordnung. Aber die neuen Halteverbote sind völlig überzogen. Keiner hat vorher mit uns geredet, und es gab auch keine Beschwerden.“

Wohl aber die Anregung, mit einem Spiegel die Übersicht in der Einmündung zu verbessern. Das hat die Verwaltung dazu veranlasst, die sogenannten „Sichtdreiecke“ zu überprüfen, die Anwohner in einigen Bottroper Stadtteilen schon etliche Parkplätze gekostet haben.

Stadt Bottrop lässt „Sichtdreiecke“ überprüfen

2020 hat die Bottroper Verwaltungsspitze beschlossen: Die Stadt muss von sich aus dafür sorgen, dass Autofahrer an Kreuzungen und Einmündungen freie Sicht haben; sonst laufen wir Gefahr, bei schweren Unfällen in Mithaftung genommen zu werden. Und wenn parkende Autos die Sicht verstellen, dann müssen halt Parkverbote her. 5000 Kreuzungen und Einmündungen stehen auf einer Liste, die der Fachbereich Tiefbau seither abarbeitet.

Zum Halteverbot an der Matthias-Claudius-Straße sagt Stadtsprecher Andreas Pläsken auf WAZ-Anfrage: Anlass für die Prüfung der Sichtverhältnisse sei eine Bürgerbeschwerde gewesen. „Dabei kam heraus, dass an dem Verkehrsknoten auf der Matthias-Claudius-Straße die Sicht auf den übergeordneten Verkehr durch den ruhenden Verkehr und teilweise durch die Bepflanzung der privaten Grundstücke behindert wird.“

Hier sei das Ermessen seitens der Behörde auf null reduziert und ein Eingreifen zwingend notwendig, um nicht in Schadensfällen haftbar gemacht zu werden. „Um die Sicht aus dem Stichweg zu verbessern, mussten auf einer Strecke von etwa 40 Meter Halteverbotsschilder aufgestellt werden. Dadurch entfallen sieben bis acht Parkmöglichkeiten. Es gibt aber kein komplettes Halteverbot.“

Weitere Parkmöglichkeiten sind in unmittelbarer Nähe vorhanden.
Andreas Pläsken, Stadtsprecher

Und wo sollen die Anwohner hin mit den Autos? Sie in die Vorgärten stellen? Antwort des Stadtsprechers: „Fakt ist, dass zahlreiche Parkmöglichkeiten auf Privatgrundstücken vorhanden sind. Fraglich ist, ob diese alle zum Einstellen von Kfz auch genutzt werden. Dieses Problem gibt es an vielen Stellen Bottrops, wo Garagen als Kellerersatz etc. genutzt werden. Weitere Parkmöglichkeiten sind in unmittelbarer Nähe vorhanden.“

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Mit dieser Antwort werden sich die Anwohner bestimmt nicht zufriedengeben, sagt Maria Kahnert. Sie wollen sich beim Straßenverkehrsamt beschweren und die Bezirkspolitiker einschalten. Die Stadt hat schon mal in Sachen Sichtdreiecke zurückrudern müssen, etwa an der Tannenstraße. Und: Den Ansatz für einen Kompromiss liefert der erste große Streit um die Sichtdreiecke am Köllnischen Wald.

Hier hat ein Tempolimit Parkplätze gerettet: An der Ecke Lindhorst-/Görkenstraße wurde ab September 2020 eine Debatte um Sichtdreiecke geführt.
Hier hat ein Tempolimit Parkplätze gerettet: An der Ecke Lindhorst-/Görkenstraße wurde ab September 2020 eine Debatte um Sichtdreiecke geführt. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Anwohner hatten sich dort beschwert, sie hätten zu wenig Sicht beim Einbiegen von der Görken- in die Lindhorststraße. Ergebnis: Die Stadt richtete ein Halteverbot ein. Folge: Andere Anwohner beschwerten sich über den Wegfall von Parkplätzen. Kompromiss, grob ins Unreine gesprochen: Je geringer das Tempo ist, desto kleiner fällt das vorgeschriebene Sichtdreieck aus (siehe Grafik). Einige Parkplätze wurden gerettet, weil an der Lindhorststraße jetzt Tempo 40 gilt, offiziell aus Lärmschutzgründen.

Je langsamer die Autos fahren, desto schmaler wird das Sichtdreieck.
Je langsamer die Autos fahren, desto schmaler wird das Sichtdreieck. © WAZ Bottrop | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Könnte das eine Blaupause sein für die Kirchhellener Gartenstraße, die allerdings schon Tempo-30-Zone ist? Nein, sagt Andreas Pläsken: „Eine Temporeduzierung kommt in dem Bereich nicht in Frage, da es dafür keine rechtliche Begründung gibt.“

Hm. Die Anwohner der Matthias-Claudius-Straße haben es nicht weit zur Brentanostraße auf der anderen Seite der Johannesschule. Die ist Spielstraße. Vorgeschrieben ist Schritttempo. Das macht die Schenkel der Sichtdreiecke kurz.