Bottrop. Die Stadt fürchtet, bei Unfällen in Haftung genommen zu werden, wenn die Sicht an Kreuzungen eingeschränkt ist. Das will sie nun tun.

Die Verwaltung – genauer der Fachbereich Tiefbau – wird in den kommenden Jahren alle Kreuzungen im Stadtgebiet in Augenschein nehmen. Es wird überprüft, ob in den Einmündungsbereichen die Sichtfelder frei sind. Können Autofahrer, die abbiegen wollen, den Verkehr auf der Querstraße genau beobachten? Oder wird die Sicht durch Bäume, Sträucher, Hecken oder parkende Autos versperrt?

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© funkegrafik nrw | Selina Sielaff

Damit Autofahrer gefahrlos aus untergeordneten Straßen auf Hauptstraßen einbiegen können, muss die Stadt im Zweifel aktiv werden und so genannte Sichtdreiecke schaffen, indem wucherndes Grün beschnitten oder auch das Parken in den Bereichen verboten wird. Das geht aus einer Vorlage der Verwaltung für die Bezirksvertretungen und den Bau- und Verkehrsausschuss hervor. Darin informiert sie die politischen Gremien über das Vorgehen, ein Mitspracherecht haben die Politiker hier jedoch nicht.

Im Umfeld der Lindhorststraße in Bottrop haben sich Anwohner beschwert

Konkrete Auswirkungen zeigen sich schon an der Lindhorststraße. Dort hatten sich etwa Anwohner des Baugebiets Am Köllnischen Wald beschwert, dass sie aus der Görkenstraße heraus den fließenden Verkehr auf der Lindhorststraße nur schwer einsehen können. Vor Ort stellte sich heraus, dass die Sichtdreiecke nicht frei waren. Deshalb richtete das Straßenverkehrsamt im Bereich der Lindhorststraße ein absolutes Halteverbot ein. Das wiederum verärgerte Anwohner, weil ihnen nun Abstellmöglichkeiten für ihre Autos fehlten. Sie forderten die Aufhebung des Parkverbots.

Sperrpfosten stellen sicher, dass an der Lindhorststraße im Einmündungsbereich der Görkenstraße nicht mehr geparkt werden kann. So soll das Sichtdreieck für diejenigen, die von der Görken- in die Lindhorststraße einbiegen wollen, freigehalten werden.
Sperrpfosten stellen sicher, dass an der Lindhorststraße im Einmündungsbereich der Görkenstraße nicht mehr geparkt werden kann. So soll das Sichtdreieck für diejenigen, die von der Görken- in die Lindhorststraße einbiegen wollen, freigehalten werden. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Konflikte dieser Art befürchtet der Fachbereich Tiefbau jetzt an vielen Stellen der Stadt. Denn: „Es kann davon ausgegangen werden, dass in vielen Straßen im Stadtgebiet die Sichtfelder nicht frei gehalten werden, zumal der Parkdruck in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat und jede erdenkliche ,Freifläche’ zum Parken genutzt wird.“

Städtische Mitarbeiter in Beckum waren wegen fahrlässiger Tötung angeklagt

Das Vorgehen hatten der Verwaltungsvorstand um Oberbürgermeister Bernd Tischler und die Dezernenten beschlossen. In Bottrop ist man aufgeschreckt durch einen Prozess vor dem Amtsgericht Beckum. Dort waren städtische Mitarbeiter nach einem tödlichen Unfall wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Unfallursache war mangelnde Sicht. Den Mitarbeitern wurde vorgeworfen, die Schaffung von Sichtfeldern vernachlässigt zu haben. Für sie ging der Fall glimpflich aus. Sie wurden freigesprochen, weil der Unfall sich an keiner öffentlichen Straße, sondern an einem Wirtschaftsweg ereignet hatte.

Wie das Urteil im Fälle einer öffentlichen Straße ausgegangen wäre, weiß niemand. Die Bottroper Verwaltungsspitze will jedoch kein Risiko eingehen. In der Vorlage heißt es daher: „Die bisher betriebene Art und Weise, als Verwaltung an Verkehrsknotenpunkten nur tätig zu werden und Überprüfungen durchzuführen, wenn Beschwerden vorliegen, kann zukünftig so nicht weitergeführt werden.“

An der Lindhorststraße wird nun die Höchstgeschwindigkeit auf 40 gesenkt

Um die anstehende Überprüfung besser bewältigen zu können, wurde im Fachbereich eine zusätzliche halbe Stelle geschaffen, befristet auf vier Jahre. Schließlich muss auch die übrige Arbeit – etwa die Planung von Straßen und Radwegen – weitergehen. Bei allen Neuplanungen und Straßensanierungen werden künftig die entsprechenden Sichtdreiecke schon mit geplant.

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An der Lindhorststraße hat man unterdessen einen Kompromiss gefunden. Da die Größe des Sichtdreiecks abhängig ist von der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, hat das Straßenverkehrsamt die erlaubte Geschwindigkeit auf dem Teilstück zwischen Hans-Böckler- und Görkenstraße überprüft. Dort gilt künftig eine Höchstgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern – offiziell, um den Lärmschutz weiter zu erhöhen.

Je niedriger die Höchstgeschwindigkeit, umso kleiner muss das Sichtdreieck sein

Ein gewünschter Nebeneffekt ist aber auch: Bei erlaubten 40 Stundenkilometern verkürzt sich die Schenkellänge des Sichtdreiecks auf 50 Meter – bei Tempo 50 wären es 70 Meter. Mit diesem Kniff können mehr Stellplätze erhalten bleiben. Bei Tempo 30 liegt die vorgeschriebene Schenkellänge übrigens nur noch bei 30 Metern.

Überprüfung auf Luftbildern

Die Verwaltung wird die Sichtdreiecke an den Bottroper Knotenpunkten zunächst durch die Sichtung aktueller Luftbilder prüfen. Das ist der Vorlage für die politischen Gremien zu entnehmen.

Ortsbegehungen mit entsprechenden Fotodokumentationen sind dagegen nur erforderlich, wenn die Details aus den Luftbildern nicht klar erkennbar sind, heißt es weiter.