Bottrop. In Bottrops Berufskolleg gibt es nun eine Gedenktafel an die Pogromnacht vom 9. November 1938. Antisemitismus ist wieder erschreckend aktuell.
Niemand kann mehr sagen „Wir haben nichts gewusst“. Das gilt für die Ausschreitungen und antijüdische Hetze von heute genau so, wie für die Erinnerung an die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Was Historiker als ersten großen, deutschlandweit organisierten Auftakt zur nachfolgenden Vernichtung der jüdischen Bevölkerung beschreiben, war eigentlich mehr. Denn spätestens ab diesen Novembertagen vor 85 Jahren zeichnete sich vor aller Augen ab, was Entrechtung und (politische) Barbarei für jene Deutschen bedeuteten, die Juden waren oder jüdischen Wurzeln besaßen. Auch in Bottrop.
„Wir haben nichts gewusst“? Bis heute kennt man die Namen, darunter Dortort, Kleinberger, Heymann, Cohn, Meyer, Krauthammer, Reichenstein, Tillinger und viele mehr. Sie wohnten und arbeiteten in Bottrop, betrieben zum Teil stadtweit bekannte Geschäfte, von denen nach der so genannten „Kristallnacht“ nur noch Trümmer blieben. Auch das kleine jüdische Bethaus an der Tourneaustraße wurde verwüstet. Für eine Synagoge war die Bottroper Gemeinde zu klein. Die Höchstzahl wird 1932 mit 225 genannt.
Die letzten von über 200 Bottroper Juden wurden 1942 nach Riga verschleppt
Viele Angehörigen dieser Familien wurden bereits 1938 verschleppt, bestenfalls „nur“ verprügelt oder auf der Straße zum Teil in Nachtkleidung gedemütigt. Die Uniformierten, Polizei und Feuerwehr, schauten damals tatenlos zu. Die meisten Verfolgten starben später in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Die wohl letzten verbliebenen neun jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verschleppte man 1942 nach Riga.
Seit Jahrzehnten setzen sich Bottroperinnen und Bottroper mit diesem Teil unserer gemeinsamen Geschichte auseinander. Initiativen, die großen Kirchen, Wissenschaftler und vor allem auch das Stadtarchiv. Dessen Leiterin Heike Biskup setzt in vielen größeren und kleineren Schriften, Veranstaltungen und neuen Kontakten zu Ausstellungsmachern, der jüdischen Kultusgemeinde und vor allem Bottroper Schulen das fort, was ihr Vorgänger Manfred Lück mit mehreren Publikationen begann.
Berufskolleg Bottrop arbeitet auch die eigene Geschichte vom November 1938 auf
Zu den Schulen, die sich intensiv mit diesem schwarzen Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzen, gehört auch das Berufskolleg. Bereits zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hatten Schülerschaft und Lehrende ein umfangreiches Themenprogramm erarbeitet. Jetzt ist aus dem Kollegium vom Team „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ die Idee entstanden, an die Geschichte der Schule in der NS-Zeit zu erinnern. Dafür haben die Team-Mitglieder Klaus Lohmann und Steffen Vinnemeier intensiv recherchiert und den Plan zu einer Gedenktafel im Lichthof angestoßen, der jetzt umgesetzt wurde.
Dabei arbeitete das Berufskolleg auch mit dem Stadtarchiv, Manfred Lück und dem Jüdischen Museum Dorsten zusammen, wo auch der bekannte Fund, der unversehrte Bücherkorb, aus dem Haus der Familie Dortort an der Kirchhellener Straße gezeigt wird, die die Familie damals zurücklassen musste. Der Überlebende Josef Dortort, er starb 2011, ist übrigens mehrfach als Zeitzeuge in seine frühere Heimatstadt zurückgekehrt. Andere, wie die Familie Kleinberger, überlebten das Pogrom. Der Vater, der mit seiner Familie aus dem Haus am Pferdemarkt gezerrt worden war, wurde so lange in Haft gehalten, bis die Familie eine Einreisegenehmigung nach Palästina vorweisen konnte, wie Manfred Lück in seinem Vortrag im Lichthof berichtete.
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Dabei zog der frühere Stadtarchivar nicht nur den Bogen vom missglückten Hitler-Putsch am 9. November 1923 zu den Ereignissen am gleichen Tag 1938. Er beschreibt eindrücklich die Angriffe, die die Familien vor 85 Jahren persönlich erlebten, zum Beispiel wie Dortorts aus ihrem Haus schräg gegenüber vom Rathaus an den Haaren auf die Straße geschleift wurden oder der Geschäftsmann Krauthammer, der vom Pöbel aus dem Fenster geworfen wurde. Insgesamt wurden 35 jüdische Bottroperinnen und Bottroper von zwei (!) bis 79 Jahren in so genannte Schutzhaft genommen, die meisten von ihnen kamen später um.
An sie alle erinnert die Plakette, die am 85. Jahrestag des Pogroms von Oberbürgermeister Bernd Tischler, Lehrern und den Eheleuten Grasedieck – deren Stiftung finanzierte die Gedenktafel im Boden des Lichthofs – enthüllt wurde. Darauf heißt es am Ende: „In dieser Nacht ist vor aller Augen die Vernichtung des jüdischen Volkes als Ziel der Nationalsozialisten erkennbar geworden“.
Heute gehen in unmittelbarer Nähe wieder Menschen auf die Straße, die antijüdischen Terror bejubeln. In ihrem Grußwort, das aus Krankheitsgründen verlesen wurde, sagte die langjährige Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde, Judith Neuwald-Tasbach: Es dürfe keinen Platz für Menschen in unserer Gesellschaft geben, die solche Gedanken propagieren und Artikel 1 des Grundgesetzes (Die Würde des Menschen ist unantastbar) mit Füßen treten. „Wir müssen uns wieder selbst verpflichten: Nie wieder! Und nie wieder ist jetzt!“