Bottrop/Dorsten. Die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Westfalen setzt sich mit vielen Facetten jüdischen Lebens auseinander. Anfassen ist oft erlaubt.

Koscheres Schwarzbrot, Süßigkeiten oder Konserven sind in Dorsten museumsreif. Irgendwo liegen auch ganz nebenbei Kippas mit Schalke- oder BVB-Emblem. „Die brachte sogar eine Frau direkt aus Israel mit“, sagt Thomas Ridder. Damit ist der Kurator des Jüdischen Museums Westfalen mitten im Leben angekommen.

„Wir wollen kein Holocaust-Museum sein“

Denn was in dem Dorstener Haus zu sehen ist, hat nicht ausschließlich etwas mit den dunkelsten Jahren jüdischer Geschichte der Region zu tun. „Wir wollen eben kein Holocaust-Museum sein“, sagt Ridder. Aber die Jahre der Verfolgung und Vernichtung auch jüdischer Mitbürger in dieser Region von 1933 bis 1945 können natürlich nicht ausgeklammert werden. Über der neuen Ausstellung steht das Motto „Auf das Leben“. Und so vielfältig kommt die Schau auch daher, die Alltagsleben mit Politik, Geschichte und vielen spannenden Details verbindet.

Jüdisches Museum Westfalen, Dorsten: Historische Kultgegenstände in der neu konzipierten Sammlung des Hauses.
Jüdisches Museum Westfalen, Dorsten: Historische Kultgegenstände in der neu konzipierten Sammlung des Hauses. © Werner Stapelfeld

Das wird auch die Bottroper Reisegruppe aus Bürgern und Politikern feststellen. die am Wochenende das Museum besuchen wird, das seit 28 Jahren ein Zentrum jüdischer Geschichte dieser Region ist. Knapp 30 Interessierte machen sich auf den Weg, um anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz auch die jüdische Geschichte der nächsten Umgebung kennenzulernen.

Erinnerungen konnten nicht ausgelöscht werden

Zwischen Bocholt und Höxter, Münster, Dortmund und Bottrop lesen sich Geschichte und Geschichten von Erwachsenen und Kindern, die in dieser Gegend Spuren hinterlassen haben. Denn zum Glück ist es nicht gelungen, das Andenken an die jüdischen Deutschen, ihr Leben und ihre Leistungen, ganz auszulöschen.

Klassenfoto mit Josef Dortort (im weißen Kreis) in der Cyriakusschule !930er Jahre). Bottrop. Josef Dortort kehrte nach dem Krieg mehrmals nach Bottrop zurück. Die Cyriakusschule stellte später ein Kinderbuch vor, das auf Gesprächen von Josef Dortort mit Lehrerinnen und der Stadtarchivarin beruht.
Klassenfoto mit Josef Dortort (im weißen Kreis) in der Cyriakusschule !930er Jahre). Bottrop. Josef Dortort kehrte nach dem Krieg mehrmals nach Bottrop zurück. Die Cyriakusschule stellte später ein Kinderbuch vor, das auf Gesprächen von Josef Dortort mit Lehrerinnen und der Stadtarchivarin beruht. © DA

Und natürlich hat der „Bottroper Bücherkorb“ wieder einen besonderen Platz in der Sammlung. Er steht im Raum „Jüdische Lebenswege“. Dort sind exemplarisch in Wort, zuweilen sogar Originaltönen, und Bild die Biografien jüdischer Menschen aus Münster, Gelsenkirchen oder Bottrop versammelt und können elektronisch abgerufen werden. Die Geschichte der Familie Dortort wird erzählt.

Bottroper Stücke prominent platziert

Es gibt sogar ein Klassenfoto des kleinen Josef Dortort von der Cyriakusschule, auf dem er unglücklicherweise fast unter einem Foto von Adolf Hitler steht. Aber wie selbst Grundschulen Geschichte aufarbeiten können, zeigt im Museum der Hinweis auf ein Buch, das dort zusammen mit dem alten Josef Dortort entstanden ist, der als Überlebender mehrmals in seine Heimatstadt zurückkehrte.

Interaktion mit den Besuchern nimmt in der neuen Ausstellung einen breiten Raum ein. „Alle Exponate, die nicht unter Glas sind, darf man in die Hand nehmen“, sagt Thomas Ridder. Damit lässt die Schau die Ehrfurcht gebietenden Vitrinen großenteils hinter sich. Und bislang sei nicht geklaut oder zerstört worden, so Thomas Ridder. Auch den Chanukka-Leuchter aus Legosteinen hat niemand auseinander gebaut, die Packungen der koscheren Lebensmittel sind intakt.

Mitten im Leben: Diese BVB-Kippa brachte eine Besucherin aus Tel Aviv mit. 
Mitten im Leben: Diese BVB-Kippa brachte eine Besucherin aus Tel Aviv mit.  © DA

Eine Schreibecke mit Tafel und Buchstabenvorlagen lädt ein, sich mit der hebräischen Schrift und Sprache auseinander zusetzen. Die wichtigen jüdischen Schriften nach der Thora, zusammengefasst im Talmud, lassen sich in ihren verschiedenen historischen Schichten entdecken, ihre zeitliche Entstehung mithilfe eine Farbkonzepts nachvollziehen.

Breites Panorama

Es sind aber immer wieder die persönlichen Schicksale ganz unterschiedlicher Personen und Familien, die die Geschichte in dieser Schau lebendig werden lassen. Da sind jüdische Bergleute - ja, in den 1920er Jahren schufteten 5000 von ihnen unter Tage. Aber natürlich gab es auch den jüdischen Zahnarzt Paul Eichengrün, der zweiter Vorsitzender von Schalke 04 war, bevor die Nazis ihn rauswarfen.

Das Panorama ist breit aufgefächert. Die Medien und Exponate ergänzen sich sich zu einem Parcours, der ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart changiert. So bunt, wie das Leben, das die Allermeisten von damals nicht zur Gänze erleben konnten. An all das erinnert der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar - auch deshalb machen sich die Bottroper heute auf nach Dorsten.

Ausstellungen und Info

Die vom Stadtarchiv organisierte Fahrt zum Jüdischen Museum Westfalen ist ausgebucht. Das Museum ist aber vor allem seit der Neueinrichtung der Dauerstellung immer einen Ausflug nach Dorsten wert.

Neben der Dauerausstellung ist zurzeit noch eine kleine Schau des deutsch-jüdischen Künstlers Hermann Struck (1876-1944) zu sehen. Gezeigt werden Porträt-Lithografien von Menschen aus den im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzten gebieten in Osteuropa.

Geöffnet: Di bis Fr: 10 bis 12.30 und 14 bis 17 Uhr. Sa, So und feiertags: 14 bis 17 Uhr. Mehr Infos auf www.jmw-dorsten.de