Bottrop. Hildegard Weber trug 1953 schon die magische Zahl 100.000 im Meldeverzeichnis. Warum dann aber der kleine Theo Bottrop zur Großstadt machte.
Er machte Bottrop 1953 offiziell zur Großstadt: Der kleine Theodor Albrecht, den seine Mutter am 21. Februar 1953 im Marienhospital zur Welt brachte und den sein Vater am 23. Februar auf dem Standesamt eintragen ließ. Soviel Rummel wird sonst nur um Thronfolger oder Promi-Babys gemacht. Aber bei Klein-Theo steht nicht nur die WAZ mit Fotograf am Bettchen, sogar Rundfunk und Fernsehen wollen zu dem Jungen, der Bottrop zur 49. Großstadt der jungen Bundesrepublik macht.
Ein Hype, der sich später wiederholt, sei es zu Stadtjubiläen oder auch „nur“ zu Theos erstem Schultag. Irgendwann „will“ der erwachsene Theodor nicht mehr. Verständlich. Genug ist genug. Und ist er wirklich der echte 100.000er?
Stadt will 1953 mit einem „gebürtigen“ Bottroper Großstadt werden
Die für die Stadt – die Bottrop ja erst seit 1919 offiziell ist – so wichtige Zahl ist im Melderegister bereits an ein Mädchen vergeben. Hildegard Weber. Sie ist damals schon zehn Jahre alt und 1953 mit ihren Eltern nach Bottrop gezogen der Arbeit wegen. Ihr Vater hatte damals auf der Zeche Jacobi (später im Verbund mit Zeche Franz Haniel) angeheuert. Es war aber nicht das Geschlecht, das die kleine Hildegard zur „zweiten Siegerin“ machte sondern einfach die Tatsache, dass sie nicht in Bottrop geboren war.
Denn Neubürger Nummer 100.000 sollte ein in Bottrop geborenes Kind sein, wie Stadtarchivarin Heike Biskup einmal in dieser Zeitung schrieb. Allerdings hätten sich die Nachbarn damals sehr für Hildegard eingesetzt und sogar eine Unterschriftenliste für die eigentlich erste und offiziell zweite Siegerin initiiert, so die Stadtarchivarin weiter. Mit Erfolg. Zwar bleiben Hype und Ehre bei Klein-Theo, aber Hildegard bekommt ein schönes Gratulationsschreiben von der Stadt und 250 D-Mark, damals eine ordentliche Stange Geld.
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Großstadt: Das passt so recht in die Aufbruchstimmung der Zeit, wie sich ja auch an Hildegard Webers Familie zeigt. Man wandert ein nach Bottrop. Noch boomt der Bergbau, die Zechen arbeiten auf Hochtouren, an die Kohlekrise, die sich ab Ende der 50er-Jahre langsam ankündigt und zehn Jahre später mit der Schließung von Rheinbaben auch in Bottrop durchschlägt, denkt damals noch niemand. Auch nicht an die kommunale Neugliederung, die gut 20 Jahre später Kirchhellen mit Bottrop vereint.
Ausblick: In den 50er Jahren rechnete man in Bottrop mit bis zu 150.000 Einwohnern
Während Theo und Hildegard heranwachsen, hat die Stadt ihr eigenes Wachstum im Blick. 150.000 Einwohner scheinen selbst ohne Kirchhellen realistisch zu sein. Man plant städtisch, baut ein großes Hallenbad, verpasst der City zeitgemäßes großstädtisches Aussehen, beschließt den Bau eines (nie verwirklichten) Stadttheaters, baut Kirchen aufgrund eines wirklichen oder vermuteten Bedarfs. Zwischen 1948 und 1962 entstehen allein sieben katholische Kirchen, von St. Paul (1948) bis St. Franziskus (1962).
St. Barbara, Heilig Kreuz, St. Elisabeth ziehen sich wie ein Ring um die City und sind heute abgerissen oder umgenutzt. Dass St. Suitbert noch „arbeitet“, liegt am dortigen Malteserstift und dem Engagement eines Investors. Von allen Kirchen dieser Epoche ist somit lediglich St. Pius als Gemeindekirche geblieben.
Vor 70 Jahren feiert aber auch die Stadt mit einem Festakt in der Aula des alten Jungengymnasiums, dem heutigen Kammerkonzertsaal. Rat und Verwaltung nehmen die Großstadtwerdung zum Anlass, die ersten Ehrenbürgerwürden nach dem Krieg zu verleihen. Eine mit Bedacht gewählte „Bottroper Mischung“: Mit Dr. Erich Baur ehrt die SPD-Hochburg (Ernst Wilczok ist bereits das erste Mal im Amt) einen Zentrumspolitiker und Bottrops ersten Oberbürgermeister nach der Stadtwerdung 1919. Er wurde 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Amt entfernt und kehrt 1953 mit seiner Frau für die Ehrung zurück.
Hugo Reckmann und Paul Schlesinger stehen für die Industrie, die Bottrop erst groß machte. Reckmann, Bergassessor und Generaldirektor der Prosper-Zechen, ist von 1945 bis 1953 Vorstandsvorsitzender der Arenberg AG. Schlesinger, Betriebsratsvorsitzender der Arenberg Bergbau GmbH, zu der die Zechen gehören. Unmittelbar nach dem Krieg war Schlesinger bis 1948 Mitglied des Rates der Stadt. Er gilt außerdem als einer der Mentoren für den damaligen Oberbürgermeister und SPD-Politiker Ernst Wilczok.
70 Jahre Großstadt – Die Ausstellung
Das Stadtarchiv präsentiert vom 23. Februar bis 21. April im Kulturzentrum eine Ausstellung, die an die Stadt zur Zeit der Großstadtwerdung vor 70 Jahren erinnert, aber auch den Wandel als Teil der Metropole Ruhrgebiet zeigt.
Aufnahmen aus den 1950er Jahren des Bottroper Fotografen Ernst Günther Schweizer und Fotografien aus der heutigen Zeit des Designers Michael Kaprol nehmen die Betrachter mit auf eine emotionale Reise durch die Zeit.
Zu sehen von Montag bis Freitag, 9 bis 18, Samstag 9 bis 13 Uhr. Blumenstraße 12-14. Eintritt frei.