Bottrop. Vor 65 Jahren: Richtfest fürs Hallenbad. Bottrop setzt auf qualitätvolle Kunst am Bau. 50 Jahre danach ist das Bad dicht, die Kunst zerstört.
Herbst 1957: Am alten Trappenkamp, ab 1959 Berliner Platz, feiert man Richtfest. Dort, wo noch rund 30 Jahre zuvor Stadtbaurat Alber Lange repräsentative Verwaltungs- und Kulturbauten als Ergänzung zum Postgebäude sieht, wozu sich die Gemeindevertretung aber nicht durchringen kann, entsteht nun das neue Hallenbad. Mitten in der Stadt, die vier Jahre zuvor Großstadt geworden ist. Unübersehbar, wie ein Sportpalast aus Glas, Stahl, Beton - so plant ihn Architekt Heinz Kisler. Ganz im sachlichen, aber qualitätvollen Stil des ersten Nachkriegsjahrzehnts entsteht ein öffentliches Gebäude, in und an dem wie damals selbstverständlich auch qualitätvolle Kunst ihren Platz haben soll. Dafür holt man keine Namenlosen, sonder erteilt Aufträge an Wilfried Reckewitz (1925-1991) und den knapp eine Generation älteren renommierten Glaskünstler Hans Lünenborg (1904-1990).
Künstler, die unter den Nazis als „entartet“ galten, prägen Kunst und Architektur nach dem Krieg
Reckewitz, ein Vertreter der so genannten „verlorenen Generation“, die nach NS-Diktatur und Weltkrieg wieder den Anschluss an die internationale Kunst suchen, schuf einen markanten Mosaikfries an der Front entlang des Berliner Platzes, aber auch große Kunstharzplatten mit schwungvoll-abstrakten Motiven, die das Innere der Schwimmhalle beherrschen. Der Wuppertaler, der an der dortigen Kunstgewerbeschule seine Ausbildung beginnt, die er später bei so renommierten Künstlern wie Werner Heuser, Ewald Mataré oder Otto Pankok (übrigens in einer Klasse mit Günter Grass) an der Düsseldorfer Kunstakademie fortsetzt. Reckwitz ist ein echter „Allrounder“ im Sinne des Bauhauses. Neben Mosaiken, Wandbildern, Skulpturen oder Brunnen, entwirft er auch Bühnenbilder, Kostüme oder Plakate für den WDR. Für die Norwegian Carribean Lines erhält er Gestaltungsaufträge für Innenausstattungen großer Kreuzfahrtschiffe.
Das große und im wahrsten Sinne auch auf den Berliner Platz ausstrahlende Kunstwerk ist bei der Eröffnung aber Hans Lünenborgs riesiges bleiverglastes Fenster. Vom Schwimmbecken aus betrachtet hinter dem Sprungturm zieht sich damals ein rot-rosa Meer aus Opalglas mit goldenen Einsprengseln bis zur Decke der großen Halle. Perlen aus Glas stehen für Wassertropfen dieses Kunstmeeres, das bei Dunkelheit auch Passanten auf dem Berliner Platz in seinen Bann zieht. Nicht nur für viele Bottroperinnen und Bottroper ist es kurz vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres 2010 im Ruhrgebiet ein Skandal, dass diese Arbeit ein Opfer der Abrissbagger wird. Das Hallenbad selbst ist da bereits seit zwei Jahren geschlossen.
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Wie das Werk so vieler anderer seiner Generation gelten auch Lünenborgs Arbeiten im Nationalsozialismus als „entartet“. Vieles wird in den 30er Jahren zerstört, anderes verkauft. „Die Lebenswerke vieler Künstler des 20. Jahrhunderts sind kaum aufgeschrieben, da sind die Werke schon zerstört”, bedauert Annette Jansen-Winkeln von der Stiftung Glasmalerei damals in der WAZ und wirft im selben Kontext zugleich auch Fragen nach dem Urheberrecht an Lünenborgs Arbeit in Bottrop auf. Der Artikel erscheint übrigens unter der sicherlich provokanten Überschrift „Kristalltag am Berliner Platz“. Ein kleiner Rest der Arbeit von Hans Lünenborg, der übrigens auch Fenster für Bottrops Gesundheitsamt schuf, überlebt übrigens im damaligen Haus „Arbeit für Bottrop“ an der Paßstraße. Anderes, wie Bronzeskulpturen und Türgriffe des aus Bottrop stammenden Künstlers Theo Heiermann (1925-1996), ist verschwunden. Heiermann arbeitete übrigens auch für die Kirche Heilig-Kreuz.
50 Jahre nach dem Richtfest für das inzwischen alte Hallenbad ist wieder Baubeginn. In nur 14 Monaten Bauzeit entsteht das neue Bad am Sportpark an der Parkstraße. Kunst am Bau sucht man vergebens. Aber nach einigen Zögern nehmen Bottrops Schwimmbegeisterte auch die neue Sportstätte an. Damals veröffentlichte die WAZ folgende Zahlen: Gäste im alten Hallenbad im letzten kompletten Öffnungsjahr 2006: rund 102.000. Im neuen Bad 2009: rund 114.000 Besucher. Zuletzt hatte natürlich die Corona-Pandemie deutliche Einbrüche der Besucherzahlen zur Folge. Inzwischen spricht die Stadt aber von einer Normalisierung beim Bäderbesuch.