Bottrop. Nicht jeder erhält den Pflegebonus. Beschäftigte des Bottroper Knappschaftskrankenhauses kritisieren Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.

Am Donnerstagmittag postete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein Foto auf Twitter. „Heute mit Bundestag PingPong Team und Tischtennis Bundestrainer Jörg Rosskopf an Turnier zugunsten der Parkinson Kranken teilgenommen“, schrieb er dazu. Zugegeben, ein wichtiger Termin. Möglicherweise wusste Lauterbach im Unterbewusstsein, dass er an diesem Tag nicht nach Bottrop hätte kommen dürfen. Denn dort hätte er sich einiges anhören müssen.

https://www.waz.de/staedte/essen/unmut-ueber-corona-bonus-viele-pflegekraefte-gehen-leer-aus-id236862077.html Der vom Bund beschlossene Pflegebonus sorgt für Frust. Nicht alle Beschäftigten in Krankenhäusern, die in der Corona-Pandemie nahezu Unmenschliches geleistet haben, profitieren davon. Viele gehen leer aus. Während Lauterbachs Ping-Pong-Spiel ließen deshalb Beschäftigte des Knappschaftskrankenhauses ihrem Ärger freien Lauf. Die Gewerkschaft Verdi hatte die Protestaktion vor dem Haupteingang organisiert.

Knappschaftskrankenhaus: „Die Vergabekriterien sind schwer nachzuvollziehen.“

„Zu den Verlierern zählen z.B. Pflegefachkräfte in der Zentralambulanz und der Rehaklinik, alle Pflegehelfer und einjährig ausgebildeten Pflegekräfte, die Anästhesie- und operationstechnischen Assistenten, alle Mitarbeitenden in Therapieteams sowie medizinische Fachangestellte, Ärzte und Laborassistent/innen. Aber auch die wichtigen Berufsgruppen der Reinigung, Küche, Service, Technik, Materialbeschaffung, Lager und Pforte gehen komplett leer aus“, weiß Verdi aus der Belegschaft.

Auf WAZ-Nachfrage schreibt das Knappschaftskrankenhaus: „Da wir als Arbeitgeber keinen Ermessensspielraum bei der Auszahlung der Sonderzahlungen hatten, gab es auch in unserem Haus Beschäftigte, die keinen Pflegebonus erhalten haben, obwohl sie ebenfalls seit Beginn der Corona-Pandemie direkt am Patienten arbeiten.“ Und weiter: „Die Vergabekriterien sind an dieser Stelle schwer nachzuvollziehen.“ Menschen wie Stefan Michalski, Krankenpflegehelfer am Knappschaftskrankenhaus, sehen keinen einzigen Cent. „Der Pflegebonus ist für alle da“, meint er. Die Politik betreibe damit „eine Spaltung der Belegschaft“. „Das können wir uns nicht gefallen lassen. Ich finde es vonseiten der Politik eine bodenlose Unverschämtheit, dass wir so behandelt werden.“

Knappschaftskrankenhaus Bottrop zahlt rund 500.000 Euro

Die Wut der Beschäftigten ohne Pflegebonus richtet sich an die Bundesregierung und an den Bundesgesundheitsminister. Intensivkrankenschwester Nicole Pelkowski: „Lauterbach hat keine Ahnung von der Arbeit in einem Krankenhaus. Er geht wohl davon aus, dass nur eine Schwester einen unmittelbaren Kontakt zum Patienten hat.“ Einmal verbal in Fahrt legt sie nach. „Das zeigt mir, dass er entweder noch nie in einem Krankenhaus war oder nur auf einer Komfortstation gelegen hat.“ Ins gleiche Horn stößt Silvia Juchheim. Sie arbeitet als freigestellte Praxisanleiterin, die Auszubildende im Krankenhaus unterstützt und direkt am Patienten anlernt. „Vielleicht hätte sich Lauterbach vorher informieren sollen, wie Pflege überhaupt funktioniert.“

„Unser Haus hat entsprechend der gesetzlichen Vorgaben die Auszahlungen der Boni an examinierte Pflegekräfte vorgenommen, die eine dreijährige Berufsausbildung absolviert haben und 2021 für mindestens 185 Tage in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen im Knappschaftskrankenhaus Bottrop beschäftigt gewesen sind“, schreibt das Knappschaftskrankenhaus. „An Intensivpflegefachkräfte wurde bei Erfüllung der Vorgaben der 1,5-fache Betrag als Bonus zur Auszahlung gebracht. Es handelte sich dabei um ein Volumen von insgesamt rund 500.000 Euro. Die Bonuszahlungen wurden bereits mit dem Oktober-Gehalt ausgezahlt.“

„Man hat das Gefühl, dass man eine Pflegekraft zweiter Klasse ist.“

Altenpflegerin Michaela Endemann ist fassungslos. Sie habe 184 Tage unter anderem mit Corona-Patienten gearbeitet - aber laut gesetzlicher Vorgaben nur einen (!) Tag zu wenig. Deshalb erhalte sie nicht den vollen Bonus. Andere Kollegen, zum Beispiel in der Zentralen Notaufnahme, bekommen gar keinen Cent, weil die Notaufnahme keine bettenführende Station ist.

Diana Lucks, Gleichgestellungsbeauftragte im Knappschaftskrankenhaus, meint: „Vonseiten der Regierung fehlt die Wertschätzung.“ Der Betrieb funktioniere doch wie ein Zahnrad. Und zum Beispiel ohne Reinigungskräfte oder einjährig examinierte Pflegekräfte würde aus ihrer Sicht nichts funktionieren. Michael Kolorz, Betriebsratsvorsitzender, schätzt, dass im Knappschaftskrankenhaus mehr als Dreiviertel der Beschäftigten keinen Pflegebonus erhalten. „Man hat das Gefühl, dass man eine Pflegekraft zweiter Klasse ist“, meint Nicole Pelkowski. Ihr Fazit zu Karl Lauterbach und dem Pflegebonus: „Ziel verfehlt, Danke für nix.“

Januar 2023: Tarifrunde im öffentlichen Dienst

Die Gewerkschaft Verdi erklärt: Der Pflegebonus wird nur in Krankenhäusern gezahlt, auf deren Intensivstationen im Jahr 2021 mindestens zehn Corona-Patienten und -Patientinnen für jeweils mindestens 48 Stunden beatmungspflichtig waren. Laut Bundesgesundheitsministerium sind das bundesweit 837 Kliniken.

Der Pflegebonus wird in Krankenhäusern und Altenheimen ausgezahlt, nicht für Beschäftigte etwa in Rettungsdiensten oder psychiatrischen Kliniken. „Im Januar 2023 beginnt die Tarifrunde im öffentlichen Dienst, die auch uns in den Knappschaftskrankenhäusern betrifft“, so Verdi weiter.