Essen. An Essens Krankenhäusern sorgt der Pflegebonus für Unmut: Viele Beschäftigte erhalten die Prämie für die Anstrengungen in der Pandemie nicht.

Zweieinhalb Jahre Pandemie haben Pflegekräfte enorm gefordert, bisweilen an ihre Grenzen oder um ihre Gesundheit gebracht. Dieser Tage wird in Krankenhäusern und Altenheimen nun ein Pflegebonus ausgezahlt, mit dem die Bundesregierung ihnen ihre Anerkennung ausdrücken will. In Essener Kliniken sorgt die Prämie jedoch für Unmut: Während die einen bis zu 3300 Euro erhalten, gehen andere leer aus. Die Vergabekriterien seien so unlogisch wie ungerecht, sind sich Klinikleitungen und Betriebsräte einig.

„Die Universitätsmedizin Essen als eines der größten Corona-Zentren in Deutschland hat nur aufgrund des großen Engagements aller rund 11.000 Beschäftigten aller Fachbereiche und an allen Standorten die Auswirkungen der Pandemie bewältigt“, heißt es etwa aus Essens größtem Krankenhaus. Den Bonus erhalten dort 1318 Mitarbeiter in der Pflege – mehr als 300 Pflegekräfte erhalten ihn nicht.

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„Ich bin sehr enttäuscht, dass wir als psychiatrisches Pflegepersonal ausgegrenzt werden“, sagt auch Simone Spieske, die als Fachkrankenschwester am Philippusstift in Borbeck arbeitet. Warum der Gesetzgeber Pflegekräfte in der Psychiatrie vom Bonus ausschließe, sei schwer zu verstehen: „Wir müssen uns hier genauso um Corona erkrankte Patienten kümmern, und dies sogar unter erschwerten Bedingungen.“ Denn aufgrund ihrer psychischen Erkrankung seien die Patienten oft nicht in der Lage oder gewillt, Schutzmasken zu tragen oder in Isolation zu bleiben.

„Die Leute, die solche Gesetze schreiben, merken offenbar nicht mal, wie sowas Belegschaften spalten kann“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katharina Schwabedissen.
„Die Leute, die solche Gesetze schreiben, merken offenbar nicht mal, wie sowas Belegschaften spalten kann“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katharina Schwabedissen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Auf internistische Stationen haben man die heiklen Patienten oft nicht verlegen können. „Wir kümmern uns selbstverständlich um sie, auch wenn wir angehustet und angeniest werden. Dadurch ist das Ansteckungsrisiko deutlich erhöht“, hat Simone Spieske in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben. Eine Antwort erhielt sie bislang nicht.

Viele Pflegekräfte in Essen sind verärgert

Die gesetzlichen Vorgaben könnten von den Krankenhäusern nicht geändert werden, auch die Betriebs- und Personalräte hätten – anders als beim ersten Bonus – kein Mitspracherecht, bedauert Spieskes Kollege Michael Binzen. „So kommen Neiddebatten auf. Es gehen ja auch viele andere leer aus, etwa Hebammen oder die Kollegen in der Notaufnahme.“ Sie haben das Pech, dass sie nicht in „bettenführenden“ Stationen arbeiten, denn belohnen will der Gesetzgeber die „Pflege am Bett“. Allerdings nur, wenn sie von Fachkräften mit dreijähriger Ausbildung geleistet wird: Pflegefachassistenten mit einjähriger Qualifikation, die vielerorts dafür sorgen, dass die Pflege nicht kollabiert, erhalten keinen Bonus. „Da arbeiten auf den Stationen Kollegen Seite an Seite – und die einen werden belohnt, die anderen nicht“, kritisiert Binzen.

Krankenhaus teilt den Unmut der Beschäftigten

„So kommen Neiddebatten auf. Es gehen ja auch viele andere leer aus, etwa Hebammen oder die Kollegen in der Notaufnahme“, sagt Michael Binzen, der in der psychiatrischen Station des Essener Philippusstifts arbeitet.
„So kommen Neiddebatten auf. Es gehen ja auch viele andere leer aus, etwa Hebammen oder die Kollegen in der Notaufnahme“, sagt Michael Binzen, der in der psychiatrischen Station des Essener Philippusstifts arbeitet. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Dass der Staat Wertschätzung und Dankbarkeit ausdrücken wolle, sei ja begrüßenswert, sagt die Sprecherin des Philippusstifts, Christa Herlinger. Dieser Dank fällt für eine examinierte Vollzeitkraft „in der unmittelbaren Patientenversorgung“ mit 2203,82 Euro recht ordentlich aus. Wer auf einer Intensivstation arbeite und die entsprechende Zusatzqualifikation habe, erhalte gar 3305,73 Euro. Doch: „Ein Pflegebonus, der viele Pflegende ausschließt, ist aus unserer Sicht kein guter Ausdruck von Anerkennung.“

Nur der Solidarität über alle Berufsgruppen hinweg sei es zu verdanken, dass man die Herausforderungen der Pandemie habe stemmen können. Daher bedauere man, dass die Prämie so ungerecht ausfalle und vielen vorenthalten bleibe. „Wir verstehen den Unmut und teilen ihn“, sagt Herlinger.

Pflegekräfte sammeln für Kollegen, die leer ausgingen

Die Regelung, die auch medizinische Fachangestellte und etliche Azubis ausschließe, mache viel kaputt, sorge für Frust, bestätigt Winfried Schäfer, Vorsitzender Mitarbeitervertretung der Contilia, zu der auch das Philippusstift gehört. „Ich habe große Sorge, dass das die Abwanderungsbewegungen aus der Pflege eher noch verstärkt.“ Es gebe aber auch berührende Gesten: „In einer Abteilung am Elisabeth-Krankenhaus geben alle etwas vom Bonus ab: Das Geld wird dann an die verteilt, die keine Prämie bekommen haben.“

Man lasse sich nicht spalten, betont auch Sarah Goebel, die als examinierte Pflegefachkraft an der Essener Uniklinik arbeitet, einem der größten Corona-Behandlungszentren bundesweit. „Ich gönne jedem den Bonus, und die Kollegen finden es ungerecht, dass wir ihn nicht bekommen.“ Die 26-Jährige kam im April 2020 an das Haus und arbeitet dort in der Zentralen Notaufnahme (ZNA). Sie sei empört und fassungslos, dass sie und ihre Kollegen keine Prämie bekommen, weil die ZNA „nicht bettenführend“ ist.

Team der Notaufnahme bekommt keinen Bonus

„Eine Notaufnahme ist die Eintrittspforte in eine Klinik, da kommen ständig Patienten an, die mit Covid-19 infiziert sind. Während der Pandemie mussten Menschen auf dem Flur des völlig überfüllten Isolationsbereiches sitzen. Wir haben super viele Patienten intubiert...“ Dass das nun nicht anerkannt werde, sei eine krasse Ungerechtigkeit. „Es gibt neben den Intensiv- und Infektionsstationen wohl kaum einen Bereich, wo die Beschäftigten so betroffen waren wie wir.“

Eine Anerkennung für die „herausragende Leistung“ der Pflege

Der Pflegebonus ist laut Bundesgesundheitsministerium als Anerkennung für die Pflegekräfte gedacht, die während der Pandemie „eine herausragende Leistung“ erbringen und gleichzeitig einem erhöhten Risiko einer Corona-Infektion ausgesetzt sind. Dafür steht eine Milliarde Euro bereit, die hälftig an Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen geht.

Die Mittel erhalten Krankenhäuser, die 2021 besonders viele Covid-19-Patientinnen hatten. „Sie geben den Bonus an Pflegefachkräfte in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen und an Intensivpflegefachkräfte weiter.“ Und zwar innerhalb von vier Wochen, nachdem sie das Geld vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen bekommen. Beschäftigte in der Alten-/Langzeitpflege (auch Azubis und Freiwilligendienstler) erhalten den Bonus bis spätestens 31.12.2022.

Mehr 204.000 Pflegefachkräfte sollen laut Ministerium den Bonus erhalten und mehr als 25.000 Intensivpflegefachkräfte, deren Prämie höher ausfällt.

In der Altenpflege erhalten Vollzeitbeschäftigte in der direkten Pflege den höchsten Bonus von bis zu 550 Euro. Wer weniger direkten Kontakt hat, erhält bis zu 370 Euro. Auch die Wochenarbeitszeit beeinflusst die Bonus-Höhe.

Ginge es nach Goebel, sollte es eine Entlastungsprämie geben, von der alle Beschäftigten im Krankenhaus profitierten, zum Beispiel auch die Reinigungskräfte, die sich großer Ansteckungsgefahr ausgesetzt hätten. „Fast drei Jahre Corona haben uns alle unglaublich geschlaucht. Die Belastung war unerträglich.“ Auch darum habe man im Sommer für eine Entlastung aller Berufsgruppen am Uniklinikum gestreikt: „Und nun wird eine Prämie verteilt, die die Ungleichheit weiter verstärkt. Dabei ging es uns vor allem um zusätzliches Personal: Das gewinnt man mit solchen Aktionen nicht.“

Der ärztliche Direktor der Uniklinik, Prof. Dr. Jochen A. Werner, sagt: „Die Universitätsmedizin Essen begrüßt grundsätzlich alle Initiativen, die Beschäftigten in der Pflege besser zu entlohnen. Der von der Bundesregierung beschlossene Pflegebonus schränkt die Zahl der Anspruchsberechtigten hingegen stark ein. Dies schafft Ungerechtigkeiten und Unzufriedenheit.“ Der Uniklinik sei es aber „aufgrund der wirtschaftlichen Situation“ nicht möglich, den Bonus aus eigenen Mitteln auf andere Beschäftigtengruppen auszuweiten. Das „würde zudem nur weitere Ungerechtigkeiten mit sich bringen“, heißt es.

Manche Krankenhäuser können gar keine Prämien auszahlen

Interessenverbände wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft und zahlreiche Mitarbeitervertretungen hätten übrigens schon im Vorfeld vor dem Zuschnitt des Pflegebonus gewarnt, betont Philippusstift-Sprecherin Christa Herlinger. Vergeblich. „Die Leute, die solche Gesetze schreiben, merken offenbar nicht mal, wie sowas Belegschaften spalten kann“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katharina Schwabedissen.

Gespalten wird auch die Krankenhauslandschaft: Bonuszahlungen erhält nur, wer 2021 besonders viele Covid-19-Patienten behandelt hat: 837 von 1900 deutschen Krankenhäusern. Beim Alfried-Krupp-Krankenhaus führt das dazu, dass der Standort Rüttenscheid fast 600.000 Euro verteilen kann – und das Haus in Steele nichts, sagt der Betriebsratsvorsitzende Olaf Nuhnen. Es sei wenig verwunderlich, dass der Verteilmechanismus zu Ärger führe. „Da hat jemand etwas gut gemeint und nicht gut gemacht.“