Bottrop. Bottrops Etat für 2023 ist eine Mogelpackung. Die Stadt lebt auf Pump. Wofür sie dennoch Geld ausgibt und was sie aus Kritikersicht zu wenig tut.
Die Stadt muss sparen. War es deshalb etwa so kalt in der Dieter-Renz-Sporthalle, als der Rat dort entschied, wofür die Stadt im nächsten Jahr ihr Geld ausgeben wird? Die allermeisten Ratsfrauen und Ratsherren behielten während der mehr als zweistündigen Debatte über den städtischen Haushaltsplan für 2023 jedenfalls ihre Winterjacken und Mäntel an, um beim Zuhören auf ihren Stühlen nicht zu sehr zu frieren. Auch Oberbürgermeister Bernd Tischler blies sich mehrfach in seine kalten Hände. Zwischendurch bot er den Ratsleuten eine Pause an, damit sie sich bewegen und aufwärmen können. Das Aufwärmtraining aber lehnten die Ratsvertreterinnen und Ratsvertreter ab.
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Eher frostig ging es nach Einschätzung von mehreren Vertreterinnen und Vertretern der kleineren Ratsparteien auch schon während der Beratungen über die Ausgaben der Stadt zu. ÖDP-Ratsfrau Marianne Dominas brachte diese Kritik so auf den Punkt: „Wenn alte weiße Männer meinen, dass jeder und jede, die eine andere Meinung vertritt, immer nur zu dumm sind, um einen Sachverhalt angemessen zu verstehen, hat das der Gesprächskultur und einem wirklichen demokratischen Austausch noch nie gut getan“. Rumms. Saß das? Der Versuch, die Gemüter zu erhitzen, blieb ohne erkennbaren Erfolg. SPD und CDU blieben völlig cool. Aus ihren Reihen kam dazu keinerlei offizieller Kommentar.
SPD und CDU stimmten gemeinsam für das Zahlenwerk
Gerade die beiden großen Ratsfraktionen aber sind angesprochen. Auch FDP-Ratsherr Andreas Mersch hatte vor der Etatdebatte im Rat schon im Gespräch mit der WAZ kritisiert, dass sich die Ratsvertreter von SPD und CDU nicht einmal die Mühe machten, über Vorschläge der meisten anderen Parteien im Rat auch nur zu reden. Wortlos seien deren Anträge abgelehnt worden. SPD und CDU verabschiedeten schließlich mit ihrer gemeinsamen Mehrheit im Stadtrat auch den Etat, wonach die Stadt im nächsten Jahr gut 488 Millionen Euro aufwenden und einen Überschuss von nicht ganz 409.000 Euro erzielen wird.
Alle anderen Fraktionen und Ratsgruppen stimmten gegen das Zahlenwerk. Ohnehin ist allen gemeinsam klar, dass es sich dabei um eine ziemliche Mogelpackung handelt, wie es einige Ratsleute ausdrückten. AfD-Fraktionschef Patrick Engels etwa bezifferte das eigentliche Minus auf angebliche vier Millionen Euro. Schließlich finden sich die Folgekosten der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine nicht spürbar im Etat wieder. Mit der Isolierung dieser Kosten werden sie nur in die Zukunft verlagert, erklärte etwa auch CDU-Fraktionschef Hermann Hirschfelder. Es wachse das Risiko der Stadt, in die Überschuldung zu geraten, schlussfolgerte SPD-Fraktionschef Thomas Göddertz daraus. „Es fehlt nach wie vor an einer auskömmlichen Finanzierung“, betonte der Landtagsabgeordnete.
Kein echter Widerstand gegen Verwüstung der Bottroper Finanzen
Die Folgen der Unterfinanzierung durch das Land seien in Bottrop jeden Tag zu spüren. Als Beispiel prangerte Göddertz an, dass die CDU-geführte Landesregierung die Gelder für Sozialarbeit an neun Schulen gestrichen habe. Die Stadt musste deshalb einspringen. Das sei nur ein Beispiel, beklagte der Bottroper: „Wir werden mit zusätzlichen Aufgaben überhäuft, aber es gibt keinen Ausgleich dafür“. Prompt brachte ihm das kritisches Nachfragen der Linkspartei ein: Wo denn der Widerstand gegen die Verwüstung der Stadtfinanzen bleibe?, wollte Linke-Sprecher Niels Schmidt von Göddertz wissen.
Dennoch erfüllt Bottrop seine Aufgaben, etwa auch bei der Beherbergung von Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Gegenden, in denen Kriege und Krisen herrschen. „Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt mehr Aufnahmekapazitäten geschaffen als 2015“, betonte Thomas Göddertz; also mehr als in jenem Jahr mit der so heftig umstrittenen hohen Flüchtlingsrate. Das sei mit großen Herausforderungen für alle in der Stadt verbunden. „Herausforderungen, denen wir uns nicht nur stellen, weil es unsere humanitäre Pflicht ist, sondern weil wir es für die Menschen auch gerne tun“, unterstreicht FDP-Ratsherr Mersch ausdrücklich.
Grüne und ÖDP üben Kritik an fehlenden Klimaschutz-Maßnahmen
Der Rat wende aber auch viel Geld für den Ausbau der Stadt auf, für Schulen, Kitas und Stadtquartiere, für die Schaffung von Wohnraum für jüngere Familien, auch für das neue Solebad in Vonderort oder den Bau neuer Feuerwachen in Alt-Bottrop oder Kirchhellen. Darin sind sich nicht immer nur, aber vor allen SPD und CDU einig. Hermann Hirschfelder aber mahnt: „Es muss der Verwaltung, den politisch Handelnden und den Bürgerinnen und Bürgern deutlich sein, dass wir auf Pump leben“. Klar ist das nahezu allen im Rat, weshalb sich die meisten Parteivertreterinnen und Parteivertreter auch ausgesprochen zurückhielten mit Forderungen, die viel Geld kosten. Dass die Stadt dennoch zu wenig tut, darin sind sich gerade Grüne und ÖDP einig. Ihre Kritik aber reicht teils auch hinein in die Reihen der FDP und der Linken.
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Gerade wegen des drei Jahre anhaltenden Krisenmodus müsse die Stadt beim Klimaschutz dringender, schneller und effektiver handeln, forderte Grünen-Sprecherin Andrea Swoboda. Dies gelte es um so mehr zu erreichen, um die Abhängigkeit von der Energieversorgung durch autokratische Staaten zu überwinden. „Mit Blick auf die Mobilitätswende hinkt unsere Stadt weit hinterher“, bedauerte Andrea Swoboda und erneuerte die Kritik am Ausbau der Autobahn 52. Die Stadt handele nicht ökologisch genug, kritisiert die ÖDP ebenfalls und macht das auch an den Leitlinien für klimagerechtes Bauen fest: „Jedes Bauprojekt verstößt dagegen“, sagte Ratsfrau Marianne Dominas. Ratsherr Niels Schmidt fasst das für die Linke so zusammen: „Bottrop verliert das Ziel der Klimaneutralität aus den Augen“.