Bottrop. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurden zahlreiche jüdische Geschäfte und Einrichtungen zerstört. Auch die „Feuerschutzpolizei“ sah zu.
Als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Bottrop die Häuser und Geschäfte jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger geplündert und zerstört wurden, hat auch die hiesige Feuerwehr lediglich den Auftrag, zuzusehen und bei möglichen Bränden nur zu verhindern, dass sie auf nicht-jüdisches Eigentum übergriffen. Im Jubiläumsjahr „100 Jahre Berufsfeuerwehr“ erinnern Feuerwehrsprecher Michael Duckheim und vor allem Oliver Kunde, der sich seit Jahren intensiv mit der Historie der Wehren beschäftigt, auch an die dunklen zwölf Jahre von 1933 bis 1945, als die Feuerwehr gleichgeschaltet und zunehmend militarisiert wird.
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„Allerdings gab es bei der Pogromnacht 1938 in Bottrop wohl keine Brände und somit auch keine Notwendigkeit, die sogenannte Riegelstellung zum Schutz der Umgebung vorzunehmen“, weiß Kunde, der selbst der Freiwilligen Feuerwehr Altstadt angehört. Auch das jüdische Bethaus an der Tourneaustraße sei zwar verwüstet, im Gegensatz beispielsweise zu den Essener Synagogen aber nicht angezündet worden. Wie Duckheim kennt auch er natürlich die Geschichte von Eugen Blumenthal, jenem altgedienten Bottroper Feuerwehrmann, der 1936 aus dem alten Löschzug 1 Stadtmitte ausgeschlossen wird. Grund: Der 1871 geborene Sohn katholischer Eltern und verheiratet mit einer Katholikin, hat jüdische Großeltern und gilt damit nach der damaligen Rassenideologie als Jude.
In Bottrop ist Blumenthal bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Von Beruf Tanzlehrer, betreibt er eine Tanzschule in der Stadt, ist Mitglied der „Allgemeinen Bürger-Schützengesellschaft“ und der Freiwilligen Feuerwehr, leitet das „Bottroper Orchester“, das nicht nur bei Festen der Feuerwehr aufspielt, und ist auch Träger verschiedener Ehrenzeichen, darunter des Preußischen Landesfeuerwehrverbandes. Dies alles schützt Blumenthal nicht vor Verfolgung. Nach dem Tod seiner Frau wird er 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er kurz darauf umkommt. Vor seinem letzten Wohnort an der Bergstraße 1 erinnert ein Stolperstein an den altgedienten Bottroper Feuerwehrmann.
Neu: Bürgermeister ist nicht mehr Herr der Feuerwehr
Insgesamt verändert sich ab 1933 die Struktur der Bottroper Feuerwehr, die bald nicht mehr der Gemeindeleitung, sondern der Polizei unterstellt ist. „Die Befehle kommen ab da vom Reichsinnenministerium, das Hermann Göring untersteht“, so Oliver Kunde. Per Gesetz wird die Feuerschutzpolizei, wie sie in den Jahren heißt, 1938 dann in ganz Deutschland und dem angeschlossenen Österreich in die Polizei eingegliedert. Feuerwehrleute sind nun Teil der Polizei, tragen offen Waffen. Im Archiv finden sich noch alte Dienstausweise, die besagen, dass Feuerwehrleute auch als Hilfspolizisten tätig werden dürfen.
Die neuen Uniformen gleichen zunehmend denen der Polizei, später auch denen des Militärs. Im Fuhrpark wechselt die Lackierung vom alten Signalrot zum Tannengrün der Kampfverbände. Nicht alle freunden sich damit an. In Alt-Bottrop lassen sich zum Beispiel Wilhelm Bette senior und junior in den alten Uniformen ablichten. „Der Kirchhellener Brandmeister Johann Dickmann lehnte das Tragen der neuen Uniform ab und wurde daraufhin, auf Antrag seines NS-Bürgermeisters, ungeachtet seiner langjährigen Verdienste 1936 vom Provinzialfeuerwehrverband abberufen und in die Altersabteilung versetzt“, weiß Oliver Kunde.
Dennoch scheint Bottrops Feuerwehr sicher kein Hort des Widerstandes gegen das NS-Regime zu sein. Das sieht auch Michael Duckheim so. Manches schriftlich Überlieferte wirkt auch anekdotisch. So soll es Beschwerden darüber gegeben haben, dass einige Feuerwehrleute andere Uniformierte auf der Straße nicht mit dem sogenannten „deutschen Gruß“ bedacht haben sollen. Ein stiller Protest? Kunde und Duckheim wollen das aus der Distanz nicht bewerten.
Fest steht aber: Die Feuerwehr wächst in diesen Jahren. Grafenwald und Feldhausen kommen dazu. In Alt-Bottrop werden die Wehren Fuhlenbrock und Vonderort gegründet. Und natürlich gibt es eine Nachwuchsorganisation: die Hitlerjugend-Hilfsfeuerwehr. „Da war dann der spätere Übergang in die SS schon mit eingeplant“, sagt Oliver Kunde.
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Feuerwehrchef in jenen Jahren bleibt aber Theodor Breuer. Seit Gründung der Berufsfeuerwehr 1922 hält er sich auf diesem Posten, den er auch nach dem Krieg noch innehat. Wäre er überzeugter Nazi gewesen, wäre das wohl nicht möglich gewesen. Im Feuerwehrarchiv finden sich übrigens Berichte über eine der größten Katastrophen in den Vorkriegsjahren, in der Bottrops Feuerwehr ganzen Einsatz zeigt. Am 30. August 1938 wird der Kirchschemmsbach zum reißenden Fluss, nachdem an einem Tag so viel Regen fällt wie sonst in einem Monat. „Die Kollegen mussten da auf einmal gegen und nicht mit Wasser kämpfen, es wurde unheimlich viel beschädigt, ein dreistöckiges Haus an der Aegidistraße stürzt ein, alte Fotos erinnern ein bisschen an die Situation letztes Jahr im Ahrtal“, sagt Oliver Kunde.
Der erhaltene Bericht von Theodor Breuer beschreibt professionell Einsatz und Schäden. Der Unterschied zwischen Breuers Bericht und der Darstellung des von den Nazis eingesetzten Oberbürgermeisters Graf Stosch könnte größer kaum sein. Breuer arbeitet mit Fakten. Stosch ergießt sich in völkisch-volkstümelnden Floskeln im Stil der NS-Propaganda. Dieser Textvergleich könnte somit auch zeigen, wie höhere Dienstgrade trotz allen Drucks Distanz zur Diktatur zu halten versuchen.
Veranstaltung am 9. November & Ausstellung
Am Mittwoch, 9. November, gibt es nach längerer Coronapause wieder eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Pogromnacht von 1938.
Beginn ist um 14 Uhr an der Gedenktafel für das ehemalige jüdische Bethaus an der Tourneaustraße in der Stadtmitte. Die Gestaltung übernehmen u.a. Schülerinnen und Schüler der Albert-Schweizer-Schule.
Mit einer Ausstellung im Kulturzentrum vom 1. Dezember bis Mitte Januar geht das Jubiläumsjahr „100 Jahre Berufsfeuerwehr in Bottrop“ zu Ende.