Bottrop. Die Stadtverwaltung hängt sich Bruchteile des zertrümmerten Kunstwerks von Hans Lünenborg am alten Hallenbad ins Treppenhaus.
Sein Meer war nicht blau, auch nicht grün. Das Meer des Glasmalers Hans Lünenborg am alten Hallenbad leuchtete in Rot. Gischt schäumte. Sonne spiegelte sich in den Wellen. Auf ihnen tanzten gläserne Perlen wie Wassertropfen. Ein Meer in Rosa und Rot?
„Entartet” – so hatten Faschisten in Nazi-Deutschland auch Lünenborgs Kunst diffamiert. Über sechs Jahrzehnte nach dem Untergang des Hitler-Reichs schlug ein Bagger Lünenborgs Werk beim Abriss des Bades in tausende Scherben. War es Ahnungslosigkeit, war es Gedankenlosigkeit?
„Der Anblick schockiert”, meinte Dr. Annette Jansen-Winkeln, nachdem sie Bilder von der Zerstörung des Kunstwerks am Berliner Platz sah. „So darf man nicht mit Kunst umgehen”, kritisiert die Gründerin der Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei in Mönchengladbach.
Aus mundgeblasenem Opalglas und Goldrosaglas
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Der Stadt war es nicht nur zu teuer, Lünenborgs gebäudehohe Glasarbeit an anderer Stelle zu rekonstruieren, sie gab nicht einmal das Geld dafür, diese zu erhalten. „Es ist eine Schande”, sagte die Sprecherin der Stiftung. Auf die Pflege der Bleiverglasung aus Opalglas, Goldoxyden und Goldrosaglas hatte die Stadt ja ohnehin schon kaum Wert gelegt. Kurz vor dem Abriss war die Glasarbeit nur ein Schatten ihrer selbst, viele Glasstücke zerbrochen, die Goldauflage verwittert gewesen. „Nur weil die Kunst aus Glas ist, darf man sie doch nicht zerstören”, bedauerte Annette Jansen-Winkeln, deren Stiftung die Glasmalkunst in der Metropole Ruhr dokumentierte.
Auch Hans Lünenborg, der den Entwurf für das zerstörte Glaskunstwerk am Berliner Platz ausgearbeitet hatte, war und ist mit Kunstwerken in der Glasmalerei-Landschaft des Ruhrgebietes präsent. Zumeist sind seine Arbeiten in Kirchen zu finden. So gestaltete der Maler aus Mönchengladbach die Fenster im Altarraum und um die Empore der Universitätskirche St. Augustinus in Bochum, er entwarf Fensterwände und Lichtbänder in St. Mariä Himmelfahrt in Duisburg, ein Fenster im Schiff von St. Albertus Magnus in Essen stammte von ihm, und in der Gladbecker Kirche St. Lamberti gehen Fenster im Chor auf seine Entwürfe zurück.
Vertreter des Expressionismus hatten ihn geprägt: Heinrich Nauen, Emil Nolde oder Erich Heckel. In der Kunstgewerbeschule in Krefeld, in der Landeskunstschule Hamburg, an der Kunstakademie Düsseldorf hatte Lünenborg studiert, bevor er als freier Künstler arbeitete. Einer seiner Freunde war Heinrich Campendonk, Mitglied der Münchner Künstlergruppe Blauer Reiter. Campendonk, Spezialist für Glasmalerei, lehrte in Essen und Düsseldorf, bevor er ins Exil nach Amsterdam ging. „Artfremd” hatten Hitlers Schergen seine Kunst wie die Lünenborgs geschmäht. Das bedeutete nicht nur: Berufsverbot. Die Nazis entfernten Werke der von ihnen angefeindeten Künstler aus Sammlungen und Öffentlichkeit, sie zerstörten Arbeiten, trieben Künstler ins Exil oder ermordeten diese.
Seine Kirchenfenster nehmen eine Sonderposition ein
Kristalltag am Berliner Platz
Kunstkenner rechnen Hans Lünenborg der „verschollenen Generation” zu, der Krieg und Faschismus die ganz große Karriere verdarben. Er gehöre zu den Künstlern, die die Glasmalerei in Deutschland entscheidend geprägt hatten. „Durch seine außergewöhnliche expressiv surreale Darstellungsweise mit eigener Symbolik und die Verquickung christlicher und weltlicher Thematik, Welttheater und Maskerade nehmen seine Kirchenfenster eine Sonderposition ein”, urteilte die Kunsthistorikerin Iris Nestler. Das Oeuvre Lünenborgs, der 1990 in Köln starb, umfasst Ölbilder, Handzeichnungen, Entwürfe für Glasfenster, freie Glasbilder und viele Kirchenfenster. Es liegt zwischen der Blütezeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dem Aufbruch zu neuer Abstraktion nach dem Weltkrieg.
„Die Lebenswerke vieler Künstler des 20. Jahrhunderts sind kaum aufgeschrieben, da sind die Werke schon zerstört”, bedauerte Annette Jansen-Winkeln, die Fragen nach dem Urheberecht an Lünenborgs Arbeit in Bottrop aufwarf. Seine Familie lebe ja in Mönchengladbach.
Sein Glasfenster wurde für die Öffentlichkeit erstellt. „Es müssten eigentlich dauerhaft in der Öffentlichkeit bleiben”, sagte die Vertreterin der Stiftung Glasmalerei. Doch die Stadt verarbeitete Bruchteile des Kunstwerks zur Wanddekoration, die jetzt im Treppenhaus des Verwaltungstrakts an der Paßstraße hängt. „Einmal zerstört ist für immer zerstört”, befürchtet Annette Jansen-Winkeln und meint: „Wir sollten heute aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und keine Kultur zerstören, die wir noch gar nicht richtig kennengelernt haben”.
Glasmalerei der Metropole Ruhr dokumentiert
Die Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei widmet sich der Glasmalerei des 20. Jahrhunderts. Gerade die Expressionisten entdecken im vorigen Jahrhundert die Glasmalkunst für sich. Die Stiftung in Mönchengladbach möchte solche Kunstwerke vor Zerstörung retten. Sie sammelt, dokumentiert, und arbeitet die Glasmalerei des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich auf. „Wir haben eine ganze Tiefgarage voll mit Glaskunst”, sagte Gründerin Dr. Annette Jansen-Winkeln.
Seit der Gründung 1993 hat die Forschungsstelle die Daten von über 1500 Glasmalern in Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg zusammengetragen und etwa 12 000 Kunstwerke in gut tausend Gebäuden allein in der Metropole Ruhr katalogisiert und in einer wissenschaftlichen Datenbank erfasst. Die Stiftung wollte so vor Beginn des Kulturhauptstadtjahr 2010 den Blick auf die Vielfalt und Bedeutung der Glasmalkunst lenken. Die Metropole Ruhr sei geprägt durch eine einzigartige Glasmalerei-Landschaft vor allem junger Glasmalkunst. Auf ihrer Internetseite der Stiftung sind von Bochum bis Witten zahllose Gebäude mit Glasmalkunst aufgelistet.
Die wesentlichen Künstler veröffentlicht die Stiftung in Monograpien mit Werksverzeichnis. Ihr Archiv enthält Nachlässe der Künstler, Entwürfe oder Fotos der Glaskunstwerke, Werkstattvorlagen in Originalgröße. Solche Kartons machen die Wiederherstellung eines Glaskunstwerks möglich.