Bottrop. Seit 50 Jahren leistet die AG Soziale Brennpunkte Arbeit am Bottroper Borsigweg. Seither haben sich Quartier und Verein immer wieder gewandelt.
Cornelia Kavermann, die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte (AGSB) kann sich noch gut an ihr Bewerbungsgespräch vor 40 Jahren erinnern. Aus Münster kommend habe sie nicht gewusst, wo in Bottrop der Borsigweg war. „Ich habe dann in der Stadt einen Passanten gefragt, der war völlig fassungslos, hat mich gefragt, warum ich ausgerechnet da hinwill und hat mich gewarnt.“
Klar, zu der Zeit war der Ruf der damaligen Obdachlosensiedlung besonders schlecht. Viele Bottroper verbanden den Borsigweg mit Gewalt und Kriminalität. Nicht zu unrecht übrigens, wie Cornelia Kavermann rückblickend sagt. Doch in all den Jahren bis jetzt habe sich das Zusammenleben in der Siedlung und die Siedlung selbst sehr gewandelt – nicht zuletzt auch durch die Arbeit der AGSB.
Vor 50 Jahren wurde die Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen – nach einem ökumenischen Jugendtag, der sich unter anderem mit dem Thema Obdachlosigkeit befasst hat. Am Borsigweg lebten damals diese Familien, die nirgendwo sonst in der Stadt unterkamen. Armut und auch viele Kinder prägten das Quartier in Batenbrock – das damals auch noch viel größer war. Auch die Wohnverhältnisse seien noch schlechter gewesen, sagt Cornelia Kavermann. „Damals lebten hier noch 700 Bewohner.“
Gustav Heinemann war Schirmherr des ersten Feriencamps der AGSB
Darunter viele Kinder, das liest sich aus einer Festschrift zum zehnjährigen Bestehen. Über Obdachlosensiedlungen heißt es da, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen bei 53 bis 70 Prozent liege, in der Gesamtbevölkerung jedoch nur bei 24 Prozent.
Und so setzten die Gründerinnen und Gründer der AGSB dann auch bei den Kindern an, schufen Angebote. Eines der ersten waren Gruppenstunden und Hausaufgabenbetreuung am Borsigweg, 1972 ein Sommercamp mit rund 100 Kindern am Baldeneysee. Schirmherr war übrigens Bundespräsident Gustav Heinemann. Daraus entstand eine Tradition; bis auf wenige Ausnahmen werden seitdem jährlich Kinder- und Jugendcamps sowie Familienfreizeiten angeboten.
Die Arbeit hat sich mit den Jahren weiter verstetigt und wurde immer professioneller. Inzwischen beschäftigt der Verein 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So entstand in der Siedlung beispielsweise in den 1970er-Jahren ein Kinderhort. Ein Augenmerk galt dabei immer der Bildung. Die AGSB und ihre Partner und Netzwerke hätten sich immer auch als eine Art Sprungbrett der Kinder im Bildungswesen verstanden, sagt Cornelia Kavermann.
Die Siedlung hat sich verändert und dadurch hat sich die AGSB mit verändert
Dabei hätten sich Siedlung und Verein immer wieder verändern müssen. In den 1980er-Jahren etwa schrumpfte die Siedlung, viele Deutsche zogen aus, fanden anderswo in der Stadt ein Zuhause. Stattdessen zogen Flüchtlinge ein. Die wiederum in den Folgejahren irgendwann durch Spätaussiedler aus Osteuropa ergänzt wurden. Zuletzt wurden am Borsigweg Flüchtlinge aus Syrien und anderen arabischen Ländern untergebracht.
So wie sich die Siedlung und das Klientel verändert hat, so hat sich immer auch die AGSB verändert. Und inzwischen seien die Chancen für Kinder aus der Siedlung wesentlich größer als noch in den Anfangszeiten, da ist sich Cornelia Kavermann sicher: „Die Chancen für die Kinder in unserem Bildungssystem haben sich durch die Ganztagsschule wesentlich verbessert.“ Doch noch immer brauche es Unterstützung in der Schullaufbahn. „Die neueste Herausforderung ist das digitale Lernen, was ja in diesen Familien nicht geklappt hat“, so die Einschätzung der AGSB.
AGSB ist längst auch in den Bottroper Stadtteilen Boy und Batenbrock aktiv
Gleichzeitig aber legten viele Familien, die hier in der Siedlung lebten, viel Wert auf die Bildung ihrer Kinder und schätzten das deutsche Schulsystem. „Sie tun alles, um ihren Kindern gute Bildung zu ermöglichen. Ich sehe da einen großen Ehrgeiz.“ Gleichzeitig erführen auch die Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helfer der AGSB große Wertschätzung in der Siedlung. Und das sei schon immer so gewesen, betont Kornelia Kavermann. Auch zu Zeiten, als es in der Siedlung wesentlich heißer herging, hätten die Helfer und Mitarbeiter der AGSB immer unter Schutz gestanden, erinnert sich Kornelia Kavermann.
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In den letzten fünf Jahren hat sich die AGSB noch einmal stark gewandelt, wirkt nun über die Siedlung hinaus in die Stadtteile Boy und Batenbrock. Schon lange war der Verein Träger der Kita Rappelkiste. Die wurde an der Robert-Brenner-Straße neu gebaut. Seit kurzem gibt es mit Ratz und Rübe eine zweite Kita, die die AGSB betreibt, dazu das Stadtteilbüro in Batenbrock. In dieser Öffnung sieht Cornelia Kavermann auch die Zukunft der AGSB: „Ich wünsche mir, dass die AGSB in der Boy und in Batenbrock eine Institution bleibt, die soziale Arbeit im Stadtteil leistet, verwurzelt am Borsigweg.“
Die Mitgründer
Zu den Mitgründerinnen und Mitgründern der AGSB gehören unter anderem der damalige Stadtjugendpfleger der katholischen Kirche, Alois Karrer oder auch der damalige Stadtjugendseelsorger Alfred Heiermann. Dazu kamen der kürzlich verstorbene Karl Keining oder Christal Lassak, auch der aus Bottrop stammende ehemalige ARD-Korrespondent Wim Dohrenbusch engagierte sich hier, dazu Wilfried Bons.
Letzterer war auch die erste hauptamtliche Kraft, die für die AGSB am Borsigweg im Einsatz war. Wobei: Streng genommen gab es noch vor dem Sozialarbeiter einen Zivildienstleistenden, der hier arbeitete. Das war ab 1973 und lief über das katholische Jugendbüro. 1975 folgte dann der Sozialarbeiter.