Bochum. . Über das “Zappelphilipp-Syndrom“ informierten Experten beim WAZ-Medizin-Dialog in Bochum. Über150 Interessierte füllten das Hörsaalzentrum des St. Josef-Hospitals. Kein Wunder: ADHS ist die häufigste psychische Störung bei Kindern und Jugendlichen.

„Kinder sind nun mal unruhig und wollen nicht still sitzen. Das ist doch keine Krankheit!“ Stimmt meistens: Längst nicht alle „Zappelphilippe“ bedürfen einer ärztlichen Behandlung. Doch drei bis fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind tatsächlich krank. Sie leiden an ADHS. Und ihr Umfeld leidet mit.

„ADHS ist kein Mythos, keine ,Modeerscheinung’, sondern die häufigste psychische Störung bei Kindern und Jugendlichen“, betonte Prof. Dr. Georg Juckel, Direktor des LWL-Universitätsklinikums, am Dienstagabend beim WAZ-Medizin-Dialog. Die Resonanz zeigt, wie akut und aktuell die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung in vielen Familien ist: Über 150 Leserinnen und Leser füllten das Hörsaalzentrum des St. Josef-Hospitals.

Dopamin-Mangel als Ursache

Ein Mangel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn ist Auslöser der Krankheit. Die Forschung hat eine eindeutige genetische Belastung nachgewiesen: Kinder, deren Mutter oder Vater an ADHS leiden, tragen ein bis zu achtfach erhöhtes Risiko. Jungen sind dreimal häufiger betroffen als Mädchen. Auch das Rauchen während der Schwangerschaft gilt als Ursache für ADHS.

Die Symptome stellen sich im Vorschulalter ein. Das Aufmerksamkeitsdefizit spiegelt sich in schlechter Konzentration, Vergesslichkeit und Langeweile wider. Kinder mit einer Hyperaktivitätsstörung sind impulsiv, zappeln, rennen ziellos umher, sind unruhig und unterliegen Stimmungsschwankungen. Die Folgen können einschneidend sein: ADHS-Kinder werden häufiger bei Unfällen verletzt. ADHS-Mädchen haben eine 40-fach erhöhte Rate von Teenager-Schwangerschaften.

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Von DerWesten

Verhaltenstherapie und Elterntraining

„Doch Vorsicht bei der Diagnose“, mahnt Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Martin Holtmann. „Erst wenn die Probleme übergreifend und länger als ein halbes Jahr in der Schule, in der Familie, mit Freunden oder im Verein auftreten, liegt ADHS nahe.“ Generell gelte: Die Erkrankung sei zwar ernst zu nehmen, die Zahl der Patienten jedoch seit Jahren konstant. Prof. Holtmann: „Etliche Kindergärtnerinnen oder Lehrer klagen: ,Wir haben immer mehr schwierige Kinder.’ Aber die haben nicht alle ADHS. Gründe sind vielfach auch Überforderung, Depressionen, Angststörungen oder Vernachlässigung. Oft ist es schlicht auch altersgemäßes Verhalten. Die gern angeführte Unterforderung bei angeblichen hochbegabten Kindern indes ist sehr selten.“

Eltern müssen lange Wartezeit für eine Vorstellung beim Kinder- und Jugendpsychiater in Kauf nehmen. Gut, dass sich immer mehr Kinderärzte fortbilden. Die Mediziner empfehlen ein Elterntraining, bei Bedarf eine Verhaltenstherapie, in der Regel eine medikamentöse Behandlung (oft Ritalin), auf dessen stimulierende Wirkung 70 Prozent ansprechen. „Der Einfluss bestimmter Diäten oder Nahrungsergänzungsmittel ist nicht belegt“, so Prof. Holtmann.

Eine Zuversicht eint die Erkrankten und Angehörigen: Bei den meisten Jugendlichen verschwinden oder mindern sich die ADHS-Symptome während der Pubertät. Allerdings treten sie bei jedem zehnten Patienten im Erwachsenenalter wieder auf.