ADHS-Kinder können die unterschiedlichen Eindrücke und Informationen nicht einordnen. Strukturen im Alltag helfen.

Wenn die Diagnose steht und tatsächlich ein ADHS vorliegt, beginnt die Therapie, erzählt Irmgard Franek: „In einem gemeinsamen Gespräch mit den Eltern erfolgt die Psychoedukation, das heißt, wir erklären den Eltern das Störungsbild ihres Kindes und das gestufte therapeutische Vorgehen. Grundsätzlich braucht nicht jedes ADHS-Kind eine medikamentöse Behandlung.” Wenn aber doch eine Behandlung sinnvoll erscheint, sollte klar sein, dass Medikamente der letzte Weg der Behandlungskette sind, so Franek.

„Einige medizinische Studien belegen, dass bei ADHS-Patienten oft bestimmte Kerne im Frontalhirn, die zur Steuerung dienen, kleiner ausgeprägt sind, als bei gesunden Menschen”, erläutert Irmgard Franek. Das führe dazu, dass Betroffene die Reize, die sekündlich auf sie einstürmen, nicht strukturieren können. „Ein Beispiel: Im Unterricht erklärt die Lehrerin, wie der Buchstabe ,O' geschrieben wird. Gleichzeitig wirft ein Schüler ein Radiergummi, und ein Hubschrauber fliegt draußen vorbei.” Gesunde Kinder würden nun diese Reize sortieren: „Zuerst die Lehrerin, dann vielleicht der Hubschrauber, der ja durchaus interessant sein kann, und dann das fliegende Radiergummi.” Ein ADHS-Kind könne in so einer Situation keine Prioritäten setzen.

Ähnliches gelte im Haushalt: „Wenn die Mutter einem ADHS–Kind sagt: ,Geh' in den Keller Wasser holen, dann wäschst Du Dir die Hände und dann setzt Du Dich zu uns an den Tisch', dann kann man glücklich sein, wenn das Kind überhaupt eine dieser Anweisungen befolgt.” Es könne eben die Fülle an Informationen nicht richtig einordnen.

„Deswegen beginnen wir in der Regel damit, den Alltag der Kinder zu strukturieren”, berichtet Irmgard Franek. Allerdings sei das gar nicht so einfach: „Wir sind da auf die Mithilfe der Eltern angewiesen. Besonders schwer wird es, wenn ein Elternteil auch von einem ADHS betrofffen ist. Dann müssen zunächst die Eltern in die alltägliche Strukturgebung eingearbeitet werden. Das ist manchmal so, als ob ein Nicht-Schwimmer seinem Kind das Schwimmen beibringen soll”, vergleicht Irmgard Franek. „Das ist natürlich eine riesige Anforderung an die Eltern. Aber es ist der erste und wichtigste Schritt in eine erfolgreiche Therapie.”

Zum Training für die Kinder gehöre dann unter anderem so genanntes Selbstmanagement. „Sie müssen lernen, sich selbst zu strukturieren. Hier wird die Selbstwahrnehmung des Kindes im Bezug auf das eigene Verhalten geschult”, schildert Irmgard Franek. Es gebe zum Beispiel auch spezielle Computerprogramme, die diese Methode unterstützen: „Neurofeedback nennt sich das”, erzählt Franek.

Dabei werden zum Beispiel Puls und Hautwiderstand des Patienten gemessen, gegebenenfalls noch ein EEG angeschlossen. „Dann sieht das Kind auf dem Monitor ein Schiffchen fahren. Steigen zum Beispiel Puls und Hautwiderstand, fährt das Schiff langsamer. Aufgabe der Kinder ist es dann, das Tempo des Bootes durch eigene Beruhigung zu beschleunigen.” So würden die Kinder lernen, die Signale ihres Körpers richtig zu deuten.

Allerdings müsse auch zu Hause und in der Schule mit dem Kind gearbeitet werden: „Es gibt so genannte Verstärkerpläne. Damit kann Struktur in den Alltag des Kindes gebracht werden”, sagt Expertin Irmgard Franek. „In den Plan werden Aufgaben und Regeln notiert. Immer wenn ein Kind sich daran hält oder die Aufgabe erfüllt, gibt es einen Sticker.” Für eine gewisse Anzahl Sticker müsse es dann eine kleine Belohnung geben. „Das führt gleichzeitig zu einer Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung, denn man muss ja auch miteinander reden”, nennt die Fachfrau einen weiteren Vorteil der Methode.

„Gleichzeitig müssen wir schauen, dass wir sowohl Eltern als auch Kindern die Schuldgefühle nehmen: Eltern sind keine schlechten Eltern, bloß weil sie ihr Kind nicht in den Griff bekommen. Und das Kind kann ja erst recht nichts dafür.”

Der Forschungsbedarf steigt

Die Bundesärztekammer hat zum Thema ADHS eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben. Zum Forschungsbedarf heißt es: „Angesichts der Verbreitung der ADHS/HKS sowie ihrer klinischen Bedeutung, ihrer hohen Chronifizierungsrate und ihrer schwerwiegenden Folgen für die weitere Entwicklung der Betroffenen sind vermehrte Forschungsanstrengungen notwendig. Diese sollten sich im wesentlichen auf vier Bereiche konzentrieren: 1) die klinische und Versorgungsforschung, (2) die Ursachenforschung, (3) die Interventionsforschung und (4) die Verlaufs- und Prognoseforschung.” Die Gesamtfassung der Stellungnahme steht unter www.bundesaerztekammer.de im Bereich „Richtlinien, Leitlinien, Empfehlungen”.