Gelsenkirchen. Manchmal helfen bei ADHS wirklich nur noch Pillen. Doch dann gilt die Devise: „Je geringer die helfende Dosis, desto besser.” Es gibt keine Einheits-Medikation.
Erst wenn andere Therapiebemühungen erfolglos sind und der Ausprägungsgrad der Konzentrationsschwäche, der Hyperaktivität und der Impulsivität schwere Probleme im sozialen Miteinander machen, „dann muss man sich über Medikamente unterhalten”, erläutert Dr. Irmgard Franek. „Mittel erster Wahl ist das Methylphenidat.”
Dies sei seit gut 50 Jahren bekannt, und die Mediziner hätten mittlerweile einen guten Überblick über mögliche Langzeitfolgen. „Es wird viel über die Nebenwirkungen diskutiert, beispielsweise dass Methylphenidat die Neigung zu Parkinson verstärken könne”, weiß auch Irmgard Franek. Allerdings sei das nicht mehr aktuell. „Aber Methylphenidat kann für Patienten mit Herzfehlern sehr gefährlich sein, weshalb vor der Verabreichung eine gründliche medizinische Untersuchung des Kindes erforderlich ist.”
Doch nicht nur deshalb gelte bei einer Medikation der Leitsatz „viel hilft nicht viel”, sagt die Leiterin der Tagesklinik am Bergmannsheil. „Wir müssen an das jeweilige Kind angepasst titrieren, was so viel bedeutet wie: je geringer die helfende Dosis ist, desto besser.” Dabei müsse die unterschiedliche Wirksamkeit der verschiedenen Präparate beachtet und der Tagesrhythmus des Kindes mit einbezogen werden. „Das Medikament soll das Kind in die Lage versetzen, den Lebensalltag wieder normal zu meistern.” Denn in der Regel seien ADHS–Kinder sehr isoliert, weiß Irmgard Franek aus Erfahrung: „Der Lehrer schimpft, die Eltern schimpfen, das Kind findet keine Freunde und wird nicht zu Geburtstagen eingeladen. Das sind aber alles Dinge, die das übliche Lebensglück ausmachen.”
Aber sie warne ausdrücklich davor, vorschnelle Diagnosen zu stellen. „Menschen sind nicht normierbar. Jeder ist anders, der eine etwas temperamentvoller, der andere weniger. Jeder hat unterschiedliche Qualitäten, aber unser Gesellschaftssystem fängt das nicht auf.” Sie frage sich oft, warum Kinder nicht so sein dürften, wie sie sind. „Alles ist auf Leistung getrimmt. Eine Medikation ist kein Tuning für die Kinder.”
Man solle den Eltern keine Vorwürfe machen, schränkt Irmgard Franek ein: „Es gibt eine zunehmende Erziehungsunsicherheit. De facto sollten die Eltern den Kindern klare Führung und Anleitung geben. Aber oft wissen sie nicht mehr, in welche Richtung.” Seit den 60er Jahren habe sich in der Erziehungsphilosophie so viel verändert. „Regeln werden als Gewalt verstanden. Selbst simple Dinge wie Essen mit Messer und Gabel.” Hinzu komme die persönliche Belastung der Eltern: „Angst um den Job, Geldprobleme, zunehmende Gewalt in der Gesellschaft: All das belastet die Erziehung zusätzlich.” Berufstätige Eltern kommen spät nach Hause, „dann fehlt ihnen einfach die Kraft, um sich angemessen um die Kinder zu kümmern”, meint Irmgard Franek: „Früher war in der Regel ein Elternteil spätestens ab Mittag zu Hause. Da war noch Zeit für eine gemeisname Beziehungsgestaltung.” Sicherlich seien das Extrembeispiele, es gebe genügend Familien, in denen es „harmonischer und geordneter” zu gehe. „Aber die Unsicherheiten nehmen zu und damit auch die Auffälligkeiten bei den Kindern.”
Genaue Wirkungsweise noch nicht bekannt
Am häufigsten werden zur Behandlung die so genannten Psychostimulanzien, z. B. Methylphenidat, eingesetzt. Die genaue Wirkungsweise ist bis heute nicht bekannt. Man geht jedoch davon aus, dass es im präsynaptischen Spalt zu einer Blockade der Transporteiweiße für den Botenstoff Dopamin kommt und damit der zu schnelle Rücktransport in die Nervenzellen verhindert wird. Aus: „Leitfaden ads/adhs, Infobroschüre des Hamburger Arbeitskreises.”