Gelsenkirchen. .
Viele verhaltensauffällige Kinder leiden an ADHS. Medikamente sind nur die letzte Zuflucht. Allerdings hat sich von 1997 bis 2007 die Zahl der Verordnungen von Medikamenten verzehnfacht hat.
Allein zwischen 1999 und 2008 stieg die Zahl der jährlich verordneten Tagesrationen an Ritalin (Methylphenidat) von acht auf 53 Millionenerordnungen von Medikamenten gegen AD(H)S verzehnfacht hat.
„Es ist immer ein Problem, wenn Ritalin als einziges Mittel eingesetzt wird. Das wird keinen langfristigen Erfolg zeigen”, meint der Gelsenkirchener Schulpsychologe Carsten Joiko. Er ist für die Realschulen im Stadtgebiet zuständig und für einen Teil der Grundschulen. „Gerade in den ersten vier Schuljahren ist ADHS ein großes Thema”, ergänzt seine Kollegin Annette Greiner, die den anderen Teil der Grundschulen sowie die Gymnasien betreut.
„Auch in der Schule kann schon eine ganze Menge getan werden”, sagen die beiden. „Ritalin kann dabei sozusagen die Anpassungsleistung unterstützen. Mit anderen Worten: das Kind wird dabei unterstützt, die ergänzenden Maßnahmen besser zu verstehen und mitzumachen.” Das fange mit einfachen Schritten an, erläutert Carsten Joiko: „Die Beziehung zwischen Kind und Lehrer muss behutsam aufgebaut werden. Dazu gehört auch, dass ein Lehrer dem Kind seine Schwierigkeiten nicht ständig vor Augen führt oder vorhält.” Man müsse hinter den Auffälligkeiten die Bedürftigkeiten entdecken: „Wenn ich weiß, wie ich mit einem aufgedrehten Kind umgehen muss, kann es das liebste Kind der ganzen Klasse sein”, ist sich der Psychologe sicher.
„Unsere Aufgabe besteht daher auch darin, die Sichtweise bei den Lehrern zu ändern. Sie sind keine schlechten Pädagogen, bloß weil sie ein solches Kind nicht in den Griff bekommen”, erläutert Annette Greiner. Zudem müssten Eltern und Lehrer an einem Strang ziehen. Auch hier seien die Schulpsychologen gefragt: „Gegenseitige Schuldzuschreibungen bringen gar nichts. Und erst recht nicht dem Kind”, unterstreicht Greiner. „Wenn Eltern und Lehrer es schaffen, sich auf ein Grundprinzip im Umgang mit dem betroffenen Kind zu einigen, haben wir schon einen Teil geschafft.”
Andere, kaum aufwändige Maßnahmen könnten zudem die Lehrer unterstützen: „Wenn ein ADHS-Kind etwa mit dem Rücken zum Fenster oder mit Blickrichtung Tafel sitzt, ist es einfacher, die Konzentration auf einen bestimmten Bereich zu fokussieren”, ist sich das Psychologen-Duo sicher.
Optimal wäre eine völlig andere Grundsituation, sagen Greiner und Joiko: „Kleinere Klassen, Sozialpädagogen im Unterricht, schrittweise Zusammenlegung von Förder- und Regelschulen.” Aber auch sie wissen, dass solche Maßnahmen viel Geld kosten und nur schwer umzusetzen sind. „Deswegen versuchen wir, im Rahmen der Möglichkeiten das Beste aus der Situation zu machen.”