Bochum. „Überzeugend“, sagen die einen; „überflüssig“, die anderen. Das Millionen-Projekt Haus des Wissens polarisiert. Das ist im Inneren geplant.
Die aktuell teuerste Baustelle in Bochum und eines der spannendsten Architekturprojekte im Ruhrgebiet wirkt wie ein Provisorium aus Stahl und Stein. Mächtige Träger umklammern die Fassade des alten Postgebäudes gegenüber dem Rathaus in der Innenstadt. Dahinter ist so gut wie nichts.
Haus des Wissens Bochum: Architektur aus Aachen, Innengestaltung aus Berlin
Kaum vorstellbar ist, dass dieses Nichts in zwei bis drei Jahren der Ort sein soll, an und in dem die Zukunft der Bochumer City hängt. Das Haus Wissens soll Begegnungsstätte sein, Flaniermeile, ein Ort des Lernens, des Handels und vielleicht noch mehr. Wie es von außen aussehen wird, ist bekannt, seit das Aachener Büro Cross Architecture 2019 den Architektenwettbewerb gewonnen und sich mit einem Entwurf gegen 14 Konkurrenten durchgesetzt hat. Aber wie schaut es mal im Inneren aus?
Wer übernimmt die Gestaltung im Haus des Wissens?
Beauftragt damit ist das Architekturbüro Kinzo aus Berlin. „Unser Büro ist eine bunte Truppe aus Architekten, Innenarchitekten, Grafik- und Produktdesignern. Wir machen viel Bauen im Bestand und viel Innenarchitektur“, sagt Kinzo-Mitgründer Chris Middleton im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Projektliste seines Unternehmens ist lang und erlesen: Es hat u. a. das Center am Potsdamer Platz in Berlin neu gestaltet und den Adidas-Campus in Herzogenaurach entwickelt.
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Was ist das Besondere am Haus des Wissens?
„Wenn man sich das Raumprogramm ansieht, mit der Markthalle unten drin, mit der Stadtbibliothek, der Volkshochschule und der UniverCity, dann ist das sehr komplex“, sagt Middleton. Dazu komme noch die Dachterrasse. Räumlich habe sein Büro bereits Ähnliches gestaltet. „Aber was die Nutzungsmischung angeht, ist das wirklich einmalig. Hier ist alles öffentlich, wenn man von den Mitarbeitenden-Büros im vierten Stock absieht. Das hat eine ganz andere Dimension und Reichweite. Ich bin sehr überzeugt, dass das ein erfolgreiches Konzept werden kann. Allein die Idee, aus der Hochparterre einfach die Decke herauszunehmen und einen ebenerdigen, großzügigen Zugang zu schaffen, sodass der öffentliche Platz hineinfließt in das Gebäude und die hermetisch abgeriegelte Festung jetzt zugänglich gemacht wird. Das ist eine schöne Idee.“
Welche Aufgaben haben die Innenarchitekten konkret?
Kinzo wurde mit der Gestaltung der öffentlich zugänglichen Bereiche in dem fast 22.000 Quadratmeter großen Gebäude beauftragt. Das Büro hat Veranstaltungs- und Lehrbereiche, Ausstellungsbereiche, eine Bibliothek, offene Werkstätten sowie die Büroflächen für die Verwaltung entworfen. „Zu unserem Leistungsbild gehören die ganze Möblierung und feste Einbauten. Dazu gehören auch die vier Kioske. Anlaufstationen, die auf jeder Etage sind und die immer eine zentrale Position auf jedem Geschoss haben“, sagt Chris Middleton. Eine wesentliche Aufgabe sei außerdem die Wegeführung und Beschilderung. Es werde möglich sein, schnell von A nach B zu kommen – sozusagen über einen „Expressweg“: Es werde aber auch Panoramawege geben, die Zeit zum Flanieren und zum Endecken lassen. „Einerseits ist es wunderschön, sich zu verlaufen und das offene und komplexe Gebäude ganz individuell zu erlaufen. Aber man kann auch verloren gehen. Man braucht hin und wieder Ankerpunkte.“
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Kiosk? Das passt zum Ruhrgebiet. Aber es geht wohl kaum darum, Getränke, Eis und Fußballbilder zu verkaufen, oder?
Es geht um Begegnung. „Was wir vermeiden wollten, ist die klassische Tresensituation“, so Middleton. Es werde Stehtische, kleine Sitzbereiche und verschiedene Informationsquellen geben. Und: „Es wird immer eine Person geben, die an diesem Kiosk als Ansprechpartner zur Verfügung steht und jedem Besucher weiterhelfen kann.“ Die Kioske können Anlaufstelle und Treffpunkt sein. Kinzo entwickelt außerdem Medienwände, Medienregale, Raumteiler und Möbel.
Ist das Haus des Wissens eher ein funktionales Gebäude oder eines, das einlädt zum Flanieren, fast wie eine Mall, möglicherweise ein Wohlfühlort?
„Das Gebäude wird auf jeden Fall Flaniercharakter haben“, sagt der 48-Jährige; und das in allen Bereichen: im aktuell weitgehend entkernten Altbau ebenso wie im Neubau, der als Open Space konstruiert ist, und erst recht in der Markthalle und auf der Dachterrasse. Vorne links am Eingangsbereich soll es ein Café geben, auf der gegenüberliegenden Seite am Ausgang der Markthalle ist eine Weinbar geplant.
Wie werden die Möbel aussehen?
Abgeschlossen ist diese Planung noch nicht, aber für den öffentlichen Teil zu 80 Prozent erledigt, heißt es. Es wird Logen geben, in denen sich Besucher zurückziehen können, an den Brüstungen werden Bürgerregale und Stehtische angebracht sodass man sich nur an der Brüstung stehen und festhalten, sondern auch stehen bleiben kann, sich ein Buch aus dem Regal holen und lesen kann. „Wir nennen das Lümmelbretter“, so Middleton. Es gehe darum, kleine Ort zu schaffen, „wo für jeden mal was dabei ist; die vielleicht hin und wieder auch polarisieren“. An der rückwärtigen Fassade des Altbaus, die derzeit komplett verschwunden ist, sollen große Fensteröffnungen entstehen, „wo man wie in einer Theaterloge sitzt“.
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Wie müssen wir uns das Gebäude von Innen vorstellen? Wird es poppig bunt, wird es nüchtern aussehen? Helle Töne, eine warme herzliche Atmosphäre oder eher das Gegenteil?
„Warm und herzlich soll es durchaus sein. Aber es ist nicht übertrieben wohnlich. Es sind viele Flächen in Beton belassen bzw. Asphaltboden; einfache Materialien, die eher einen industriellen Charakter haben; aber dabei eine Ausstrahlung haben, die aussagen soll, es geht jetzt nicht so schnell kaputt, keine Hemmschwelle. Das ist ein Ort, den jeder benutzen kann und soll“, sagt der Kinzo-Chef. Geplant seien auch ungewöhnliche Details, so etwa große Büchertüren, die einseitig zwischen Boden und Decke eingespannt sind und die Regal, Raumteiler und Eingangstür sein können.
Wann wird das Haus des Wissens fertig sein?
Geplant ist die Fertigstellung und Eröffnung 2026.