Bochum. Zufriedenstellend lief es 2023 aus Sicht der Bogestra. Sie verzeichnet steigende Fahrgastzahlen und Umsätze. Es gibt aber auch eine Kehrseite.
Von einem „zufriedenstellenden Geschäftsverlauf“ ist im Lagebericht 2023 der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG die Rede. Angeführt dafür werden vor allem gestiegene Fahrgastzahlen und Umsätze. Aus Sicht von Kritikern ist das allerdings nur eine Seite der Medaille. Die andere sieht so aus: Die Verbindlichkeiten des Nahverkehrsunternehmens sind mittlerweile auf 308 Millionen Euro angewachsen. Bedrohlich hoch. So hoch, dass nun sogar Investitionen ausbleiben würden.
Bogestra-Sprecher kündigt weitere Investitionen an
„Falsch“, heißt es dazu bei der Bogestra. Die im Investitionsplan 2023 vorgesehenen 68 Millionen Euro für Anschaffungen in Infrastruktur und Fahrzeuge seien nicht aufgehoben, sondern lediglich aufgeschoben. „Bei den genannten Investitionen handelt es sich um Projekte, die teilweise bereits in 2023 begonnen wurden, deren Fertigstellung und Inbetriebnahme aber erst in den nachfolgenden Jahren erfolgen wird“, sagt Bogestra-Sprecher Christoph Kollmann. In der Bilanz tauchten die neuen Anlagen daher erst in den nächsten Jahren auf. Als Beispiel wird etwa ein mit Anschaffungskosten von 22 Millionen Euro versehenes Stellwerk genannt. Derzeit werde die Ausschreibung dafür vorbereitet.
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Insgesamt habe die Bogestra in den vergangenen zehn Jahren 470,06 Millionen Euro investiert. Und: „Auch in Zukunft werden wir weiter investieren“, so Kollmann.
Schulden sind von 54 auf 308 Millionen Euro gestiegen
Gleichwohl ist die finanzielle Lage des Unternehmens herausfordernd. Denn: Seine Verbindlichkeiten sind in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Sie haben sich zwischen 2003 und 2013 verdoppelt: von 54 auf 108 Millionen Euro; und in den folgenden zehn Jahren bis 2023 sogar beinahe verdreifacht. Ende 2023 beliefen sie sich auf 308 Millionen Euro.
Die Zinsaufwendungen dafür sind erheblich. Zwar sind die Finanzierungskosten für langfristige Verbindlichkeiten im vergangenen Jahr leicht gesunken; von 6,04 Millionen auf 5,88 Millionen Euro. Angesicht der allgemeinen Zinsentwicklung dürften sie in den nächsten Jahren aber eher steigen.
Personal macht 57,1 Prozent der Gesamtkosten aus
Aus Sicht von Bochums Ratsmitglied Volker Steude (Stadtgestalter) ist daher längst der unabhängige Blick eines externen Beraters auf das Zahlenwerk nötig. Er fürchtet, dass über kurz oder lang das Streckenangebot der Bogestra eingedampft werden könnte, da momentan substanzielle Einsparungen vor allem über die Personalkosten möglich seien. Sie haben im Vorjahr 142 Millionen Euro und damit 57,1 Prozent der gesamten Kosten ausgemacht. Lösen lässt sich das Dilemma aus Steudes Sicht nur mit weitgehenden Schritten. Dazu gehöre die Verschmelzung mehrerer Nahverkehrsunternehmen zu einem Anbieter im Ruhrgebiet. So ließen sich Kosten im erheblichen Umfang einsparen.
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Tatsächlich hat es immerhin schon zarte Versuche von Kooperationen gegeben. Den jüngsten haben Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) und sein Essener Pendant Thomas Kufen (CDU) Anfang des Jahres unternommen, als sie den Einstieg in eine Kooperation von Bogestra (Bochum/Gelsenkirchen) und Ruhrbahn (Essen) vorgestellt haben.
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Allein, so das Argument des Bogestra-Kritikers Steude, ist das hiesige Nahverkehrsunternehmen nicht stark genug für notwendige Veränderungen. Die Eigenkapitalquote von 11,6 Prozent sei zu niedrig, die Bogestra daher eigentlich ein „Sanierungsfall“.
Auch das ist aus Sicht des Unternehmens falsch. Da die Bogestra zu einer sehr anlagenintensiven Branche gehöre, sei die Eigenkapitalquote nur bedingt aussagekräftig, heißt es. Fakt ist: Der Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital ist in den vergangenen zehn Jahren von 27,4 auf 11,6 Prozent gesunken. Als Faustformel gilt: Je höher die Eigenkapitalquote, desto höher sind die finanzielle Stabilität sowie die Unabhängigkeit von Geldgebern.
Lage spitzt sich für die gesamte Branche zu
Das Unternehmen verweist derweil auf die schwierige Lage der gesamten Branche. „Die finanzielle Situation im deutschen Nahverkehr ist dramatisch und spitzt sich weiter zu“, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). „Steigende Kosten bei Personal und Material, gekürzte Förderprogramme – wie etwa bei der E-Bus-Förderung – und angekündigte weitere finanzielle Einschnitte stellen zusätzlich auch die Kommunen und Bundesländer als Aufgabenträger des ÖPNV und SPNV vor große Probleme. Mit zunehmenden Auswirkungen auf den Erhalt des Angebotes.“ Das Deutschland-Ticket habe die „strukturelle Unterfinanzierung der Branche“ noch verfestigt.