Bochum. Milena muss eine Klasse wiederholen und in Bochum die Schule wechseln – ihr Jahrgang existiert nur dort. Was ihr Angst, aber auch Hoffnung macht.

„Ich glaube, die meisten haben keine Angst, weil sie sitzenbleiben, sondern weil sie wissen, dass sie die Schule wechseln müssen“, erklärt Milena Boye. Die 18-Jährige ist seit diesem Halbjahr Schülerin auf dem Märkischen Gymnasium in Wattenscheid – und wiederholt die zehnte Klasse.

Wie für viele andere Schülerinnen und Schüler im Stadtgebiet ist das sogenannte Bündelungsgymnasium ihre einzige Chance, das Abitur trotz Wiederholens im Rahmen von G8 abzuschließen. Denn ihren Jahrgang gibt es eigentlich nicht mehr. Gegenüber der WAZ-Redaktion verrät die Bochumerin, was ihr im Vorhinein am meisten Sorgen bereitet hat und welche Chancen sie im Schulwechsel für Gymnasiasten sieht.

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Zum Hintergrund: Ursprünglich führte die Landesregierung im Jahr 2005 für alle Schulen in NRW das Abitur nach acht Jahren (G8) ein. Aufgrund fehlender Akzeptanz sei zum Schuljahr 2019/2020 eine Rückkehr zu G9 veranlasst worden, heißt es vom Schulministerium NRW. Dadurch gibt es in diesem Schuljahr 2023/2024 keine Einführungsphase (EF) mehr auf den Gymnasien – die 10. Klasse gehört nun wieder zur Mittel- und nicht zur Oberstufe.

Um einen Wechsel und das Wiederholen trotzdem zu ermöglichen, wurden einige Schulen zu „Bündelungsgymnasien“ erklärt. Sie haben einen zusätzlichen Jahrgang eingerichtet, in dem alle Betroffenen aus der Region, die nicht versetzt wurden oder als Seiteneinsteiger aufs Gymnasium kommen, aufgenommen werden. Im Stadtgebiet Bochum ist das Märkische Gymnasium Wattenscheid die einzige Bündelungsschule.

Märkisches Gymnasium Wattenscheid: Hier kommen alle Schülerinnen und Schüler hin, deren Stufe es offiziell nicht mehr gibt. (Archivbild)
Märkisches Gymnasium Wattenscheid: Hier kommen alle Schülerinnen und Schüler hin, deren Stufe es offiziell nicht mehr gibt. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Über ein Jahr Bündelungsgymnasium: Wurden die Herausforderungen gemeistert?

Kerstin Guse-Becker, Schulleiterin des Märkischen Gymnasiums Wattenscheid, blickt auf ein „ruckeliges“ erstes Schuljahr mit der neuen Stufe zurück: Die Schülerinnen und Schüler hätten erstmal die „Gepflogenheiten“ lernen und herausfinden müssen, wie der Schulalltag bei ihnen ablaufe. „Mittlerweile ist es ruhiger geworden“, erklärt die Rektorin. Der Jahrgang mit 72 Schülern sei jetzt „eine völlig normale Stufe“. Anfangs habe es vonseiten der Eltern Bedenken wegen der teils langen Fahrtwege gegeben, doch die Schule sei gut an den ÖPNV angebunden, wodurch sich alle eingependelt hätten.

Der Jahrgangsstufenleiter, Oliver Kröger, sieht zwei zentrale Herausforderungen: Einerseits hätten sich die Schülerinnen und Schüler erstmal gegenseitig kennenlernen müssen – es habe keine „über Jahre gewachsene Strukturen“ gegeben. Andererseits stellte die Heterogenität des Jahrgangs eine Herausforderung für den Unterricht dar. Schließlich kommen dort sowohl ehemalige Realschüler als auch Gymnasiasten zusammen. Deshalb sei für die Bündelungsstufe eine zusätzliche Stunde in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik eingeführt worden.

Schülerin berichtet vom Druck: „Ich hatte tatsächlich Angst“

„Mir ist in der Einführungsphase schon aufgefallen, dass ich Lücken aufgebaut habe. Aber die werden irgendwann zu groß“, beginnt Milena Boye. Für die 18-jährige Schülerin war es eine rationale Entscheidung, die zehnte Klasse teilweise zu wiederholen – trotz Schulwechsels. „Ich hätte mich mit den Lücken nicht verbessern können, weil alles aufeinander aufbaut“, fügt sie hinzu. Die Noten seien schlechter geworden, der Wunsch nach einem guten Abschluss überwog, sodass sie das „Neue Gymnasium Bochum“ gegen die Bündelungsschule in Wattenscheid austauschte. „Ich hatte tatsächlich zunächst Angst, nicht versetzt zu werden.“

Schulleiterin Kerstin Guse-Becker blickt auf ein „ruckeliges“ erstes Jahr mit dem neuen Jahrgang zurück. Doch mittlerweile hätten sich alle eingependelt, sagt sie. (Archivbild)
Schulleiterin Kerstin Guse-Becker blickt auf ein „ruckeliges“ erstes Jahr mit dem neuen Jahrgang zurück. Doch mittlerweile hätten sich alle eingependelt, sagt sie. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Lara Förster

Wie hat Milena die Zeit vor dem Wechsel empfunden? „Das ist jetzt blöd“, war ihr erster Gedanke. Schließlich habe sie sich an das Gebäude gewöhnt, an die Unterrichtszeiten, Freunde gefunden. Hinzu kommt: Milena musste bereits wegen eines Umzuges von Hannover nach Bochum ein Jahr wiederholen – damals änderte sich ihr Schulalltag von G9 zu G8.

„Das Neu-Sein“,davor hatte sie am meisten Angst. „Du kommst dahin und erstmal gucken dich alle an. Wer ist das? Was macht die hier?“, erzählt Milena. Am ersten Tag habe sie „extremes Herzrasen“ gehabt, doch kurz danach verflog die Aufregung. Auch, weil einige ihrer Freunde bereits auf das Bündelungsgymnasium gewechselt hatten und alle im Jahrgang neu sind.

Bochumerin spricht Schülern Mut zu – die Vorteile überwiegen

„Es ging schnell, dass ich mit Leuten ins Gespräch gekommen bin“, sagt die 18-Jährige. Bislang habe die neue Schule hauptsächlich Vorteile: Sie könne neue Leistungskurse wählen, sei wieder mit ihren Freunden auf einer Schule, habe sogar eine kürzere Anfahrt. Allerdings sei das Märkische Gymnasium für einige ihrer Mitschüler sehr weit entfernt – manche seien davon genervt. Hinzu kommt: „Als Wiederholerin habe ich keinen Anspruch auf eine Nachprüfung am Ende der EF.“

„Ich hatte am Anfang auch Angst, aber es öffnet einem ganz andere Türen. Es gibt einem mehr Chancen als Nachteile.
Milena Boye (18), Schülerin

Der Druck auf die Gymnasiasten ist durch den Wechsel zu G9 gestiegen. Milena Boye hat dieses Gefühl am eigenen Leib erfahren. Was rät sie den Schülern, die in einer ähnlichen Lage sind? „Ich hatte am Anfang auch Angst, aber es öffnet einem ganz andere Türen. Es gibt einem mehr Chancen als Nachteile.“