Düsseldorf. Wer aus dem letzten G8-Jahrgang in der 10. sitzenbleibt, muss sein Gymnasium verlassen. Was das Land NRW plant und Elternvertreter kritisieren.
Durch die Umstellung auf G9 droht angehenden Abiturienten aus dem letzten G8-Jahrgang das Szenario, nach der zehnten Klasse das Gymnasium verlassen zu müssen. Die Gründe dafür lassen sich im nordrhein-westfälischen Schulrecht finden – und sorgen für große Kritik aus der Elternschaft.
Zum Schuljahr 2019/20 kehrte NRW zurück zum G9-System. Das Abitur gibt es seitdem nach neun Jahren, nicht mehr nach acht. Der letzte G8-Jahrgang begann im Sommer 2018 und befindet sich mittlerweile in der neunten Klasse. Er steht somit kurz davor, in die Oberstufe zu kommen, die mit der zehnten Klasse beginnt.
Die zehnte Stufe fällt in G9 wiederum in die Mittelstufe, und genau das könnte zum Problem für den letzten G8-Jahrgang werden: Das Schulrecht in NRW verbietet es nämlich, von der Ober- in die Mittelstufe zu wechseln. Wer aus dem letzten G8-Jahrgang in der zehnten Klasse sitzenbleibt, wird gezwungen, das eigene Gymnasium zu verlassen. Was soll mit den betroffenen Jugendlichen passieren?
Land plant Bündelungsschulen in Nordrhein-Westfalen
Es gibt verschiedene Varianten. Möglich ist, frühzeitig die neunte Klasse zu wiederholen, um in eine G9-Stufe zu rutschen, oder ein Wechsel auf eine andere Schulform: Gesamtschule, Berufskolleg oder ein sogenanntes Bündelungsgymnasium, deren Einrichtung das NRW-Schulministerium plant. Demnach soll in allen Kreisen und kreisfreien Städten eine entsprechende zentrale Jahrgangsstufe für Wiederholer und Seiteneinsteiger eingerichtet werden, heißt es aus dem Ministerium.
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- Corona: Schulen können über Distanzunterricht entscheiden.
- Immer mehr Schüler fehlen im Unterricht.
- Langfristige Erkrankungen nehmen bei Lehrkräften zu.
Lediglich ein geringer Anteil der Schülerinnen und Schüler aus der Stufe dürfte überhaupt davon betroffen sein. Dennoch gibt es in Elternkreisen arge Bedenken gegen diese Bündelungsgymnasien. Die „Stadteltern Dortmund“, eine Interessengemeinschaft von engagierten Eltern, befürchten ein „gymnasiales Debakel“. Die Bündelungsschulen könnten ein Ort werden, „an dem alle ‘schlechten Schüler’ stigmatisiert und konzentriert werden“. Die Kinder würden aus dem sozialen Umfeld gerissen und einen deutlich längeren Schulweg aufnehmen müssen – gerade in ländlicheren Kreisen. „Wir dezimieren Chancengleichheit und verlieren das Auge für Maßvolle Entscheidung“, befürchtet der Verband. „Wir schieben Jugendliche aus Rechtsgründen ab.“
Jochen Ott, schulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, glaubt, dass Bündelungsschulen „im Notfall eine Chance für einen Neustart bedeuten“ – wenn sie pädagogisch gut seien und über eine entsprechende personelle Ausstattung verfügen. „Allerdings ist für viele Jugendliche der Wechsel sehr schmerzhaft. Sinnvoller wäre deshalb eine Schule in Wohnortnähe der Jugendlichen.“ Die Fraktion habe die Landesregierung daher aufgefordert, in einem schriftlichen Bericht darzulegen, welche schulrechtlichen Lösungen im Rahmen der Umstellung von G8 auf G9 im Falle bei Nichtversetzungen und Wiederholungen greifen soll.
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„Ich plädiere eindringlich, dass Eltern und Schule jetzt schon potenziell von einer Nichtversetzung gefährdete Jugendlichen besonders unterstützen, um eine Wiederholung später in der 10. Klasse bestmöglich zu vermeiden“, so Ott, der den Eltern und Kindern den Austausch mit der Schule empfiehlt. „Wichtig ist es jetzt, die Eltern wie vor allem die Jugendlichen nicht einfach mit einer bloßen Information über die Rechtslage alleine zu lassen“, meint Ott. „Gerade die Jugendlichen, die seit nunmehr zwei Jahren von Corona und von der Umstellung auf G9 nun zusätzlich betroffen sind, brauchen unsere besondere Unterstützung.“
Ob nun ein Wechsel zu einer Bündelungsschule, auf eine andere Schulform oder eine vorzeitig geplante Wiederholung der neunten Klasse – die Varianten sollten womöglich gefährdete Schülerinnen und Schülern und die Eltern mit den Lehrkräften durchspielen. Und zwar bald, die Zeit drängt. Schließlich rückt Jahrgangsstufe zehn Monat für Monat näher.
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Caroline Lensing von der Lehrergewerkschaft GEW betont, dass die Lehrkräfte die Experten seien, die sagen könnten, ob einem Schüler oder einer Schülerin gefährdet ist, den Sprung in die elfte Klasse zu verpassen und rät ebenfalls zum Dialog. „Ich kann verstehen, dass Eltern diese Situation nervös macht“, sagt Lensing. „Aber die Schulen sind umsichtig.“
An Karen Schneiders Schule, dem Konrad-Duden-Gymnasium in Wesel, werden solche Gespräche bereits geführt. „Dieser Jahrgang ist der letzte, der G8 macht – mit allen Vor- und Nachteilen“, sagt die Schulleiterin. Schneider sieht „keine Alternative“ zu den Varianten wie Bündelungsschulen, ist sich aber sicher: „Jeder findet einen Schulplatz, der erreichbar ist.“