Bochum. Jedes fünfte Kind ist anfällig für psychische Probleme. Nun hat ein innovatives Projekt begonnen, direkt in Bochums Klassenräumen. Ein Einblick.

Mehr als jedes fünfte Kind ist anfällig für psychische Probleme, auch in Bochum. „Wir möchten wirklich etwas verändern“, sagt Silvia Schneider, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie. Seit rund einem Jahr läuft in Wattenscheid ein Projekt bei Beratungsstellen, der Jugendhilfe, in Schulen und Kitas. 21 Institutionen wurden angefragt, ob sie teilnehmen möchten. Alle haben zugesagt.

Langfristiges Forschungsprojekt aus Bochum für Bochum

„Es handelt sich nicht um ein Präventionsprogramm, das ein Jahr da ist und dann wieder weg. Das Projekt soll nachhaltig sein und nach Jahren noch einen Effekt haben“, erklärt Schneider, die das Forschungs- und. Behandlungszentrum für psychische Gesundheit (FBZ) in Bochum leitet.

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Die Auswirkungen von Corona auf die Kinder und Jugendlichen seien massiv. „Wir stellen fest, wie viele Bedarfe die Kinder haben, wenn sie in die Schule kommen“, sagt Bochums Sozialdezernentin Britta Anger bei einem Pressegespräch am Montag, bei dem das Projekt „Urban Mental Health“ vorgestellt wurde. Das Ziel der Stadt sei es, Kindern einen guten Start in Bochum zu ermöglichen. Deswegen habe die Stadt das Vorhaben, bei dem Wissenschaft, Politik und Praxis zusammenarbeiten, über Fördermittel angestoßen. Nun ist es eines der Leuchtturmprojekte des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG), das einen Sitz im FBZ hat.

In Bochum läuft derzeit das Projekt „Urban Mental Health“, das Wissenschaft, Politik und Praxis zusammen bringt. Daran beteiligt sind unter anderem Lukka Popp, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungs- und. Behandlungszentrum (FBZ) und Projektkoordinatorin, Silvia Schneider, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie sowie Direktorin des FBZ, Britta Anger, Sozialdezernentin der Stadt Bochum und Kerstin Guse-Becker, Schulleiterin am Märkischen Gymnasium in Wattenscheid.
In Bochum läuft derzeit das Projekt „Urban Mental Health“, das Wissenschaft, Politik und Praxis zusammen bringt. Daran beteiligt sind unter anderem Lukka Popp, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungs- und. Behandlungszentrum (FBZ) und Projektkoordinatorin, Silvia Schneider, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie sowie Direktorin des FBZ, Britta Anger, Sozialdezernentin der Stadt Bochum und Kerstin Guse-Becker, Schulleiterin am Märkischen Gymnasium in Wattenscheid. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Mit Blick auf psychische Probleme erklärt Schneider: „Es beginnt in der Kindheit und fängt nicht plötzlich im Erwachsenenalter an.“ Drei Viertel aller Erkrankungen entstünden vor dem 24. Lebensjahr. An diesen Punkten soll das Projekt „Urban Mental Health“ ansetzen – präventiv und nicht erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist.

Alle angefragten Einrichtungen in Wattenscheid machen mit

Anders als sonst üblich gibt es aber keinen vorgegebenen Rahmen, wie die Arbeit in den 21 Einrichtungen abläuft. Vielmehr wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort zunächst zuhören. „Wir haben mit jeder einzelnen Einrichtung einen Plan entwickelt, der flexibel ist“, erklärt Lukka Popp, Koordinatorin des Projekts.

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„Werden Fachkräfte entlastet, geht es auch den Kindern besser. So tragen wir dazu bei, dass psychische Störungen gar nicht erst entstehen“,
Silvia Schneider - Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie

Etwa 45 Prozent der Fachkräfte in den sozialen Einrichtungen fühlen sich ersten Ergebnissen zufolge ausgelaugt. Deshalb habe man vor Ort konkret gefragt: Was würde Ihnen jetzt helfen? „Jemand wie sie, der mehr positive Soziologie in den Unterricht bringt“, habe es an einer Grundschule in Wattenscheid geheißen. Ein Problem an einem Berufskolleg hingegen waren die fehlenden Praktikumsplätze. „Die Schülerinnen und Schüler haben wir dann bei uns untergebracht“, erklärt Popp, die ebenfalls für das FBZ in Bochum arbeitet.

Der Ansatz: „Werden Fachkräfte entlastet, geht es auch den Kindern besser. So tragen wir dazu bei, dass psychische Störungen gar nicht erst entstehen“, so Schneider.

Projekt hat auch am Märkischen Gymnasium in Wattenscheid begonnen

Auch am Märkischen Gymnasium, wo das Pressegespräch zum Projekt stattgefunden hat, hat dieses bereits begonnen – mit Fortbildungen für die Lehrkräfte. „Dabei ging es um Informationen zur psychischen und mentalen Gesundheit. Wir als Lehrer wurden informiert und geschult, den Fokus darauf zu richten“, erklärt Lehrerin Alexandra Rettich.

Erste Evaluationen zeigen: Die Gesundheitskompetenz der Lehrkräfte habe sich nach Schulungen deutlich verbessert. Der Großteil würde die Projektteilnahme weiterempfehlen.

Silvia Schneider ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Direktorin des Forschungs- und. Behandlungszentrum für psychische Gesundheit (FBZ) in Bochum.
Silvia Schneider ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Direktorin des Forschungs- und. Behandlungszentrum für psychische Gesundheit (FBZ) in Bochum. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Kerstin Guse-Becker, Leiterin des Märkischen Gymnasiums, ordnet ein: „Die Schülerinnen und Schüler sind aus der Pandemie zurückgekommen, weit entfernt von dem, wo sie vorher waren.“ Oftmals würden sie mit Problemen auf die Lehrkräfte zukommen, ein großer Vertrauensbeweis. „Gleichzeitig belastet es die Kolleginnen und Kollegen aber auch.“ Sie möchten sich kümmern, tun das. Aber: „Um ihnen unterstützende Maßnahmen anbieten zu können, brauchen auch wir als Kollegium Unterstützung“, so Guse-Becker.

Nachdem in der ersten Projektphase der Fokus auf Beratungsstellen, der stationären und ambulanten Jugendhilfe begleitet wurden, sind aktuell die Schulen dran. Als Drittes folgen dann bald die Kitas.

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Projekt soll auf ganz Bochum ausgeweitet werden

Silvia Schneider erklärt: „Wir fangen in Wattenscheid an.“ Dauerhaft ist eine Ausweitung auf ganz Bochum geplant. Viele Studien würden zudem übereinstimmend zeigen, dass diejenigen, die in der Stadt leben, ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben.

Doch wie wollen die Verantwortlichen es schaffen, dass das Projekt wirklich dauerhaft und nachhaltig ist? „Wir evaluieren jeden Teil und sehen: Das eine macht einen großen Unterschied, das andere wäre nice to have.“ Entstehen soll ein Leitfaden, nach dem Motto: Wenn sich etwas verbessern soll, müssen diese Punkte umgesetzt werden. „Am Ende geht es natürlich auch um Ressourcen“, so Schneider.