Bochum. Negativschlagzeilen hat Bochum lange geschrieben. Nach dem Opel-Aus sei eine Wende gelungen, so Wirtschaftsförderer Meyer. Er mahnt aber auch.

Mitten im größten Umbruch der Stadt, der Schließung des Opel-Werks im Dezember 2014, hat Ralf Meyer seine Arbeit in Bochum aufgenommen. Als Wirtschaftsförderer sollte er den wirtschaftlichen Wandel der Stadt mit vorantreiben. Nach mehr als neun Jahren räumt der 63-Jährige Ende März seinen Sessel an der Spitze der Bochum Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft. Bis Ende 2025 bleibt er aber weiterhin Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive, die den Umbau vom Opel-Werk zum Wissens- und Technologiestandort Mark 51/7 in Laer vorantreibt. Im Interview mit dieser Redaktion spricht er von Lernprozessen und Erfolgen. Und er warnt vor selbstzufriedener Genügsamkeit.

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WAZ: Herr Meyer, Sie haben als einer der Geschäftsführer vor etwa zehn Jahren die Wirtschaftsentwicklung in Bochum übernommen. Wie hat sich die Stadt seitdem verändert? Und wie haben Sie sich verändert?

Ralf Meyer: Bochum hat sich stark entwickelt, kein Vergleich zu 2014. Damals stand die Schließung von Opel unmittelbar bevor, das Aus von Nokia war noch nicht lange her. Offen war die Zukunft von Vonovia. Wir standen als Wirtschaftsentwicklung vor großen Herausforderungen und haben es geschafft, das Blatt zu wenden: Raus aus den Negativschlagzeilen hin zum Aufbruch. Bis 2020 ist es uns sehr gut gelungen, diesen Aufbruch spürbar zu machen. Die Pandemie war ein harter Einschnitt. Aber wir waren in Bochum solidarisch und haben Verantwortung übernommen, ob im Handel, in der Verwaltung, in der Politik oder bei den Unternehmen. Wir haben zusammengehalten und gemeinsam an Lösungen gearbeitet. Etwas Vergleichbares habe ich während meines gesamten Berufslebens - und ich bin schon ein bisschen älter - so noch nicht erlebt.

Ihr Fazit?

Für mich war das eine ganz besondere Erfahrung. Unter dem Strich gilt: Mit Blick auf die Bochumer Innenstadt sind wir gut durch die Pandemie gekommen. Wir haben als eine der wenigen Städte eine Antwort auf die Frage gefunden, was passiert, wenn die große Zeit des Einzelhandels zu Ende geht. Die Förderprogramme des Landes und des Bundes helfen uns dabei, gleich ob auf Mark 51/7 oder bei der Entwicklung der Innenstadt. Wir haben die Tür aufgestoßen und ich hoffe, dass dieser Druck und Ehrgeiz, den wir damit erzeugt haben, erhalten bleibt und wir uns nicht mit unseren Erfolgen zufriedengeben.

Heute bleiben mehr Uni-Absolventen in Bochum als früher

Gibt es denn Anzeichen dafür, dass sich die Zufriedenheit schon einstellt?

Nein. Wir haben uns zwar besser entwickelt als andere, worauf wir stolz sind, vergessen jedoch nicht, weiterzumachen.

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2015 haben Sie in einem Interview gesagt, Bochum müsse der Talentschuppen der Nation werden und dass ein Schwerpunkt der Wirtschaftsentwicklung sein müsse, sich um Ausgründungen aus den Universitäten zu kümmern. Wie viel Talent steckt in Bochum und wie viel davon ist in Firmen und Firmengründungen eingeflossen?

Sinnbild für  Bochums wirtschaftlichen Wandel und Aufschwung: Aus dem früheren Opel-Werk ist das Innovationsquartier Mark 51/7 geworden.
Sinnbild für Bochums wirtschaftlichen Wandel und Aufschwung: Aus dem früheren Opel-Werk ist das Innovationsquartier Mark 51/7 geworden. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Es ist uns sehr gut gelungen. Meine Erwartungen haben wir übertroffen. Universität, Stadt und Unternehmen sind zusammengewachsen. Wir profitieren von der außergewöhnlichen Situation auf Mark 51/7. Auf rund 70 Hektar Fläche konnten wir Unternehmen ansiedeln, Raum zur Expansion bereitstellen und damit Talenten eine Perspektive in der Stadt bieten. Ich hatte damals gesagt, dass wir zwar erstklassige Fachkräfte ausbilden, sie aber nicht halten können. Es gibt heute mehr Studierende, die nach ihrem Abschluss in Bochum leben und arbeiten, weil wir Unternehmen wie Volkswagen Infotainment, Bosch/Etas, Keysight Technologies oder die Innolectric AG überzeugen und für Bochum gewinnen konnten.
In der Bochum-Strategie hatten wir festgehalten, Shootingstar der Wissensarbeit zu sein. Auf den Fußball übertragen, haben wir in der Zweiten Liga gespielt und den Aufstieg geschafft. Heute würde ich das anders bewerten: Wir sind nicht mehr Shootingstar, sondern wir spielen in der Champions League der Wissensarbeit.

Sie wollten Technologiegründungen mit einem Beteiligungsfonds fördern. Ist das gelungen?

Ich habe mich sehr um eine lokale Beteiligungsform für die Technologieszene bemüht. Zweimal standen wir auch kurz vor einem Abschluss. Leider hat das nicht funktioniert. Allerdings ist es auf regionaler Ebene mit dem Ruhr-Hub gelungen. Mittlerweile haben wir im Ruhrgebiet eine gute Versorgung für Technologieunternehmen mit Investoren und Kapital von privater Seite. Wir haben es auch geschafft, dass die Versorgungslage für die Start-Ups mit Eigenkapital im deutschlandweiten Vergleich sehr gut ist.

Städte im Ruhrgebiet müssen ihre Alleinstellungsmerkmale entwickeln

Ist das ein gutes Beispiel dafür, dass es hier mittlerweile doch gelingt, über den Kirchturm hinauszudenken?

In Teilbereichen ist uns das gelungen. Aber auch hier hatte ich meine persönliche Lernkurve: Als ich ankam, bin ich dem gängigen Narrativ gefolgt und davon ausgegangen, das Ruhrgebiet sei unser gemeinsames Dach und dass sich unter diesem Dach die Städte entwickeln. Heute sehe ich das anders und würde im übertragenen Sinn das Dach zum Boden machen: Das Ruhrgebiet ist ein fruchtbarer Boden. Die einzelnen Städte haben Alleinstellungsmerkmale, die sie weiterentwickeln müssen.

Das gelingt noch nicht wirklich überall, oder?

Nein. Die Städte müssen ihre Alleinstellungsmerkmale zeigen, damit das Ruhrgebiet interessanter wird. Wir erzählen nach wie vor von der Montanindustrie, von Kumpels, Kiosken und Fußball. Wenn ich aber die Talente der Städte anschaue, erkenne ich, dass Bochum tatsächlich europäische Spitze bei dem Thema Cybersecurity ist. Duisburg zeichnet sich durch seine exklusive Lage am Rhein aus. Dortmund hätte das Potenzial, im KI-Bereich mit den vielen Forschungsinstituten und der Universität viel mehr zu strahlen. Essen könnte die Hauptstadt der Unternehmenssitze im Energiebereich sein. Fünf Millionen Einwohner, ein großes kulturelles Angebot, viele Einkaufsmöglichkeiten – das ist quasi der Boden, auf dem wir alle aufbauen. In der Spitze aber sollte jede Stadt selbstbewusst ihre Alleinstellungsmerkmale zeigen, ohne sich vom Ruhrgebiet zu lösen.

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Ruhrgebiet ist mehr als ein Industriemuseum

Ist das ein Sinneswandel, den alle haben müssten?

Aus meiner Sicht würde es dem Ruhrgebiet guttun, unsere Spitzenleistungen und hervorragenden Alleinstellungsmerkmale deutlicher zu präsentieren. Dann gäbe es ein anderes Narrativ. Wenn es aber nur ums Revier als Industriemuseum geht, haben es die kleinen Pflänzchen unheimlich schwer zu wachsen beziehungsweise Strahlkraft zu entwickeln. Nehmen wir die Region als fruchtbaren Boden und lassen sie uns zeigen, was hier wächst. Gelingt uns das, können wir die Stärken des Ruhrgebiets wesentlich besser nach außen transportieren. Ich fände es sehr sinnvoll, wenn wir uns darauf einigten.

Bochums Wirtschaftsförderer Ralf Meyer im Gespräch mit WAZ-Redakteur Andreas Rorowski.
Bochums Wirtschaftsförderer Ralf Meyer im Gespräch mit WAZ-Redakteur Andreas Rorowski. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Sie wollten Bochum bundesweit adressieren. Welche Adresse hat die Stadt denn heute. Ist sie eine 1A- oder eine 3B-Lage?

Bochum ist keine A-Lage. Die Frage ist, ob es nicht viel interessanter ist, eine B-Stadt zu sein. Dann habe ich nämlich viele Vorteile, die A-Städte von Berlin bis München nicht mehr bieten können. Dazu gehört zum Beispiel bezahlbarer Wohnraum. Bochum ist in diesem Segment auf einem guten Weg, anderen Städten weit voraus zu sein.

Es muss also kein Nachteil sein, sondern sogar fast einen Vorteil, vorne in der zweiten Reihe platziert zu sein?

Ja. Und es gibt auch nicht die Möglichkeit, eine A-Stadt zu werden. Wir können nicht wachsen. Daraus folgen konkrete Entscheidungen, etwa die Entwicklung des Innovationsquartiers Mark 51/7. Eine solche Fläche für zehn oder 20 Jahre liegen zu lassen, konnten wir uns in Bochum nicht leisten. Wir mussten zeigen, wie schnell sich eine solche Fläche wandeln lässt. Das sind Chancen, die es nur in sogenannten B-Städten gibt. Daraus wächst die Kraft zum Aufbruch.

Einzige Bundesligastadt mit einem Stadion im Zentrum

Der Umbau der Opel-Flächen wird hochgelobt: wegen seines Tempos, wegen der Gestaltung des Areals, des Branchenmix‘, der Nachhaltigkeit, der Nutzung von Geothermie. Noch entwickelt sich das Ganze. Wenn erst einmal alles fertig ist, droht dann die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in Bochum zu stoppen? Fehlt der nächste verheißungsvolle Ort, um Visionen zu denken und umzusetzen?

Mark 51/7 war eine Antwort auf die Herausforderungen aus den Jahren 2013/14. Vor dem Hintergrund von Homeoffice und Desksharing werden Büro-, Labor- und Produktionsflächen ganz anders genutzt. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Bochum aber auch hier hervorragend aufgestellt sind, um auf diese neuen Anforderungen zu reagieren.

Aber es gibt nicht immer diese wunderbare Geschichte vom traditionsreichen Autowerk und dem Aufbruch zu neuen Ufern?

Es wird neue Geschichten geben. Genau genommen gibt es auf Mark 51/7 keine Fortschreibung, sondern eine neue Geschichte. Ich bin mir sicher, dass wir auch in Zukunft viel erzählen können, zum Beispiel über das Haus des Wissens. Da haben wir uns auf den Weg gemacht, häufig gegen Widerstände. Vor einigen Wochen war ich in Aachen und habe der Stadtgesellschaft darüber berichtet. Da hieß es, es könne doch nicht sein, dass Bochum Aachen etwas vormache. Mit diesem Projekt zeigen wir, wie man Anziehungskraft in die Innenstadt bringt, etwas neu adressiert. Das Haus des Wissens wird noch wirksamer werden, wenn es fertig ist. Mark 51/7 wirkt durch sein schnelles Wachstum. Und es gibt weitere Themen für neue Geschichten. Dafür haben wir in Bochum ein gutes Gespür. Beispiel Stadion: Wir werden die einzige Bundesliga-Stadt sein, die sich nicht von ihrem Stadion in der Innenstadt trennt. Das ist die nächste Geschichte, die Bochum schreibt.

In Bochum muss auch weiterhin produziert werden

Noch ein Satz zu Mark 51/7. Dort gibt es nur noch eine Fabrikhalle. Und die droht mit dem Auszug des Eisenbahnzulieferers Wabtec auch noch verloren zu gehen. Sorgt Sie das?

Die Halle wird auch künftig zu Produktionszwecken genutzt. Und das ist wichtig. Wir müssen nämlich darauf achten, dass wir Forschung, Entwicklung und Produktion zusammenbringen und verhindern, dass in Deutschland zwar geforscht und entwickelt wird, aber woanders produziert wird. Das setzen wir auf Mark 51/7 schon um.

Weit über 100 Millionen Euro kostet es, aus einer Autofabrik ein 70 Hektar großes Innovationsareal, MARK 51°7, zu machen. Mehr als 80 Millionen Euro Fördergelder bekommt Bochum dafür von EU, Bund und Land. Lohnt sich das am Ende für den Steuerzahler?

Uneingeschränkt ja. Dadurch, dass dort bis zu 13.000 Menschen beschäftigt sein werden, entsteht allein ein Mehrwert in Form von Einkommens- und Gewerbesteuer. Das wird der Stadt Bochum helfen, nicht mehr eine unterfinanzierte Stadt zu sein, und es wird dem Land NRW helfen, nicht mehr eine unterfinanzierte Stadt stützen zu müssen.

Alle Flächen auf Mark 51/7 müssen spätestens Ende 2025 hergerichtet sein

Ursprünglich trug die Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive die Jahreszahl 2022 mit im Namen. Nun nicht mehr. 2022 ist verstrichen, Mark 51/7 noch nicht fertig. Wann wird es so weit sein?

Am Ende muss jedes Unternehmen, das sich ansiedeln will, jeder Entwickler, der eine Fläche gekauft hat, selbst entscheiden, wann gebaut wird. Aber es ist absehbar, dass das gesamte Areal 2026/27 fertig sein wird. Angesichts der aktuellen Baukosten ist viel in Bewegung. Und vielleicht verschiebt sich das ein oder andere Projekt auch noch um zwei, drei Jahre. Wir jedenfalls müssen – und das sehen die Förderbedingungen so vor – bis Ende 2025 alle Flächen entwickelt zur Verfügung stellen.

Noch ein Blick auf die Innenstadt. Dort geht der Umbau an einigen Stellen gut voran: Haus des Wissens, die Heiland-Immobilie, die Erweiterung der Sparkasse. Aber es gibt auch noch viele Fragezeichen. Wann kommt der City-Tower und was geschieht auf der Dreiecksfläche zwischen Südring und Hellweg, um nur zwei Beispiele zu nennen?

Ich bin sehr zuversichtlich, auch wenn es wegen der konjunkturellen Lage Verzögerungen gibt, dass diese sich positiv entwickeln. Es handelt sich um Toplagen. Außerdem stimmen alle anderen Voraussetzungen, etwa beim City-Tower. Hier ist mit dem P7 ein modernes Parkhaus entstanden, die Fläche liegt in der Nähe zur Innenstadt und dem Bochumer Hauptbahnhof. Ideal ist auch die Lage am Südring. Optimistisch bin ich zudem auch bei anderen Themen, zum Beispiel bei der Begrünung der Innenstadt. Die Vorarbeiten laufen sehr gut, so dass wir schnell Ergebnisse sehen werden.