Bochum. Bochum ist längst eine Start-up-Schmiede. Viele junge erfolgreiche Firmen sind am Start. Eine davon wird gerade von höchster Stelle gefördert.
Viele findige Ideen und patente Entwicklungen sind in den vergangenen Jahren in Bochum ersonnen worden – angefangen von der vielfältigen Anwendung von Formgedächtnislegierungen etwa in der Automobilproduktion über Verschlüsselungsverfahren, die auch Quantencomputer nicht brechen können, bis hin zu Lösungen, um kritische Infrastruktur zu sichern. Aber das hier ist das vielleicht spektakulärste Projekt einer an genialen Entdeckungen nicht armen Liste. Es geht um die Entwicklung eines Chips, „der so funktioniert wie das menschliche Gehirn“.
Eine fanstatische Idee, in Bochum ersonnen und weitergetrieben
Das hört sich an nach Science Fiction oder zumindest nach der kalifornischen IT-Schmiede Silicon Valley. So unerhöht, dass es eigentlich nicht von dieser Welt, nicht aus dem Ruhrgebiet, sein kann. Tatsächlich kommt es aber hierher. Es ist die Idee eines Start-up-Unternehmens aus Bochum: von Gemesys.
Dass deren drei Inhaber, die promovierten Elektro- und Informationstechnik-Ingenieure Dennis Michaelis und Enver Solan sowie der kaufmännische Kopf Moritz Schmidt, auf einer wissenschaftlich wie wirtschaftlich vielversprechenden Spur sind, hat ihnen gerade erst das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) attestiert. Es hat die aus der Ruhr-Uni ausgegründete Firma mit dem renommierten Gründungspreis+ ausgezeichnet – weil es, so die Begründung, die Grundprinzipien der Informationsverarbeitung digitaler Computer überdenke und „die grundlegende Infrastruktur des effizientesten Computers der Welt adaptiert – des menschlichen Gehirns“.
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Bislang verwendet Chips sind langsamer und energieintensiver
Chips, kleine Schaltkreise? Gibt es doch schon. Ja. Aber: „Die heutigen Chips, die man verwendet, um insbesondere künstliche Intelligenz auszuführen, sind dafür nicht besonders gut geeignet, weil sie ganz anders funktionieren als das menschliche Gehirn“, erklärt Dennis Michaelis „Sie sind sehr viel langsamer und auch sehr viel energieintensiver.“
Wie ein Ingenieur sieht der 32-Jährige gar nicht aus – jedenfalls nicht wie das klischeehafte Bild von einem Ingenieur. Unter dem blauen Hemd und der schicken karierten Hose gucken Tätowierungen hervor. Beides verdeckt eine Sportlerfigur, die der Bochumer beim Crossfit trainiert – einer Mischung aus Gewichtheben, Sprinten, Eigengewichtsübungen und Turnen.
Gemesys abstrahiert das biologische Vorbild Gehirn
Er nennt ein Beispiel, um die Vorzüge des Netzwerkprozessors von morgen zu erklären: „Wenn man sich anschaut, wie heutige Chips funktionieren, dann kann man das ungefähr vergleichen, als wenn ich eine halbe Stunde im Büro arbeiten müsste, aber für den Arbeitsweg vier Stunden brauche, weil Daten hin und hergeschoben werden. Die meiste Zeit und die meiste Energie wird nur für den Datentransfer verbraucht und nicht für die Verarbeitung. Das ist im Gehirn anders.“
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Die Idee der Gemesys-Macher: Sie abstrahieren das biologische Vorbild Gehirn in elektronischer Form. Das bringe nicht nur mehr Tempo, sondern sei auch viel ressourcensparender. „Das menschliche Gehirn ist nicht nur in den Fähigkeiten überlegen, sondern verbraucht nur ungefähr so viel wie auch eine Glühbirne verbrauchen würde statt der Energiemenge, die Datencenter benötigen. Ein preiswerter Turbo für die Künstliche Intelligenz.
Atemberaubend. Und dann sei da auch noch etwas ganz anderes bedeutsam. „Auch die Demokratisierung dieser Technologie ist etwas Wichtiges. Der Computer ist erst dann zur Revolution geworden, als Leute zu ihm eine persönliche Beziehung aufgebaut haben. Wir beabsichtigen, dasselbe für Künstliche Intelligenz zu machen.“
Langer und kapitalintensiver Weg bis zur Serienreife
Bis dahin, bis zur Serienreife, ist es allerdings noch ein langer, kapitalintensiver Weg. Mehr als fünf Jahre werde es dauern, bis sich mit dem Chip der neuen Generation Geld verdienen lässt. „Deswegen braucht man Investoren, die diese Vision teilen und die einen langen Atem haben“, so Michaelis. Gespräche mit potenziellen Geldgebern, die diesem Atem haben, liefen bereits. Benötigt wird das Geld zum Beispiel für „hochgradig spezialisierte Leute, die Hunderttausende von elektronischen Bauteilen planen können, die später auf kleinster Fläche im Nanometer-Bereich gefertigt werden“.
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Bereits mehr als drei Millionen Euro Kapital akquiriert
Dutzende, womögliche Hunderte Mitarbeiter werden nötig sein, um die Vision vom neuen Chip wahr werden zu lassen. Die ersten zehn Festangestellten rekrutiert Gemesys gerade – finanziert auch aus Fördermitteln. Mehr als drei Millionen Euro Kapital hat das Start-up-Unternehmen bereits akquiriert. Beraten lässt es sich von ausgewiesenen Experten wie Jamie Urquhart, einem der Gründer von „ARM“, einem Unternehmen aus der Halbleiterindustrie mit Milliardenumsatz. Die 32.000 Euro für den Gründerpreis sind längst verplant, u.a. als Stammkapital für das gerade gegründete Unternehmen.
Weitere Preisträger aus Bochum
Sieben weitere junge Unternehmen aus Bochum wurden in der Vergangenheit beim 2016 ins Leben gerufenen Gründungswettbewerb Digitale Innovation des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz ausgezeichnet.
Es sind: Imprint (2017, Software-Messinstrument), Novaheal (2021/22, Ausbildung Gesundheitswirtschaft), House of Plasma (2022, produzierendes Gewerbe), Rips-Tech/Sonar Source (2016, Informations- und Kommunikationstechnik), Zolitron (2016, IT), Smart Robotic Systems (2017, Informations- und Kommunikationstechnik) und Physec (2016, produzierendes Gewerbe).
Ganz alleine sind die Bochumer mit ihrem Chip, der funktionieren soll wie das menschliche Gehirn, zwar nicht unterwegs. „Aber niemand betreibt diese Entwicklung so konsequent wie wir“, sagt Gründer Dennis Michaelis. Und: Es gebe zwar größere Firmen, ja Konzerne, mit viel Kapital, Wissen und Personal. „Aber in komplett neuen Kategorien zu denken, ist für die nicht ohne weiteres möglich.“ Start-ups arbeiten und wachsen genau in diesen neuen Kategorien, weshalb sie für die etablierten Großen gleichermaßen begehrt wie gefährlich sein können.
Bochum ist der richtige Standort, um die Vision umzusetzen
Bochum ist dafür genau der richtige Standort. Für Dennis Michaelis ohnehin. Der 32-Jährige ist nur einen Steinwurf entfernt von seinem Büro im Forschungsbau Zess im Wissenschafts- und Technologiequartier Mark 51/7 an der Steinkuhlstaße aufgewachsen, hat in Bochum studiert und lebt hier. Hier zu gründen sei für ihn eine Herzensangelegenheit. Und: Das Potenzial an Beschäftigten in der Region sei immens und der Geist des Aufbruchs, der schon jetzt auf Mark 51/7 herrsche, beflügelnd. „Es gibt in Deutschland vielleicht nur eine Stadt, die dazu möglicherweise ein bisschen besser geeignet ist, das wäre München, weil sich dort große Firmen angesiedelt haben.“ Aber wer will schon nach München, wenn er in Bochum leben und arbeiten kann?!