Bochum-Langendreer. In der Bochumer Demenz-WG lebt Moni (81) seit vier Monaten. Was sie zurück ins Ruhrgebiet brachte und wie ihr Leben in der WG aussieht.

Genug geschlafen. Auf der Couch im Gemeinschaftsraum der Demenz-WG am Ümminger See richtet sich Moni langsam auf. Die 81-Jährige setzt vorsichtig ein Bein vors andere, schiebt ihren Rollator zum Esstisch und lässt sich dort auf den gepolsterten Stuhl fallen. Durch die fast bodentiefen Fenster strahlt die Sonne ins „Wohnzimmer“. Es ist Zeit für ein Quiz!

Am langen Tisch sitzen Mitbewohnerinnen und Pflegekräfte. „Wer kennt denn eine winterfeste Pflanze?“, fragt Julia Klingbeil, Pflegefachkraft in der Wohngemeinschaft. Selbstverständlich weiß Moni die Antwort: „Winterling.“ Die zierliche Seniorin mit schwarz-grauen Haaren hat jahrelang einen eigenen Garten gepflegt. Doch die Antwort kommt ihr nun nur leise von den Lippen.

Vor zwei Jahren stellten Ärzte eine Demenz bei ihr fest, seit vier Monaten wohnt sie jetzt in der WG. Vor 22 Jahren ist die Seniorin mit ihrem Mann nach Ostfriesland gezogen. Der Umzug in die WG brachte sie zurück ins Ruhrgebiet - näher zu einer ihrer beiden Töchter und zur Enkeltochter.

Bochumer Demenz-WG: Die Pfleger sind „unsichtbare Helfer“

In der WG am Ümminger See leben Demenzpatienten, die den Alltag zu Hause oder mit Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes nicht mehr meistern konnten. „Wir sind hier die unsichtbaren Helfer“, erklärt Bereichs- und Pflegedienstleiterin Melanie Desens. Sie sind zur Stelle, wenn Unterstützung benötigt wird. Das Besondere: die Bewohner können beim Kochen helfen, über ihre Aufsteh-, Zubettgeh- und Essenszeiten selbst entscheiden – trotz der Einschränkungen sollen sie selbstbestimmt leben.

Im Radio dudelt Popmusik, Senioren quatschen durcheinander, zwei Hunde, Tirza und Bärbel, tollen durch den Flur. So lebhaft ging’s nicht immer zu. Auch Moni blieb anfangs öfter auf ihrem Zimmer. Das hat sich geändert. Pfleger Helmut Bock schüttet der Seniorin Orangen-Limo ein. Die 81-Jährige schenkt ihm ein Lächeln. „Danke, du achtest immer darauf, dass wir hier genug trinken.“ Mit rosa lackierten Nägeln – dem Überbleibsel eines Beauty-Tages – greift sie nach dem Glas.

Pfleger Helmut Bock (links) und Moni scherzen täglich miteinander in der Demenz-Wohngemeinschaft am Ümminger See.
Pfleger Helmut Bock (links) und Moni scherzen täglich miteinander in der Demenz-Wohngemeinschaft am Ümminger See. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Die Zimmer können selbst eingerichtet werden - das erinnert an zu Hause

Genug gesessen. Moni braucht Bewegung. Den Rollator schiebt die Seniorin den Flur hinter dem Gemeinschaftsraum entlang zu ihrem Appartement, so werden die Zimmer hier genannt. Sie dreht den Schlüssel im Schloss der roten Tür auf der rechten Seite.

Das Zimmer der Seniorin in der Demenz-WG erinnert an ihr ehemaliges Wohnzimmer. Die Möbel müssen die Bewohner selbst mitbringen, sie bekommen die Zimmer wie eine Mietwohnung leer übergeben. Und so ist vieles wie früher: Die alte Nähmaschine, die sie früher selbst restauriert hat, steht neben der Tür. Darüber hängt die Wanduhr, die noch von ihren Großeltern war. Ihr Mann, ihre Kinder, Enkel und Schwiegersöhne: Auf allen Kommoden und Vitrinen stehen Fotos ihrer Familie. Der türkisfarbene Sessel ist ein Farbklecks im Zimmer. Sie lässt sich für einen kurzen Moment hineinfallen und lässt den Blick schweifen.

Genug geruht. Es ist kurz nach zwölf und Kartoffel-Duft zieht durch die WG. Heute auf dem Plan: Bratwurst mit Kartoffeln und Kohlrabi. Betreuerin Frosina Leidgebel schneidet die Kohlrabi in der offenen Wohnküche. Eine Bewohnerin hilft beim Brutzeln der Bratwürstchen und rührt den Vanillepudding für den Nachtisch.

Ganz WG-typisch können die Bewohner beim Kochen mithelfen. „Ich habe heute Kartoffeln geschält“, sagt Moni, die zurück im Gemeinschaftsraum ist. Das Kochen war immer ihre Leidenschaft.

„Wann gibt es denn Essen?“, fragt Monis Tischnachbarin. Hier hat jeder seinen festen Platz am Tisch. Kurz darauf serviert Frosina den Bewohnern das Essen. Vor Moni steht ein voller Teller – die Bratwurst ist vorgeschnitten. Schlagartig wird es stiller. Nur Tirza, der Hund einer Bewohnerin, huscht unter dem Tisch her und versucht, etwas von dem Essen abzubekommen. Vergeblich.

Kochen, Kegeln – alles wie Moni es will

Als Moni aufgegessen hat, stand schon die nächste Portion vor ihr: Der Nachtisch. „Den gibt es hier fast immer“, sagt die Seniorin und nimmt genüsslich den ersten Löffel Vanillepudding.

Moni entscheidet jeden Tag selber, wie ihr Tag aussehen soll. Das gehört in der Demenz-Wohngemeinschaft dazu. Aufstehen, Frühstück, Mittagessen – wann sie das möchte, das ist ihr überlassen. Ein großer Unterschied zu einem Pflegeheim.

Moni wirft einen Blick auf den Tagesplan, der links neben ihr an der Wand hängt: „Kegeln, 15 Uhr“. „Da mach’ ich mit“, sagt die Seniorin. „Und haust du wieder alle Neune weg?“, fragt Helmut Bock. Moni lächelt. Solche Scherze machen die Seniorin und der Pfleger täglich.

Genug gegessen. Moni legt sich wieder auf „ihre“ Couch. Vor rund drei Wochen ist sie gestürzt und hat sich eine Rippe angebrochen. Sie lässt es ruhiger angehen. Nach dem Mittagessen wird es ruhiger in der Einrichtung am Ümminger See – auch Moni bleibt auf dem Sofa liegen. Bis das Kegeln ansteht.

Die Autorin dieses Textes ist die Enkelin von Moni.