Bochum. Mit „Der Bus nach Dachau“ will die Theatergruppe De Warme Winkel die Erinnerung an den Holocaust wachhalten. Doch der Abend wirkt überfrachtet.

Zu den großen Missverständnissen der Filmgeschichte gehört, dass „Schindlers Liste“ 1994 gleich vier Oscars abräumte, während zur selben Zeit das Drehbuch zu „Der Bus nach Dachau“ von Rutger Weemhoff unverfilmt in der Schublade liegen blieb.

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Dabei hätte es der Film seines Vaters mit Steven Spielbergs Kinohit doch locker aufgenommen, scherzt Ward Weemhoff vom niederländischen Theaterkollektiv De Warme Winkel. Immerhin, das verschmähte Script kommt jetzt zu späten Ehren: als Vorlage für eine denkwürdige, aber merklich überfrachtete Uraufführung in den Bochumer Kammerspielen.

Künstlerkollektiv De Warme Winkel geht freigeistig zu Werke

Das Künstlerkollektiv De Warme Winkel wurde 2002 in Amsterdam gegründet und besteht aus den Theatermachern Vincent Rietveld, Ward Weemhoff und Florian Myjer sowie aus vielen wechselnden Gästen. Mit ihren recht freigeistigen, performativen Arbeiten haben sie sich in der freien Theaterszene in den Niederlanden einen guten Namen gemacht.

Dabei bedienen sie sich bei vielen Stilen und Einflüssen: vom Ballett bis Slapstick. Auch „Der Bus nach Dachau“, ihre erste Produktion in Deutschland, lässt sich schwer auf ein Genre festlegen.

Uraufführung im Schauspielhaus Bochum

„Der Bus nach Dachau“ ist nicht leicht zu durchblicken. Auf mehreren Zeitebenen, die teils wundersam ineinanderfließen, wuchten De Warme Winkel (zu Deutsch etwa: Der heiße Laden) und das couragiert aufspielende Ensemble ein Stück Erinnerungskultur auf die Bühne. Einerseits betrachtet man in wenigen schwer zu Herzen gehenden Szenen das von Hunger und Todesangst geprägte Leben im KZ Dachau kurz vor der Befreiung 1945 – Schreie und Peitschenhiebe lassen mächtig schaudern.

Zeitgleich sieht man, wie daraus in den 1990er Jahren ein Film entstehen sollte. Die offenbar bewusst laienhaft gespielten Szenen aus dem KZ werden als Videos auf die Front einer großen Bretterbude (Bühne: Theun Mosk) übertragen und bisweilen als Cartoons verfremdet, während der Regisseur aus dem Hintergrund aufgeregte Kommandos gibt. „Cut! So geht das nicht!“, ruft er. Ein anderer meint: „Vielleicht müssen wird es naturalistischer spielen.“

Schwerer Gang ins Lager: Mit einfachen Mitteln wird auf der Bühne das Leben im KZ Dachau nachgestellt. Szene mit Risto Kübar und Marius Huth.
Schwerer Gang ins Lager: Mit einfachen Mitteln wird auf der Bühne das Leben im KZ Dachau nachgestellt. Szene mit Risto Kübar und Marius Huth. © Schauspielhaus Bochum | Isabel Machado Rios

Denkanstöße für die „Fridays for Future“-Generation

Die dritte Ebene wiederum führt in unsere Zeit, in der die Erinnerung an die millionenfachen Morde der Nationalsozialisten langsam verschwindet, da es immer weniger Zeitzeugen gibt. Auch für die „Fridays for future“-Generation will die Aufführung also einige Denkanstöße bieten – ohne aber den mahnenden Zeigefinger zu heben.

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Denn ein mögliches Scheitern dieses Unterfangens nimmt De Warme Winkel gleich vorweg: „Wir können ja als Holländer schlecht nach Deutschland kommen und euch etwas über den Holocaust erzählen“, meint Regisseur Vincent Rietveld, kurz bevor er auf der Bühne in den schwarzen Ledermantel eines SS-Schergen schlüpft und eine Tür eintritt.

Beim Zuschauen stellt sich nach einer Weile eine Befürchtung ein: Die Aufführung will zu viel und weiß manchmal nicht wohin. Für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Holocaust fehlt die Tiefe, für eine Persiflage fehlt der Witz.

Berührend gespielte Szene zwischen Vater und Sohn

Zwischendrin entdeckt man aber immer wieder stark gespielte Szenen: etwa wenn Risto Kübar als KZ-Insasse noch Jahre später von Alpträumen geplagt wird oder Lieve Fikkers energisch darauf hinweist, dass die Vergangenheit nicht blindlings verdrängt werden darf. „Ein Nazi ist und bleibt ein verdammter Nazi“, ruft sie.

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Die berührendste Szene gibt es etwa zur Hälfte: Da telefoniert Vincent Rietveld (in der Rolle des Filmemachers Rutger Weemhoff) mit seinem Sohn Ward und erzählt ihm mit ängstlicher Stimme davon, wie schwer es für ihn ist, in seinem Film einen SS-Mann zu spielen. Am Ende stehen Vater und Sohn gemeinsam nebeneinander und singen „Am Tag aller Seelen“ von Franz Schubert. Viel Beifall.

Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause. Wieder am 12. und 26. November. Karten: 0234 / 33 33 55 55.