Bochum-Weitmar. Das Kulturhaus an der A448 in Bochum hat stürmische und glückliche Zeiten erlebt. Ungeklärt bleibt das Verschwinden des langjährigen Leiters.

Das Jahr 1982: Helmut Kohl wird Bundeskanzler, Nicole trällert beim Grand Prix, alle Welt trägt Dauerwelle – und in Bochum wird ein Kulturhaus gegründet, das bis heute seine Strahlkraft nicht verloren hat. Seit 40 Jahren ist das Thealozzi ein ungemein lebendiger Ort für freie Kultur jeglicher Couleur. Vom Theater bis zu Konzerten, vom Tanz bis zur bildenden Kunst: Der Kreativität ist in dem Klinkerbau an der Pestalozzistraße direkt neben der A448 keine Grenzen gesetzt.

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Kulturhaus Thealozzi in Bochum feiert 40-jähriges Bestehen

Frei von Sorgen und Überlebensängsten waren die vergangenen vier Jahrzehnte zwar nicht, und besonders das bis heute rätselhafte Verschwinden des langjährigen Leiters Axel Walter hat dem Haus enorm zugesetzt. Und dennoch blicken die Künstler optimistisch nach vorn und schmieden viele neue Pläne. „Dass es uns so lange gibt, erfüllt uns schon mit etwas Stolz“, sagt die Musikerin Milli Häuser, die gemeinsam mit Andrea Homersen und Sahar Raie aktuell den Vorstand leitet.

Die kommenden Veranstaltungen

Eine ungewöhnliche Inszenierung von Shakespeares „Hamlet“ zeigt das „Theater 8 Frauen“ mit Thos Renneberg am Freitag, 28. Oktober, um 20 Uhr. Eine Bühne ohne Pomp wird zum Schloss Helsingör, in dem sechs Spielerinnen die turbulenten Geschehnisse aufleben lassen (14, erm. 12 Euro).

Beim kommenden „Idiotenaquarium“ geht es um den Sittenverfall – damals wie heute. Dazu wollen sich Literaten, Schauspieler und Musiker äußern: spielerisch, lakonisch trocken und augenzwinkernd. Am Samstag, 29. Oktober, um 20 Uhr (Eintritt frei). Alle Infos: 0234 / 17590 und thealozzi.de

Einen über alles herrschenden Intendanten hat es im Thealozzi nie gegeben: Hier wird Kultur seit jeher im Kollektiv gedacht. Wichtige Entscheidungen werden in teils langwierigen Vollversammlungen entschieden. Begründet liegt dies in der bewegten Geschichte des Hauses, das in den frühen 80er Jahren zum heute legendären Heusner-Viertel gehörte.

Haus gehörte zum legendären Heusner-Viertel

Als die Wohnhäuser dem Bau des heutigen Sheffield-Rings weichen sollten, wurden sie eine Weile von Hausbesetzern bewohnt, es kam zu Krawallen und Großdemonstrationen. „Die Schule diente als Schaltzentrale für die damalige Hausbesetzerszene, da Telefon und Strom hier noch funktionierten“, so Andrea Homersen.

Bis heute mysteriös bleibt das Verschwinden des langjährigen Thealozzi-Leiters Axel Walter, der Mitte 2018 aus einem Griechenland-Urlaub nicht zurückkehrte.
Bis heute mysteriös bleibt das Verschwinden des langjährigen Thealozzi-Leiters Axel Walter, der Mitte 2018 aus einem Griechenland-Urlaub nicht zurückkehrte. © WAZ | Horst Müller

Nach diesen stürmischen Zeiten überließ die Stadt den ersten Kreativen das Gebäude für eine symbolische Miete von zehn Mark, damit unter dem Namen „Thealozzi“ hier das zarte Pflänzchen der freien Kultur wachsen konnte. Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben Axel Walter unter anderem die Schauspieler Willi Thomczyk und Barbara Hagin. Dietmar Bär und Ingo Naujoks waren zwischenzeitlich ebenso an Bord wie Uwe Kellerhoff und dessen Band „Geier Sturzflug“ („Bruttosozialprodukt“).

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Echte Pionierarbeit in der Jahrhunderthalle

Da das ehemalige Schulgebäude auf drei Etagen eine Menge Platz bietet (darunter eine große Bühne für 99 Zuschauer im ersten Stock), werden die Räume seither von wechselnden Gruppen genutzt: „Schon viele Kinder- und Tourneetheater haben das Thealozzi als Sprungbrett genutzt, um danach hinaus in die Welt zu ziehen und Geld zu verdienen“, sagt Milli Häuser.

Die Theatergruppe „Hottenlotten“ gehört seit vielen Jahren zu den treuen Aktiven im Kulturhaus Thealozzi. Ihre Impro-Abende sind ein Spaß für Zuschauer jeden Alters.
Die Theatergruppe „Hottenlotten“ gehört seit vielen Jahren zu den treuen Aktiven im Kulturhaus Thealozzi. Ihre Impro-Abende sind ein Spaß für Zuschauer jeden Alters. © Hottenlotten | GOY

Daneben leistete das Thealozzi echte Pionierarbeit: Einige Jahre bevor die Jahrhunderthalle als Spielort für die Ruhrtriennale kostspielig umgebaut und mit einem gläsernen Vorbau versehen wurde, liefen hier von 1995 bis 2001 unvergessene Sommeraufführungen wie „Marat / Sade“ und „Der Bochumer Jedermann“ in der Regie von Axel Walter und seiner Frau Gudrun Gerlach. Den beiden ist es zu verdanken, dass die riesige Halle im Westpark fürs Theaterspiel überhaupt entdeckt wurde.

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Axel Walter kehrte aus dem Urlaub nicht zurück

Das bis heute ungeklärte Verschwinden von Axel Walter wird als dunkelstes Kapitel in die Geschichte des Thealozzi eingehen. Walter kehrte Mitte 2018 vom Urlaub auf der griechischen Insel Ägina nicht zurück, wo er allein unterwegs war. „Was dort mit Axel geschehen ist, kann sich noch immer niemand erklären“, sagt Andrea Homersen. Suchaktionen blieben erfolglos.

Ein möglicher Selbstmord wird vom Thealozzi-Team ausgeschlossen: „Dafür war er viel zu besorgt um seine Frau Gudrun. Eher denken wir an einen tragischen Unfall während einer Wanderung.“ Gudrun Gerlach starb etwa ein Jahr später.

Das „Theater ohne Mittel“ (ToM) mit Rico Großer und Nathanael Ullmann zeigte im Thealozzi zuletzt das satirische Stück „Machtspielchen“.
Das „Theater ohne Mittel“ (ToM) mit Rico Großer und Nathanael Ullmann zeigte im Thealozzi zuletzt das satirische Stück „Machtspielchen“. © Nathanael Ullmann

Derzeit sind zehn Gruppen teils schon seit vielen Jahren im Thealozzi aktiv: darunter die „Hottenlotten“, die hier seit 30 Jahren beliebtes Improtheater spielen. Zuletzt neu hinzugekommen sind die „Theaterpralinen“ von Caroline Kühnl. Und das Haus wird Stück für Stück renoviert, um es fit zu machen für die nächsten Jahre.

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Café wird frisch gestrichen

Das Café im Erdgeschoss wird frisch gestrichen und neu eingerichtet, eine große Terrasse für Open-Air-Veranstaltungen und eine Rampe für Rollstuhlfahrer wurden im Sommer gebaut. Komplett barrierefrei zugänglich ist das Haus weiterhin nicht: „Das wollen wir aber ändern, am liebsten mit einem Fahrstuhl“, sagt Milli Häuser. Doch auch dies ist wie so vieles in der freien Kulturszene immer eine Frage des Geldes.