Bochum. Im Gründungsjahr regierte noch ein Kaiser. 1902. Nun ist der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum 120 Jahre alt. Seine Aufgabe bleibt aktuell.

Der genaue Geburtstag ist schon ein paar Tage her. Gegründet wurde der Gemeinnützige Wohnungsverein zu Bochum eG (GWV) exakt am 2. März 1902. Am Freitag, 2. September, hat die größte Wohnungsbaugenossenschaft in Bochum gefeiert. Aus gutem Grund. „Wer 120 wird, kann nicht alles falsch gemacht haben“, heißt es beim GWV.

GWV ist ein nennenswerter Faktor auf dem Wohnungsmarkt in Bochum

Zur Einordnung. 1902 gegründet wurde auch die Cadillac Automobile Company in Detroit. Im gleichen Jahr übernahmen August Thyssen und Hugo Stinnes die Mehrheit an RWE. Die großen industriellen Player sind noch am Markt. Und der im Vergleich dazu zwar winzige, aber in Bochum bedeutsame GWV eben auch.

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In Zahlen liest sich das so: Die Genossenschaft baut an der Wasserstraße gerade ihr 433. Wohnhaus, hat bislang 2923 Wohnungen, 18 Gewerbeeinheiten sowie 764 Garagen und Stellplätze im Bestand und ist damit ein nennenswerter Faktor auf dem Wohnungsmarkt in Bochum mit seinen gut 200.000 Wohnungen. Zumal: „Unser Häuser liegen alle in guten Lagen wie in Linden, Wiemelhausen, Ehrenfeld und Harpen“, sagt Christian Knibbe, einer von von drei Vorstandsmitgliedern der Genossenschaft und als solcher für die kaufmännischen Belange zuständig.

Durchschnittsmiete liegt noch unter fünf Euro je Quadratmeter

Gestern wie heute verfolgt die Genossenschaft mit ihren mittlerweile knapp 4400 Mitgliedern vor allem ein Ziel: „Wir wollen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen“, so Micha Heimbucher, der Technische Vorstand. Und das ist bislang eindrucksvoll gelungen. Die durchschnittliche Miete für GWV-Wohnungen liegt unter fünf Euro je Quadratmeter.

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Der heute unter Denkmalschutz stehende, vom GWV erbaute Erbhof nahe dem Stadtpark, früher Reichshof genannt, wurde zwischen 1911 und 1914 gebaut. Ihm wurde eine überregional bedeutsame Architektur bescheinigt.
Der heute unter Denkmalschutz stehende, vom GWV erbaute Erbhof nahe dem Stadtpark, früher Reichshof genannt, wurde zwischen 1911 und 1914 gebaut. Ihm wurde eine überregional bedeutsame Architektur bescheinigt. © Stadt Bochum | Fotografen der Stadt Bochum

„Natürlich unterliegen wir auch den Gesetzen des Marktes“, sagt Christian Knibbe. Die jetzt in vielen Bereichen steigenden Kosten werden sich auf die Mieten der Genossenschaftswohnungen auswirken. Und: Modernisierte und neue Wohnungen sind teurer als ältere. „Aber wir haben einen entscheidenden Vorteil. Wir müssen keinen Gewinn machen, sondern unsere Erträge können zu 100 Prozent zugunsten unserer Mitglieder in die Bestände einfließen.“ Das ist gut für die Genossenschaftsmitglieder – und gut für den Wohnungsmarkt.

Gegründet 1902 als Beamten-Wohnungsverein zu Bochum

Wobei der GWV das Gespräch über den runden Geburtstag gerne dazu nutzt, um mit einer Mär aufzuräumen. „Man muss nicht Mitglied sein, wenn man sich bei uns um eine Wohnung bemüht.“ Erst wenn es tatsächlich zu einem Mietvertrag kommt, gehöre dazu auch der Beitritt in die Genossenschaft.

Mdernisierer. Unter der Regie des Vorstands Christian Knibbe, Micha Helmbucher und Michael Meyer (v.l.) setzt der Gemeinnützige Wohnungsverein die erfolgreiche Arbeit der Vorgänger fort.
Mdernisierer. Unter der Regie des Vorstands Christian Knibbe, Micha Helmbucher und Michael Meyer (v.l.) setzt der Gemeinnützige Wohnungsverein die erfolgreiche Arbeit der Vorgänger fort. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Ein Prinzip, das schon vor 120 Jahren galt. Mehr noch als heute ächzte die Gesellschaft damals unter Wohnungsnot. Ein gewisser Postinspektor Schreve entwickelte den Gedanken zur Selbsthilfe und lud die Postbeamten Bochums am 2. März 1902 in den Briefträgersaal des „Beamten-Wohnungsverein zu Bochum“ ein, wie der GWV ursprünglich hieß. 160 Beamte traten gleich am ersten Tag ein, 22 Häuser wurden bereits im Gründungsjahr gebaut. Viele weitere sollten folgen.

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Nicht die Wohnung, sondern das Wohnen steht im Vordergrund

Anders als früher, als es vor allem darum ging, möglichst viel Wohnraum zu schaffen, allein 1966 waren es 228 neue Wohnungen und im gleichen Jahr wurde die 2000. Wohnung gebaut, liegt der Fokus seit den 1980er Jahren mehr auf der Qualität als auf der Quantität. Und: „Heute stehen nicht mehr die Wohnungen im Vordergrund, sondern das Wohnen“, sagt Michael Meyer, der dritte Mann an der GWV-Spitze.

Neubau und Modernisierung

Fortgesetzt hat die Genossenschaft ihre 2019 begonnene Neubauoffensive. Dazu gehört etwa der Ersatzneubau an der Wasserstraße, wo mehrere alte Häuser abgerissen wurden und stattdessen 18 seniorengerechte Wohnungen sowie eine Demenz-WG entstehen.

Seit 2020 wird die denkmalgeschützte Siedlung Erbhof in der Nähe des Stadtparks instandgesetzt. „Bei allen umfassenden Maßnahmen steht immer der Quartiersansatz im Vordergrund, d.h. dass nicht nur einzelne Häuser separat betrachtet werden, sondern, soweit möglich und vorhanden, durch die ganzheitliche Aufwertung von zusammenhängenden Gebäuden ein Mehrwert im Quartier geschaffen wird“, heißt es im Geschäftsbericht.

Daher entwickle sich auch der GWV zu einem modernen Dienstleister mit einem breiten Service für die Mieter, der vom Winterdienst und der Treppenhausreinigung über Haushaltsnotruf und Stromsparcheck bis zum Carsharing reicht. Fördern sollen die Angebote den Wohnkomfort, aber auch das selbstständige Wohnen für ältere Menschen. Das neueste Produkt ist ein Mieterticket, ein vergünstigtes Abo für die Nutzung von Bussen und Bahnen der Bogestra. Angebote, die vor allem die ältere Mieterschaft anspricht. Das Durchschnittsalter der GWV-Mieter liegt bei 57,6 Jahren.

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Genossenschaftsprinzip ist besser als sozialer Wohnungsbau

Größer als die vermeintliche Hürde der Mitgliedschaft ist die angespannte Wohnungssituation. Auch der GWV hat derzeit nur wenige nicht vermietete Wohnungen, die Leerstandsquote liegt bei 0,6 Prozent. In der Branche gilt das als Vollvermietung.

Und: Es ist ein Beweis für die erfolgreiche Arbeit der Genossenschaft bzw. für das Genossenschaftsprinzip. Aus Sicht des GWV-Vorstands wäre es daher auch viel sinnvoller, genossenschaftliches Bauen als den sozialen Wohnungsbau zu fördern. „Die Sozialbindung geförderter Wohnungen läuft nach 20 Jahren aus“, argumentiert Christian Knibbe. Das genossenschaftliche Ziel möglichst günstiger Mieten, der Investition von Erträgen in den Bestand und der gemeinnützigen Verantwortung bleibe. Auch in den nächsten 120 Jahren.