Bochum. Ein Treuhänder soll retten, was zu retten ist. Der Kauf der Steag kommt Bochum sehr teuer zu stehen. Die CDU sieht sich bestätigt. Eine Analyse.
Wie sich die Zeiten gleichen: Der VfL Bochum träumt vom Aufstieg, die Grünen vom Kanzleramt und die CDU-Ratsfraktion prognostiziert dem Steag-Deal der Stadtwerke Millionenverluste. Aus all diesen Fantasien von 2011 könnte zehn Jahre später Realität werden. In Sachen Steag ist das bitter und bereits der Fall.
Mehr als 50 Millionen Euro haben die Stadtwerke Bochum bis heute verbrannt. Weitere Millionen stehen im Risiko. Viel „Kohle“ für eine chronisch klamme Stadt. Und das alles leider mit Ansage. Warnende Stimmen gab es 2010 und 2011 genug.
Bochum verliert durch den Kauf der Steag viele Millionen
Ein Blick zurück: „Man muss wissen, dass die Steinkohlekraftwerke in die Klemme kommen werden“, sagte Bärbel Höhn 2010. „Man muss sich also fragen, rechnet sich das oder binde ich mir eine Bürde auf, die am Ende die Bürger zahlen müssen?“ Die Bundestagsabgeordnete der Grünen sah den Kauf der Steag durch Stadtwerke des Reviers skeptisch.
Wohlwissend, dass die rot-grüne Landesregierung, der sie einmal als Umweltministerin angehört hatte, die sozialdemokratisch regierten Revier-Kommunen Dortmund, Essen, Duisburg, Bochum, Oberhausen und Dinslaken zum Kauf ermunterte. Im Hintergrund warb die mächtige Gewerkschaft IG BCE. Stichwort: Arbeitsplätze.
Grüner erinnert sich: Es gab viel Druck aus Düsseldorf
„Es gab viel Druck aus Düsseldorf“, erinnert sich Wolfgang Cordes. Als Sprecher der Grünen im Rat musste er für das Ja seiner Fraktion viele Bedenken ausräumen. „Aus heutiger Sicht war der Kauf der Steag ein Fehler. Es war eine Illusion zu glauben, dass wir als Kommune einen solchen Konzern steuern können. Das haben wir nie erreicht.“
„Fachleute aus sieben Stadtwerken können nicht irren“, argumentierte der damalige SPD-Fraktionschef Dieter Fleskes 2011. Und überhaupt: Das Risiko sei überschaubar. Maximal 60 Millionen Euro könnten verloren gehen. SPD, Grüne, Linke und UWG vertrauten zudem Stadtwerke-Chef Bernd Wilmert, Energiemanager des Jahres 2011, der Bochum mit dem Kauf von Gelsenwasser einen „Goldesel“ in den „Stall“ gestellt hatte, der bis heute auch Dortmund als Mit-Eigentümer Jahr für Jahr Millionen ausspuckt.
CDU-Fraktion sieht „komplette Strategie gescheitert“
Die CDU-Fraktion indes kritisiert den Steag-Kauf von Beginn an. Sie erinnerte 2011 an komplizierte und für Kommunen verlustreiche „Cross-Border“-Leasing-Geschäfte und beklagte fehlende Einblicke in das Unternehmen und mangelnde Transparenz für die Öffentlichkeit und die Politik. Diskussionen im Rat finden bis heute in der Regel nicht-öffentlich statt, und CDU-Ratsmitglied Lothar Gräfingholt musste sich die Einsicht in die Verträge mit dem Eigentümer Evonik vor dem Verwaltungsgericht erstreiten.
„Die komplette Strategie ist gescheitert“, sagt Roland Mitschke. Weder habe man einen Partner für das Auslandsgeschäft gefunden, noch sei der von den Grünen angestrebte ökologische Umbau erfolgt. Der CDU-Fraktionsvize lässt zudem das Argument „Arbeitsplätze retten“ als Kaufanreiz für Bochum nicht gelten. „Die Steag hat keine Betriebsstätte und daher keine Arbeitsplätze in der Stadt.“
RAG-Stiftung soll retten, was zu retten ist
„Die hinter den Konsorten stehenden Kommunen haben mit dem Erwerb der Steag-Anteile Erwartungen verbunden, die sich aus heutiger Sicht nicht mehr erfüllen lassen““, heißt es in der Vorlage der Stadt zum jüngsten Steag-Beschluss im Rat. Die RAG-Stiftung oder eine Tochter von ihr als Treuhänderin soll es richten: die Steag verkaufen, ganz oder in Teilen. Restrukturierung heißt das offiziell.
Ob sich daraus Erlöse für die Steag-Eigentümer erzielen lassen, das steht mit Blick auf die wirtschaftliche Situation des Energieerzeugers in den Sternen. „Natürlich habe ich die Hoffnung, dass wir noch etwas Geld wiederbekommen. Aber ich glaube nicht daran“, sagt Wolfgang Cordes, der heute wieder im Rat sitzt.
Im Ausland verdient die Steag noch Geld
Schuld an dem finanziellen Desaster sind – natürlich – die anderen. „Energiepolitische Entscheidungen auf europäischer und nationaler Ebene“ führt die Stadt ins Feld. Der Kohleausstieg in Deutschland, der einst zur ökologische Strategie gehörte, ist heute plötzlich Schuld am Untergang – und verhindert das Abstoßen der wirtschaftlich erfolgreichen Auslandskraftwerke.
„Die Entscheidung zur Übernahme der Anteile fiel in eine Zeit, in der der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen wurde. Alle Experten und auch Vertreter der Bundesregierung haben uns damals zum Bau eigener Kraftwerke geraten“, sagt Stadtwerke-Chef Dietmar Spohn.
Dortmund verhindert Partnersuche und vorzeitigen Verkauf
Ratsmitglied Jens Lücking (UWG:Freie Bürger) hat den Steag-Deal auch als Aufsichtsrat der Stadtwerke über all die Jahre begleitet. Für ihn sind insbesondere die Stadtwerke Dortmund die bösen Buben im Steag-Monopoly. „Dortmund hatte den Traum von Gelsenwasser II im Kopf“, sagt Lücking.
Stadtwerke aus dem Revier zahlten 995 Millionen Euro
Der Kauf der Steag GmbH erfolgte 2011 und 2014 in zwei Tranchen. War ursprünglich ein Kaufpreis von 1,254 Milliarden Euro im Gespräch, so flossen letztlich 995,3 Millionen an die Evonik Industries AG und die RBV Verwaltungs-GmbH, einer 100-Prozent-Tochter der Evonik.
Ein Konsortium von Revier-Stadtwerken gründete eigens für den Steag-Deal die KSBG Kommunale Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG und die KSBG Verwaltungs GmbH.
Beteiligt sind die Stadtwerke aus Dortmund (36 %), Duisburg (19 %), Bochum (18 %), Essen (15 %), Oberhausen (6 %) und Dinslaken (6 %).
Finanziert wurde der Kauf durch Eigenkapital der beteiligten Stadtwerke und Darlehen. Ende 2019 waren von der KSBG noch rund 350 Millionen Euro zu tilgen.
Ausschüttungen der Steag an die KSBG sollten für die Tilgung der Darlehen reichen. Seit 2018 sind diese aber ausgeblieben. Im gleichen Jahr wurde der Buchwert der Beteiligung um 128 Millionen Euro wertberichtigt und auf 861,9 Millionen Euro korrigiert.
Die Steag GmbH ist der fünftgrößte Stromerzeuger in Deutschland. 2019 waren dort 6378 Mitarbeiter beschäftigt, 47 Prozent davon im Ausland.
Dortmund habe 2014 mit seinem Anteil (36%) den vereinbarten Einstieg eines Partners für das Auslandsgeschäft verhindert und auch 2019 den angestrebten Verkauf der Steag, so Lücking. Mit einem Darlehen von 100 Millionen Euro hatten die Eigentümer die „Braut“ eigens hübsch gemacht („Refinanzierungsprozess“). Bochums Anteil: 10 Millionen Euro. Zudem hatten die Stadtwerke schon 57 Millionen vom ursprünglich eingebrachten Eigenkapital in den Büchern wertberichtigt.
Stadtwerke und Banken vereinbaren Stillhalteabkommen
Geht es nach Lücking, soll es das gewesen sein. „Keinen Cent mehr“ sollte die Stadt in die Steag investieren. „Wenn es nach mir ginge, würde ich unseren Anteil für einen Euro an Dortmund verkaufen und das Himmelfahrtskommando beenden“, so Lücking. Den jetzt beschlossenen Ausstieg über den Treuhänder RAG wird es aber nicht gratis geben. Rund 600.000 Euro kostet das die Stadt.
Die Lage bei der Steag jedenfalls ist ernst – und damit beim Eigentümer, der KSBG Kommunale Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG. Schon jetzt kann das Stadtwerke-Bündnis offensichtlich die Darlehen nicht mehr bedienen.
Eigentümer fürchten negatives Steag-Ergebnis für 2020
Im Dezember wurde ein Stillhalteabkommen mit den Banken bis zum 30. März vereinbart. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass auch die geplanten Ergebnisabführungen der Steag für 2021 und 2022 in Höhe von 50 und 55 Millionen Euro nicht fließen werden. So steht es im Restrukturierungsplan von Roland Berger. Seit 2018 schon gab es keine Gewinnausschüttung mehr.
Mit Spannung erwartet wird auch deswegen das Jahresergebnis der Steag für 2020. Kenner der Materie erwarten ein Minus in dreistelliger Millionenhöhe. Mit Blick auf Eigenkapital und Schulden der KSBG ist der Aufstieg des VfL oder ein Grüner Bundeskanzler in der Tat wahrscheinlicher als Erlöse aus dem Verkauf des Essener Energiekonzerns.