Bochum. Wie ansteckend sind Kinder, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben? Und wie verkraften sie die Erkrankung? Mehrere Studien untersuchen das.
Sind Kinder, wenn sie sich mit dem Coronavirus infiziert haben, weniger ansteckend als Erwachsene? Erkranken Sie selten schwer? Und wie kann eine Maskenpflicht in der Schule die Ausbreitung des Coronavirus stoppen? Diese Fragen möchte Oberärztin und kommissarische Leiterin der Abteilung Pädiatrische Pneumologie der Bochumer Universitätskinderklinik Dr. Folke Brinkmann (44) in der bundesweit größten Studie zu Antikörpern bei Kindern beantworten.
Dr. Folke Brinkmann hat neben der großen Antikörper-Studie auch an einer weiteren Studie teilgenommen – mit überraschendem Ergebnis: In Zusammenarbeit mit einigen niedergelassenen Ärzten habe man mehr als 750 Corona-Abstriche von Kindern mit Symptomen wie Fieber, Halsweh und Durchfall ausgewertet: Nur bei einem Kind sei eine Infektion festgestellt worden. Eine Theorie dafür laut Bochumer Universitätskinderklinik: Das Immunsystem der Kinder sei stärker.
Schulen und Kindergärten öffnen: Studie aus Australien hält Risiko ebenfalls für gering
Auch eine Studie aus Australien hält das Risiko von Schul- und Kindergartenöffnungen mit Maßnahmen wie Kontaktverfolgung für gering. Obwohl mit dem Virus infizierte Lehrer, Betreuer und Kinder ihre jeweilige Einrichtung aufgesucht hätten, als sie bereits infektiös waren, seien dort nur wenige weitere Menschen infiziert worden, berichten Forscher im Fachjournal „The Lancet Child & Adolescent Health“. Eine Detailanalyse, bei der auch Antikörper-Tests gemacht wurden, ergab, dass Sars-CoV-2 merklich häufiger zwischen Erwachsenen oder von einem Erwachsenen auf ein Kind übertragen wurde als von einem Kind auf einen Erwachsenen oder zwischen Kindern.
Die CordKids-Studie soll dagegen Erkenntnisse darüber bringen, wie viele Kinder schon am Coronavirus erkrankt waren und im Nachgang auch Antikörper gebildet haben. Ein Zwischenergebnis: Das Risiko von geöffneten Schulen und Kindergärten sei - auch wegen der geringen Fallzahlen - momentan zu verantworten. Schüler, Lehrer und Erzieher sollten aber einen Mund-Nase-Schutz tragen. Mit weiteren Ergebnissen zur Antikörper-Studie CorKids wird im September gerechnet. Da einige Kinderarztpraxen in den Sommerferien geschlossen hatten, hat sich der ursprüngliche Zeitplan nach hinten verschoben.
Die Antikörper-Studie „CorKids“ läuft seit etwa neun Wochen. Haben Sie bereits jetzt einen Eindruck, in welche Richtung Ihre Ergebnisse gehen werden?
Ich möchte noch keine Ergebnisse vorwegnehmen. Das wäre zu früh. Was aber bereits jetzt auffällig ist: Nur verschwindend wenige der untersuchten Kinder weisen Antikörper gegen das Coronavirus auf.
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Welche Theorie haben Sie dafür?
Wenige Kinder stecken sich an und wenige geben das Virus weiter. Fürs erste ist das schon eine gewisse Beruhigung.
Diese Kinderärzte kooperieren mit der Studie
Dr. Folke Brinkmann arbeitet seit 2015 in der Bochumer Kinderklinik. Ihre Ausbildung zur Kinderärztin hat sie in Halle (Saale) absolviert und danach fas zehn Jahre an der medizinischen Hochschule in Hannover gearbeitet.
An der Studie „CorKids“ arbeitet sie mit einem Team von insgesamt zehn Leute. Die Studie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 566.000 Euro gefördert.
Sie kooperieren mit diesen Kinderarzt-Praxen: Kindermedizin-Paedicum-Ruhrkidz (Herne); Praxis Dr. Claudia Simon (Bochum); Praxis Dr. Nils de la Motte (Bochum); Praxis Schrader, Schulenburg, Aksünger (Herne); Dr. med. Martin Lenz und Kollegen (Witten); Praxis Dr. Dönig und Dr. Kling (Bochum); Praxis Dr. Beck & Kollegen (Sprockhövel); Praxis Katrin Terhart (Bochum).
Für Ihre Studie werden gesunde Kinder in zehn ausgewählten Kinderarzt-Praxen in Bochum, Herne, Witten und Sprockhövel untersucht, die ohnehin zu den Vorsorgeuntersuchungen beim Arzt sind. Wie läuft das dann ab?
Die Familien werden zuerst angesprochen, ob ihr Kind bei der Studie mitmachen darf. Wenn sie zustimmen, wird nach Beschwerden des Kindes oder anderen Risikofaktoren gefragt. Dann nehmen die Ärzte Blut ab. Weil wir auch untersuchen, inwiefern das Virus innerhalb der Familie weitergegeben wird, machen wir das auch bei der Mutter. Ein Labor untersucht die Proben dann auf Antikörper. Wenn es welche gibt, schauen wir noch einmal genauer hin, ob es auch sogenannte neutralisierende Antikörper sind, die immun machen. Außerdem schauen wir nach ACE-Rezeptoren, das sind gewissermaßen die Eintrittspforten für das Virus. Sie sind wahrscheinlich ein Risikofaktor für eine schwerere Infektion. Nach drei, sechs und zwölf Monaten untersuchen wir die Familien dann nochmal.
Was erhoffen Sie sich davon?
Wir wollen einen Verlauf sehen. Was ändert sich nach den Sommerferien, nach der Öffnung der Schulen? Sehen wir dann, dass die Rate an Kindern mit Antikörpern ansteigt - oder vielleicht auch nicht?
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Das Ganze ist ja freiwillig. Wie ist die Rückmeldung der Eltern?
Sehr gut. Wir hatten mit etwa 30 Prozent Interesse gerechnet. Momentan sind wir bei etwa 60 Prozent.
Für wie groß halten sie nach Ihren ersten Ergebnissen das Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren?
Das Risiko, dass man sich ansteckt, ist momentan überall dort, wo es keine lokalen Ausbrüche gibt, wegen der geringen Fallzahlen nicht groß. Ziemlich sicher ist man, wenn man die Hygieneregeln beachtet: Abstand, Mund-Nasen-Schutz, regelmäßiges und ordentliches Händewaschen. Wenn alle sich daran halten, werden wir hoffentlich eine große Welle verhindern. Ganz wird man das Risiko nicht ausschalten können. Aber wir haben ja in einer großen Kita-Studie gesehen, dass die Vorergebnisse darauf hindeuten, dass unter den Kindern kaum Infektionen weitergegeben werden. Es geht eher von den Erziehern aus.
Ist das denn eine gute Nachricht?
Als Kinderärztin freue ich mich, dass Kinder wahrscheinlich nicht die Virenschleudern sind. Wir brauchen allerdings noch mehr Daten, um das besser zu belegen. Es wäre auf jeden Fall gut, wenn es nicht Kinder sind, die sich am meisten einschränken müssen.
Halten Sie das Coronavirus weiter für gefährlich?
Ja. Die Frage ist natürlich, wann und für wen. Die allermeisten Kinder und Erwachsenen werden nicht schwer krank. Die meisten machen die Infektion unbemerkt durch. Für einen kleinen Teil führt sie aber zu einer schweren Erkrankung. Immer dann, wenn die Zahl aller Erkrankten insgesamt hochschnellt, erkranken natürlich auch mehr Menschen schwer.
Die Wissenschaft steht in der Corona-Pandemie im Fokus wie selten. Möglichst schnell sollen Ergebnisse aus Studien präsentiert sein. Wie erleben Sie das?
Ich kann die hohen Erwartungen gut verstehen. Dieser enorme Druck lastet auf jedem Einzelnen, und Politiker müssen Entscheidungen treffen anhand von Grundlagen, die nicht so sicher sind, wie jeder sie gerne hätte. Wir können versuchen, da Bausteine zu liefern. Das machen wir so schnell und so gut wir können. Aber man sollte erste Ergebnisse vorsichtig bewerten. In der Wissenschaft können sich viele Dinge überraschend ändern.
Was passiert mit den Ergebnissen Ihrer Antikörper-Studie?
Sie ist eine von mehreren Untersuchungen, die zurzeit in Deutschland laufen und durch das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) gefördert werden. Gesammelt werden die Ergebnisse beim Robert-Koch-Institut (RKI). Daraus Erkenntnisse zu gewinnen, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir haben. Wir wollen damit irgendwann einschätzen können, wie hoch die Infektionsrate ist, in welchen Umgebungen die Ansteckungsgefahr groß ist und welche Vorsichtsmaßnahmen man daraus ableiten kann. Außerdem wäre es schön, eine zeitliche Entwicklung abschätzen zu können. Am Anfang haben ja viele gedacht, dass wir Ende des Jahres mit dem Coronavirus durch sind.
Die Untersuchungen sind ausschließlich an Kindern aus Bochum, Witten, Herne und Sprockhövel durchgeführt worden. Kann man die Ergebnisse später einfach so auf andere Regionen übertragen?
Nein, sicher nicht vollständig. Das Immunsystem und die Infektion sind gleich, aber das jeweilige Umfeld ist anders. Dennoch kann man festhalten, dass die Ergebnisse der bisherigen Studien in Deutschland weitgehend übereinstimmen.
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Ihre Studie findet viel Beachtung – auch in der Politik. Spielen die Ergebnisse in der Diskussion um Schulöffnungen eine Rolle?
Ja, die Anfragen aus der Politik kommen. Ich bin der Meinung, dass man Schulen und Kindergärten nach den Ferien uneingeschränkt öffnen sollte. Das Risiko können wir momentan verantworten, müssen es aber eingrenzen und beherrschbar machen. Sinnvoll ist aus unserer Sicht neben regelmäßigem Händewaschen, dass die Schüler der weiterführenden Schulen einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Dasselbe sollten alle Lehrer und Erzieher tun, denn sie sind häufig die Quelle von Infektionsketten gewesen.
Mit Ihren Ergebnissen beeinflussen sie das Leben von vielen Menschen. Das ist eine große Verantwortung.
Mich als Privatperson betrifft das ja auch. Ich gehe zurzeit nicht ins voll besetzte Restaurant, ich würde auch kein Konzert besuchen. Wir müssen lernen, dass die Virus-Ausbreitung ihre eigenen Gesetze hat und man sich immer wieder anpassen muss.
Ist die Aufmerksamkeit, die Sie erfahren, manchmal auch anstrengend?
Ja, schon. Gerade weil sich auch weitreichende medizinische und gesellschaftliche Konsequenzen daraus ableiten. In dem Maße kenne ich das sonst nicht.
Schlafen Sie denn trotzdem gut?
Jahrelange Nachtdienste trainieren da sehr gut.