Gladbeck. Die Fußball-Bundesliga feiert 60. Geburtstag. Auch Gladbecker waren in der Eliteklasse dabei, als Spieler und Funktionäre. Eine Spurensuche.
Sage und schreibe neun Stunden lang ging es hin und her, wurden im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle Für und Wider abgewogen. Dann stand am 28. Juli 1962 bei 103 Ja-Stimmen und 26 Gegenstimmen der Beschluss: Fußball-Deutschland hebt mit 16 Vereinen aus fünf Oberligen eine Bundesliga aus der Taufe. Und diese nahm gut ein Jahr später, am 24. August 1963, ihren Spielbetrieb auf. 60 Jahre Bundesliga, bel étage des Fußballs. Und Gladbeck, die Kleinstadt am Nordrand des Reviers, die sich bekanntlich oft und gern mit dem Etikett „Sportstadt“ schmückt, gänzlich außen vor? Mitnichten! Auch heimische Kicker haben in der bundesdeutschen Eliteklasse ihre Spuren hinterlassen. Vor allem natürlich Weltmeister Julian Draxler, aber er stand nicht allein. Eine Spurensuche.
Gerhard Prokop (Alemannia Aachen)
Diesen Superlativ dürfte ihm wohl kein Gladbecker jemals streitig machen, Gladbecks erstem Bundesliga-Kicker Gerhard „Gerd“ Prokop: Die vier Vereinsstempel im Spielerpass (SV Zweckel, Sportfreunde Gladbeck, Alemannia Aachen und KAS Eupen) sind kaum der Rede wert. Nach seiner Zeit am legendären Tivoli entwickelte der Torwart, der wenige Wochen vor Beginn des Weltkrieges am 18. Mai 1939 das Licht der Welt erblickte, nämlich wahre Wandervogel-Qualitäten – als Chef an der Seitenlinie.
Nach Stationen in Deutschland (Alemannia Aachen, Westfalia Herne, Holstein Kiel und Union Solingen) zog es ihn in den Süden Europas, in Griechenland durchlief er 15 Trainerstationen, ehe er 1998 bei Athinaikos Athen seine Laufbahn beendete. In der Bundesliga stand Prokop 53 Mal in der ersten und 17 Mal in der 2. Bundesliga zwischen den Pfosten, zudem absolvierte er für die Grenzstädter 129 Spiele in der Regionalliga West.
Sein größter Erfolg war ohne Zweifel die Bundesliga-Vize-Meisterschaft 1968 hinter Bayern München. Für die Sportfreunde hütete er zwischen 1961 und 1963 46 Mal das Gehäuse, für den Braucker Kultklub die letzten großen Jahre vor dem stetigen Niedergang hinunter in die Niederungen der Kreisliga inklusive der bitteren Streichung aus dem Vereinsregister.
Urteil: Kein Keeper der hiesigen Fußball-Szene dürfte auf dem Niveau des stoisch ruhigen Zerberus agiert haben, der am Tivoli zu Recht Legenden-Status hatte. Als Kind unter den Zuschauern in der Vestischen Kampfbahn war bei gegnerischen Angriffen Gelassenheit angesagt, wenn Gerhard Prokop auf der Linie und Ernst Brünglinghaus davor als Libero für klare Verhältnisse sorgten.
Moritz Nicolas (Union Berlin)
Vor fünf Jahren schlagzeilte der Gladbecker Lokalsport: „Moritz Nicolas ist im Anflug auf die Bundesliga!“ Nun, bei seinem damaligen Klub Borussia Mönchengladbach kam es nicht zur Landung, 2017 reichte es immerhin zu einem Bankplatz als Ersatz für Yann Sommer. Zwei Jahre später wurde er vom Niederrhein nach Berlin-Köpenick verliehen, für den 1. FC Union Berlin stand er als Ersatz für Rafal Gikiewicz einmal in der Erstliga-Startelf (0:4 bei der TSG 1899 Hoffenheim).
Danach ging das Leihgeschäft weiter, beim VfL Osnabrück (1), Viktoria Köln (31) und Roda Kerkrade (30) kam der Gladbecker Modellathlet mit dem Gardemaß von 1,93 m häufig zum Einsatz. Auch in nationalen Jugendmannschaften durfte er sich viermal den Torwartsweater überstreifen.
Dass der 1997 in Gladbeck geborene Sportler den Sprung zum Profi schaffen würde, daran hatte Jörg Waschkewitz, Chef von Adler Ellinghorst und damit erster Dienstherr des damaligen Pampers-Kickers, keine Zweifel. „Schon als F-Junior war Moritz regelrecht vom Fußball besessen“, erinnert sich Waschkewitz. Nach Gehversuchen als Feldspieler wurde Niclas bei einem Hallenturnier erstmals als Torwart eingesetzt. Waschkewitz: „Unglaublich, wie nervenstark und reaktionsschnell er immer agierte.“
Nach kurzen Stationen beim SV Zweckel und dem VfB Hüls zog es Moritz Nicolas als 17-Jährigen zu Rot-Weiß Essen, von dort an den Niederrhein zu den Fohlen, für deren Zweitmannschaft er immerhin 75 Mal auflief. „Stars werden auf Asche geboren“, so das Credo des Adler-Chefs, der einmalige Einsatz für die Eisernen dürfte wahrlich nicht das letzte Wort sein.
Pierre-Michel Lasogga (Hertha BSC, Hamburger SV)
Das Urteil kommt aus berufenem Munde. „Lasogga ist ein richtiger Brecher, ein Stoßstürmer“, bringt Schalke-Ikone Olaf Thon die Qualitäten des gebürtigen Gladbeckers auf den Punkt. „Wie er sich entwickelt hat, werde ich jetzt ja häufiger sehen, da er zum FC Schalke zurückgekehrt ist und für die Regionalliga-Elf spielt.“
Als Fünfjähriger begann Pierre-Michel Lasogga beim FC Gladbeck, in der Jugend spielte er zudem beim FC Schalke, Rot-Weiss Essen, Wattenscheid 09, VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen. In der Bundesliga kam er bei Hertha BSC und dem Hamburger SV auf insgesamt 128 Einsätze (34 Tore).
In der 2. Bundesliga traf er in 59 Spielen 27 Mal, für Leeds United schoss Lasogga in 31 Spielen immerhin 10 Tore. In der U21-Nationalmannschaft trug er 11 Mal das Trikot mit dem Adler (4 Tore), für die A-Nationalmannschaft verhinderte eine Muskelverletzung einen Einsatz.
Nach Vertragsende beim HSV zog es den Goalgetter in die Wüste, in Katar spielte er unter anderem unter der Regie von Winfried Schäfer. Sein Stammverein Schalke 04, bei dem er in der Jugend sieben Jahre unter Vertrag stand, hat dem Gladbecker auch berufliche Perspektiven für die Zeit nach dem Fußball in Aussicht gestellt.
Mathias Schipper (FC Schalke 04)
Das Licht der Welt erblickte Mathias Schipper, der ja längst in Gladbeck heimisch geworden ist, in Castrop-Rauxel, bei Blau-Weiß Ickern startete der 1957 geborene Ex-Profi seine Kick-Karriere.
Schon als A-Jugendlicher debütierte der zweikampfstarke Verteidiger für die Königsblauen gegen den Hamburger SV in der Bundesliga: „Mein Gegenspieler war damals Kevin Keegan, ich wurde direkt ins kalte Wasser geworfen.“ Sein erster Trainer war kein Geringerer als Max Merkel.
Insgesamt stehen in seiner Sportvita 189 Erstliga- und 137 Spiele in der 2. Bundesliga, allesamt für den FC Schalke und Alemannia Aachen. Mit dabei war der zum Gladbecker mutierte Schipper, bis vor wenigen Tagen Inhaber einer gut gehenden physiotherapeutischen Praxis, auch beim legendären 6:6 der Schalker im DFB-Pokal gegen den FC Bayern München.
„Zum Glück“ so Olaf Thon. „Zu einem meiner drei Tore hat Mattes die Flanke gegeben, ich brauchte den Ball nur per Kopf über die Linie zu drücken.“ Im Olympiastadion in München gelang Schipper gegen die als Meister feststehenden Gastgeber sogar einmal eine frühe Führung. „’Bist du verrückt geworden’, raunte mir Lothar Matthäus zu, die Bayern wollten eigentlich die Partie ruhig nach Hause schaukeln“, erinnert sich Schipper. Dessen Tor weckte den schläfrigen Meister, der von da an Ernst machte und die Knappen mit einer 1:7-Klatsche in den Pott zurückschickte.
Julian Draxler (FC Schalke 04, VfL Wolfsburg)
Wer träumt als junger Fußballer nicht davon? Als Kind das Trikot des Stadtteilvereins BV Rentfort zu tragen, um danach irgendwann beim FC Schalke, Paris Saint-Germain oder Benfica Lissabon unter Vertrag zu stehen? Mit gerade einmal 17 Jahren und 117 Tagen debütierte Julian Draxler als Jüngster für die Königsblauen in der Bundesliga.
Jeder Fußballkenner hat noch das Tor vor Augen, mit dem „Jule“ seine Schalker im Pokal gegen den Klub aus Nürnberg in die nächste Runde schoss. Und dass ein Gladbecker beim wohl besten Länderspiel aller Zeiten, dem 7:1-Kantersieg bei der WM 2014 gegen Gastgeber Brasilien, ein paar Einsatzminuten mitwirken konnte, dürfte nicht zu toppen sein.
Vor kurzem adelte den bald 30-Jährigen Angreifer sein langjähriger Mitspieler Ralf Fährmann in einem Interview. Auf die Frage, welchen Mitspieler aus früheren Jahren er heute gern mit auf dem Platz hätte, legte er sich ohne Zögern auf Draxler fest: „Mein bester Mitspieler war Julian Draxler. Er hat alles – Technik, Speed, Auge, Passspiel, Beidfüßigkeit Größe.“ Immerhin spielte der S04-Keeper auch mit Raul, Farfan, Bordon und ähnlichen Kalibern zusammen.
Bislang absolvierte Julian Draxler 58 Länderspiele (7 Tore). Dass sein Name im Hinblick auf die Europa-Meisterschaft, die 2024 bekanntlich in Deutschland über die Bühne geht, nicht vorrangig genannt wird, zeigt, dass die Karriere den einstigen Shootingstars an einem Scheidepunkt angelangt ist.
Ein begnadeter Fußballer, der als Kind auf dem Weg zum Training beim BV Rentfort den Ball hoch hielt. Und auf dem ganzen Weg inklusive Überqueren einer verkehrsreichen Straße gönnte er dem runden Leder nicht einen Bodenkontakt.
Friedhelm Strzelczyk
Elf Einsätze für den Karlsruher SC in der Fußball-Bundesliga stehen für Friedhelm Strzelczyk zu Buche, der aus der Nachwuchsabteilung der Sportfreunde Gladbeck hervorgegangen ist und der am 7. November 1965 sein erstes Spiel für die deutsche Jugendnationalmannschaft absolvierte. Zu Mitspielern des technisch überaus beschlagenen Mittelfeldmannes in der DFB-Jugendelite gehörten etwa Norbert Nigbur, Horst Köppel, Rainer Budde und Heinz Flohe.
Zur Saison 1966/67 verließ Friedhelm Strzelczyk die Kleeblätter aus Brauck und schloss sich dem Bundesligisten Karlsruher SC an. Sein Debüt in der höchsten deutschen Spielklasse gab der Gladbecker am 27. August 1966 im Heimspiel gegen den Hamburger SV (1:1) vor 36000 Zuschauern.
Nach nur einer Saison verließ Friedhelm Strzelczyk den KSC wieder. Es ging zurück in den Westen, genauer: zum damaligen Regionalligisten Bayer 04 Leverkusen, für den der Mittelfeldspieler bis 1973 187-mal auflief und dabei 26 Tore erzielte.
Friedhelm Strzelczyk ließ seine aktive Karriere beim VfB Bottrop und bei Fortuna Bottrop (als Spielertrainer) ausklingen, später war er noch Trainer beim FC Gladbeck und beim SV Zweckel. Friedhelm Strzelczyk verstarb im Januar 2009.
Hans-Joachim Fenne (FC Schalke 04)
Diese Position hat vor ihm und nach ihm kein Gladbecker inne gehabt. Präsident eines Bundesligavereins zu sein – das durfte bislang nur der 2010 verstorbene Hans-Joachim Fenne in seinem Lebenslauf auflisten. Nach dem Rücktritt von Günter Siebert wurde der Gladbecker Bauunternehmer 1979 kommissarischer Präsident am Schalker Markt, am 6. Mai 1980 wählte ihn die S04-Gemeinde mit 626 von 636 Stimmen zum Vereinspräsidenten.
Seine erste Amtshandlung: Er lotste Rudi Assauer als Manager nach Schalke. Da den Verein seinerzeit vier Millionen Mark Schulden drückten, musste der Vorstand Abramczik, Rüßmann und Wuttke verkaufen. Die Folge: Schalke stieg 1981 und 1983 ab. Unter der Ägide des Gladbecker Präsidenten schaffte Königsblau zweimal den schnellen Wiederaufstieg und, noch wichtiger, entdeckte mit dem jungen Olaf Thon aus Beckhausen ein riesen Talent.
„Ich weiß noch, als ich als 17-Jähriger zu Gesprächen nach Gladbeck fuhr“, lässt Olaf Thon den Blick zurück schweifen. „Im Hause Fenne begrüßte mich eine Hausdame, es ging förmlich, geradezu herzöglich zu.“
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Bei einem Pokalspiel in Magdeburg in der damaligen DDR hatte der königsblaue Tross wegen der schikanösen Kontrollen viel Zeit, die Fenne, Assauer und der junge Thon mit Skat-Spielen überbrückten. „Wir haben nur um Peanuts gespielt“, so Thon. „Als Vereinschef war Fenne jedenfalls deutlich besser als im Skat.“
Im Dezember 1985 setzte Fenne seinen ehemaligen Vertrauten Assauer vor die Tür, wenige Tage später kam auch für den Gladbecker das frühe Aus bei dem Traditionsverein.
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