Essen. Seit der Vergabe der WM wird von Kritikern eine erbitterte Debatte über den Boykott geführt. Vergeblich. Alle Teams nehmen teil.

Bereits unmittelbar nach der Vergabe der Fußball-WM nach Katar im Jahr 2010 kam erstmals die Forderung nach einem Boykott auf. Die Gründe sind vielfältig und drehen sich vor allem über die prekäre Menschenrechtssituation in dem autoritär geführten arabischen Land.

Viele Forderungen nach einem WM-Boykott

Weil während der Vorbereitung des Landes auf das Turniers und da insbesondere beim Stadionbau immer wieder Berichte über Todesfälle bei Bauarbeiten und menschenunwürdige Lebensbedingungen der Arbeiter bekannt wurden, wurden die Forderungen nach einem Boykott der WM eher lauter.

Laut Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, hat die Gastgeberrolle der Fußball-WM noch nicht zu nennenswerten Reformprozessen in Katar geführt. Er müsse konstatieren, „dass es eine Schande ist, wie langsam und ungenügend die Reformen in Katar vorangetrieben werden“, sagte der 59-Jährige im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“.

Es habe zwar einige Verbesserungen gegeben, aber „vor allem auf dem Papier“ und „nur sporadisch“, kritisierte Michalski. Auch bei den Entschädigungszahlungen für beim Bau der WM-Arenen verstorbene oder verletzte Arbeiter gebe es noch reichlich Nachholbedarf: „Nach den Regeln der Vereinten Nationen müssen FIFA, Regierung und die Bauunternehmen diejenigen Familien entschädigen, deren Angehörige auf den Baustellen gestorben oder verletzt worden sind. Aber bislang haben die Verantwortlichen noch nicht mal mit der Wimper gezuckt.“

Über die Lage im Land hat auch die WAZ ausführlich berichtet. Unsere Reporter besuchten in Katar die Wohnungen von Arbeiten, begleiteten Fußballerinnen auf den Trainingsplatz und sprachen mit Gegnern und Befürwortern eines WM-Boykotts

Reportagen aus Katar

Noch bis kurz vor dem Turnierbeginn prallen unterschiedliche Positionen aufeinander

Die Position der Boykott-Befürworter

Arbeiter in Katar.
Arbeiter in Katar. © dpa

Die Boykott-Befürworter argumentieren, dass durch die Prestige-trächtige WM ein Unrechtsregime aufgewertet würde, die Durchführung der WM trotz aller Toten und Vergehen menschenrechtswidriges Verhalten nicht nur gebilligt, sondern indirekt sogar gerechtfertigt würde. Vor allem Fan-Gruppierungen deutscher und andere Klubs haben sich vehement gegen die WM in Katar ausgesprochen, aber auch international führende Fußballprofis und Politiker.

Die Position der Boykott-Gegner

Die Gegner des Boykotts argumentieren im Wesentlichen mit zwei Gedankensträngen, wie sie auch bei Olympischen Spielen in China oder der Fußball-WM 2018 in Russland schon formulier worden waren. Demnach bringe ein sportliches Großereignis vom Kaliber einer WM oder Olympischer Spiele dem Land langfristig Wandel, weil sich auch Unrechtsregime öffnen und verändern müsse, wenn sie die Welt empfingen. Ganz konkret argumentieren die Boykottgegner auch damit, dass die zahlreichen Kameras, die herumreisenden Journalisten genau hinschauen und damit die Regimes zu Transparenz und Lockerung zwingen würde. Damit wäre den Bevölkerungen am besten geholfen.

Schwierige Debatte über einen WM-Boykott in Katar

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Von Alexander Laux und Sebastian Weßling

Die Diskussion darüber, ein Urteil, ob ein WM-Boykott in Katar richtig oder falsch ist, entzieht sich auch deshalb einem schnellen Urteil, weil die Frontlinien um die Debatte nicht gradlinig verlaufen. Dass die Führungsriege des FC Bayern München sich gegen einen Boykott ausspricht, mag wohlfeil sein, weil der Klub mit dem Emirat geschäftliche Beziehungen pflegt, über Sponsoren viel Geld bekommt. Dass Vertreter und Vertreterinnen von Menschenrechtsorganisationen sich wegen der oben genannten Gründe vereinzelt gegen einen WM-Boykott aussprachen, könnte immerhin nachdenklich stimmen.

So diskutiert diese Redaktion in Kommentaren über den WM-Boykott

Das denkt die Nationalmannschaft

Und die eigentlich Betroffenen? Spieler und Stab der Nationalmannschaft werden natürlich vor – und während der WM – genau beobachtet. Selbstverständlich wollen sich Nationalpieler die Chance auf eine WM nicht entgehen lassen. Ebenso selbstverständlich bemühen sich der Bundestrainer und sein Stab als angestellte des Deutschen Fußball-Bundes um Zurückhaltung. Dennoch gibt es auch einige klare Meinungsäußerungen zum Thema. Die Mannschaft setzte ein Zeichen, auch Oliver Bierhoff positionierte sich. Deutliche Worte fand auch Philipp Lahm, der ehemalige Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft.

Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Island im März setzte das DFB-Team mit dem Schriftzug
Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Island im März setzte das DFB-Team mit dem Schriftzug "Human Rights" ein Zeichen für mehr Menschenreche - eine Kritik auch an den Bedingungen in Katar, dem Gastgeberland der WM 2022. © dpa

Kurz vor der WM gibt es nur noch die Debatte, das Turnier wird stattfinden. Ein Blick auf vorherige Großveranstaltungen zeigen, dass der Blick der "Weltöffentlichkeit" keinen nachhaltigen Einfluss hat. Die Olympischen Spiele in Pyeongchang 2018 hatte immerhin ein Zwischenspiel an Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea gebracht, China zeigte sich 2022 gänzlich unbeeindruckt, nutzte die Corona-Pandemie für hermetisch abgeriegelte Spiele. In Katar fand 2021 die Leichtathletik-WM statt. Die politische Kaste des Landes hatte immerhin Fehler eingeräumt, sich aber weitere Kritik mit dem Hinweis auf Reformen aber verbeten.

Mehr Informationen zur Fußball-WM in Katar

Die Lage der Menschenrechte