Essen. Die Debatte über die Austragung der WM in Katar wird auch bei Anhängern des FC Schalke 04 geführt. Ein Fanbündnis reagiert mit kreativem Protest.

Wenn in fünf Monaten die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar beginnt, kommt Widerstand aus Gelsenkirchen. Die Schalker Fan-Initiative, ein eingetragener Verein mit rund 350 Mitgliedern, wird das Turnier boykottieren. Diese Haltung sei fast schon zwangsläufig, sagt Mitglied Susanne Franke, die Fan-Initiative stehe für einen diskriminierungsfreien Sport, den gebe es in Katar nicht. Über die WM sagt sie: „Wir gucken sie nicht, wir kaufen nichts.“

WM in Katar: Schalker haben sich früh positioniert

Die Regierenden des Emirats sind seit längerer Zeit in der Kritik, vor allem Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Arbeiterrechte wurden immer wieder angeprangert. Oft diskutiert wurde dabei das Kafala-Vormundschaftssystem, das ausländische Beschäftigte eng an ihre Arbeitgeber bindet und etwa die Möglichkeiten einschränkt, den eigenen Arbeitsplatz zu wechseln. Forderungen nach einem Boykott kamen aus der Politik, dem Sport und der aktiven Fanszene.

Susanne Franke, Mitglied der Schalker Fan-Initiative.
Susanne Franke, Mitglied der Schalker Fan-Initiative. © fs

Auch die Schalker haben sich früh positioniert und dem Netzwerk „Boycott Qatar“ angeschlossen. „Es werden so viele Gebote der sportlichen und politischen Fairness verletzt, dass es uns unverantwortlich erscheint, an diesem Ereignis teilzuhaben“, schreiben die Macher in einem Aufruf. Dort erklärt die Bewegung unter anderem, keine Produkte mit WM-Logo zu kaufen, nicht nach Katar zu reisen und die Fifa mit Protest-Nachrichten einzudecken. Das Netzwerk wird mittlerweile von gut 1450 Menschen und mehr als 70 Organisationen unterstützt. Größtenteils sind es Fanvereinigungen, darunter Anhänger des FC St. Pauli, von Union Berlin oder Borussia Dortmund.

WM in Katar: Fans sind besonders kritisch

Michael Gabriel kennt die Debatten rund um Weltmeisterschaften. Der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte betreut seit 1992 Fans der deutschen Nationalmannschaft bei internationalen Turnieren. Über Katar sagt er: „Bei der aktiven Fanszene, die sich in den Kurven engagiert, ist der Blick auf die WM durchgängig kritisch und ablehnend. Aus Fan-Perspektive kulminieren alle negativen Entwicklungen innerhalb des Fußballs in dieser Vergabe.“ Ein Turnier wird zum Brennglas. Es sei eine Weltmeisterschaft, die kaum Rücksicht auf die Bedürfnisse von Fans nehme, erklärt Gabriel. Es gehe nicht mehr um den Sport, sondern ausschließlich um finanzielle Interessen. „So kommt es zumindest in den Fanszenen an.“

Mitte Januar begann der Kartenverkauf für das Turnier. Nach Angaben des Weltverbandes Fifa wurden innerhalb der ersten 24 Stunden mehr als 1,2 Millionen Tickets angefordert. Die größte Nachfrage kam aus Katar selbst, es folgten Argentinien, Mexiko und die USA. „Es werden natürlich auch Fans aus Deutschland nach Katar reisen. Das heißt aber nicht, dass diese Fans dem Turnier nicht kritisch gegenüberstehen“, sagt Gabriel. Er rechnet damit, dass die WM weiter kontroverse Diskussionen hervorrufen wird – warnt aber vor Erwartungen, dass sich etwas Grundsätzliches im Land ändern könnte. „Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass es oft Schein-Diskussionen sind.“

WM in Katar: DFB gegen einen Boykott

DFB und Nationalmannschaft werden vor Ort sein, der Verband hat sich von einem möglichen Boykott distanziert. DFB-Direktor Oliver Bierhoff sagte in einem Interview, ein solches Vorhaben sei kontraproduktiv. Die Nationalmannschaft werde teilnehmen, „aber natürlich nicht blind, sondern mit offenen Augen“. Man habe sich mit Menschenrechtsorganisationen getroffen, und aus den Gesprächen heraus entschieden, „dass aus sportlicher Sicht kein Boykott in Frage kommt“. Bierhoff äußerte kürzlich aber Verständnis für jene Fans, die dem Turnier fernbleiben wollen.

Eine der Organisationen, mit denen sich der Verband austauscht, ist Amnesty International. Die Menschenrechtler informierten bereits Spieler der Nationalmannschaft über die Lage in Katar. Wenn es um das Thema Boykott geht, hat Amnesty jedoch eine eigene Herangehensweise: Die Organisation spricht sich weder dafür noch explizit dagegen aus. Ein Boykott, so die Erklärung, gehöre eigentlich nicht zu ihrem Instrumentenkoffer. „Wir fragen uns bei unserer Arbeit stets: Was ist der beste Ansatz, um für die Menschen vor Ort wirkliche und nachhaltige Verbesserungen zu erzielen?“, sagt Lisa Salza, Expertin für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz. Im Fall von Katar sei es wichtig, Menschenrechtsverletzungen kontinuierlich zu untersuchen, Missstände aufzudecken und mit Kampagnen darauf aufmerksam zu machen.

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Wie aber sieht die aktuelle Lage im Land aus? Die Situation von Arbeitsmigranten hat sich oberflächlich gebessert: Seit der WM-Vergabe wurde ein Mindestlohn eingeführt, das Kafala-System abgebaut. An der Umsetzung solcher Reformen hapert es jedoch, Amnesty spricht von einer Stagnation der Fortschritte. Laut dem Ende März veröffentlichten Amnesty International Report 2021/22 waren Arbeitsmigranten im vergangenen Jahr weiter „von Ausbeutung betroffen“, „ausbeuterische Praktiken“ und die „schlimmsten Elemente“ des Kafala-Systems bestünden fort. Zwangsarbeit und andere Formen von Missbrauch der Arbeitnehmerrechte seien aber nur ein Aspekt von einer „Palette der Menschenrechtsverletzungen“, erklärt Salza, auch Diskriminierungen gegenüber Frauen und homosexuellen Menschen gehörten dazu.

Wie nachhaltig sind Reformen?

Es bleibt die Frage, ob eine Weltmeisterschaft überhaupt das Potential hat, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Die Expertin sagt: „Wir sehen, dass ein großes Sportevent für Reformen sorgen kann.“ Die bisherigen Fortschritte seien ein Resultat des Drucks von verschiedenen Seiten, aber auch von außenpolitischen Überlegungen. Vieles wird sich nach der Weltmeisterschaft zeigen, dann kommt es darauf an, wie nachhaltig die Reformen sind.

Dass dieses Turnier stattfinden wird, daran zweifelt natürlich auch Susanne Franke nicht. Für sie ist der Fan-Boykott trotzdem naheliegend, es sei für Anhänger das sichtbarste Mittel, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. „Als Zuschauer kann ich still zu Hause sitzen oder ich formuliere mein Anliegen“, sagt sie. Die Schalker wollen informieren, über schlechte Arbeitsbedingungen, umstrittene Menschenrechtsverletzungen, notwendige Reformen bei der Fifa. Wenn die Weltmeisterschaft beginnt, werden sie einen Schritt weitergehen.

Während der WM: Halle in Gelsenkirchen gebucht

Anstatt die Partien zu sehen, sollen Fans unter einem gemeinsamen Motto selbst Fußball spielen. Dafür hat die Fan-Initiative die vereinsübergreifende Aktion „Back2Bolzen“ ins Leben gerufen. „Wir möchten, dass sich damit bundesweit und gerne auch in anderen Ländern Fußballfans identifizieren“, sagt Susanne Franke. Die Halle für ein Turnier in Gelsenkirchen ist bereits gebucht.