Dortmund. . Michael Rummenigge kam in der Saison 1988/89 vom FC Bayern München zu Borussia Dortmund und wurde bei seiner Ankunft erstmal ausgepfiffen. Gerade bei den Fußballfans im Ruhrgebiet haftete ihm das Image des arroganten Schnösels an. Aber er biss sich durch und fand am Ende sein Glück.

Ein Freitagabend auf einer Bezirkssportanlage in Witten, Borussia Dortmund eröffnet die Saison 1988/89 mit einem freundschaftlichen Kick gegen den Kreisligisten TuS Stockum. Natürlich werden die BVB-Profis hier in der Nachbarschaft umschwärmt, einer aber hat es schwer auf diesem Terrain: Ausgerechnet Borussias Neuer wird als Einziger mit Pfiffen begrüßt. Die Leute trauen ihm nicht, sie beobachten ihn argwöhnisch. Weil er von Bayern München kommt, weil er Rummenigge heißt, weil gerade hier im Revier das Image des arroganten Schnösels an ihm haftet wie festgedübelt, seit er vier Jahre vorher in einer gefilmten Telefonaktion einen Schlosser abkanzelte.

Michael Rummenigge ringt an diesem ersten Abend im neuen Dress um Anerkennung, er schreibt länger als alle anderen Autogramme und gibt im Spiel nie auf, obwohl er im Übereifer Chance um Chance versemmelt. Licht aus, Spott an: Der Kreisliga-Torwart macht sich sogar über ihn lustig („Das gibt doch nichts, Rummenigge“). Am Ende gewinnt der BVB 10:0, und der Neue hat nur einmal getroffen. Er weiß jetzt, worauf er sich eingelassen hat.

Das erste Urteil: Fehleinkauf!

Es wäre damals leichter gewesen, BVB-Fans zu finden, die „Blau und Weiß, wie lieb ich dich“ singen, als schwarz-gelbe Verehrer von Michael Rummenigge. „Schon an dem Tag, als ich mir in Dortmund nur mal alles ansehen wollte, gab es einen Fan-Aufstand am Westfalenstadion. Ich sagte dann: Freunde, das muss ich mir reiflich überlegen.“ Er flog nach München zurück und feierte mit Lothar Matthäus und Andy Brehme, die zu Inter Mailand wechselten, eine feuchtfröhliche Abschiedsparty. Anschließend entschied sich Michael Rummenigge dafür, den Kampf anzunehmen.

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„Das war anfangs eine schwere Zeit“, erinnert sich der 49-Jährige. „Als in den ersten Bundesligaspielen die Tore ausblieben, hieß es schnell: Fehleinkauf!“ Am Ende der Saison aber jubelten die Fans auch ihm euphorisch zu: Der BVB gewann mit einem 4:1 gegen Bremen in Berlin den DFB-Pokal. Und Michael Rummenigge hatte sich gegen alle Widerstände durchgesetzt.

Eigentlich wollte Rummenigge beim BVB nur zwei Jahre bleiben

Den schweren Weg war er mit 24 Jahren bewusst gegangen. „Ich wollte es in erster Linie mir selbst beweisen“, sagt er. „Den großen FC Bayern verlassen zu haben, das war ja ein Rückschritt.“ Die Münchener, bei denen er als junger Kerl an der Seite seines Bruders Karl-Heinz furios gestartet und mit denen er dreimal Meister geworden war, hatten ihn aussortiert, und zwar gnadenlos. „Es gab Probleme mit Trainer Jupp Heynckes“, erzählt Michael Rummenigge. „Uli Hoeneß bestellte mich ins Büro und sagte: Wir machen einen Radikalumbruch, auch du musst gehen. Ich wies ihn auf meinen Vertrag hin, und er sagte nur: Gerne, dann haben wir für dich eine Reservierung in Block 7, Reihe 34, Platz 15.“ Die Hoffnung auf einen Transfer zum in den 80er-Jahren noch ruhmreichen Hamburger SV zerschlug sich. Also: BVB.

In Dortmund wollte Michael Rummenigge nur für zwei Jahre Station machen, er hatte vor, nach Italien oder Frankreich zu wechseln. Aber er blieb, von einem zweijährigen Intermezzo in Japan abgesehen, bis heute. „Unsere Familie hat sich in Dortmund immer wohlgefühlt“, erklärt der gebürtige Lippstädter.

Rummenigge lobt "Riesenleistung" des BVB in den vergangenen Jahren

1991 begann für ihn beim BVB eine Zeit, von der er heute noch schwärmt. Denn Ottmar Hitzfeld belebte den Verein. „Ich hatte nie einen besseren Trainer als ihn“, sagt Michael Rummenigge. „Er bezog mich in seine Überlegungen mit ein und machte mich zum Kapitän, als Michael Zorc verletzt ausfiel. Dadurch stiegen noch einmal mein Selbstbewusstsein und meine Leistung – mit 27, das muss man als Trainer erst einmal hinbekommen.“

Der BVB ist sein Klub geworden: Er spielt noch immer für die Traditionsmannschaft, und das Londoner Champions-League-Finale hat er auf Einladung von Borussia besucht. „Es geht einem das Herz auf, wenn man sieht, was die Bayern in der vergangenen Saison gespielt haben“, sagt er. „Aber was in Dortmund passiert ist, das ist der absolute Hammer: Der Verein ist in wenigen Jahren vom Leichentuch wieder auferstanden zu einer Größe in Europa. Eine Riesenleistung!“

In Rummenigges Keller hängen Autogramme von Uwe Seeler

Wenn er zurückblickt, wurmt es ihn zwar, dass er es nur auf zwei Länderspiele brachte. Aber er gibt auch ehrlich zu: „Die Konkurrenten waren Matthäus, Häßler, Littbarski, Möller. Ich bin realistisch: Die waren einen Tick besser als ich.“ Damals wurde ihm das auf schwer verdauliche Art beigebracht: „Franz Beckenbauer hat mich 1986 in Hannover gegen Spanien mal 70 Minuten warm laufen lassen und dann gesagt: Oh, dich habe ich ja ganz vergessen, setz’ dich mal wieder hin.“

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Längst kann Michael Rummenigge über diese Anekdote hinweglächeln, sie ist Teil seiner Fußballgeschichte. Die Erinnerungsstücke daran hält er in Ehren: Das Kellerbüro in seinem Haus gleicht einem kleinen Museum, an den Wänden hängen auch alte Spielplakate und Fotos mit Autogrammen von Uwe Seeler und Hans Tilkowski.

Auch mit 50 Jahren bleibt Michael noch "der kleine Rummenigge"

Das Büro ist auch Schaltzentrale für viele Geschäftsfelder. Eine Soccer-Halle in Münster, eine mobile Fußballschule, Event-Organisation, eine Internet-Auktionsplattform für Fußball-Raritäten, Sportmarketing, Vorträge – der Mann hat gut zu tun. Um gegenüber den anderen Trainern in seiner Fußballschule nicht im Nachteil zu sein, hat er 2007 sein Fußball-Lehrer-Diplom erworben. Und mit einem Partner aus Berlin arbeitet er nun auch als Spielerberater: Prominentester Klient ist Nationalspieler Jerome Boateng.

„Damit hätte ich schon zehn Jahre früher anfangen sollen“, meint Michael Rummenigge. „Die Spieler glauben mir mehr als anderen, weil ich ja alles selbst erlebt habe.“ Der Name Rummenigge sei häufig „Türöffner und Verpflichtung zugleich“. Weil Bruder Kalle schließlich „ein Weltklassespieler“ gewesen und heute Vorstands-Chef des FC Bayern sei – und weil man als jüngerer Bruder auch ewig an dem älteren gemessen wird. Michael Rummenigge muss lachen: „Ich werde nächstes Jahr 50“, sagt er, „aber viele Leute sagen immer noch: der kleine Rummenigge.“