Gelsenkirchen.. Ausgerechnet mit dem zunächst ungeliebten Ex-Dortmunder Andreas Möller startete der FC Schalke 04 2001 zur Spitze durch. Dann kamen am 19. Mai 2001 die berühmten vier Minuten Verlängerung am letzten Spieltag.
Weltmeister, Europameister, Weltpokalsieger, Champions-League-Gewinner, Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger: Andreas Möller hat im Fußball alles erreicht, was der Sport an schönen Erfolgen so hergibt. Dennoch haben viele Fans von ihm ganz andere Dinge in der Erinnerung: eine „Schutzschwalbe“, den Begriff „Heulsuse“ und vermeintliche Defizite in Erdkunde. Möller kann damit umgehen, er weiß, was er geleistet hat. Warum sonst hätte er sich im Spätherbst seiner Karriere noch einen Wechsel von Dortmund ausgerechnet nach Schalke antun sollen – und das als Feindbild Nummer eins mancher S04-Fans. Wir haben ihn nicht nur dazu befragt, sondern auch geklärt, wie er diesen verdammten 19. Mai 2001 erlebt hat.
Kaum ein Rückblick auf 50 Jahre Bundesliga kommt ohne Ihren Spruch von ‚Mailand oder Madrid’ aus. Fühlen Sie sich als Fußballer eigentlich genügend gewürdigt?
Andreas Möller: Ach, das ist Klischeedenken. Mag sein, dass der Prophet im eigenen Land nicht viel zählt, aber wenn ich im Ausland bin, erhalte ich höchste Anerkennung. Ich kann sagen, dass ich alles aus meiner Karriere herausgeholt habe, außer vielleicht mal Fußballer des Jahres zu werden. Dafür hätte ich vielleicht mehr Imagepflege betreiben müssen. Ich weiß selbst, dass ich eher eine Reizfigur war, aber wenn ich die Wahl habe, Everybodys Darling zu sein und nichts erreicht zu haben oder anders herum, ist die Sache klar.
Mit 20 verließen Sie das Frankfurter Nest und gingen nach Dortmund.
Möller: Dortmund hat einen Nachfolger für Marcel Raducanu gesucht, es wurde ein Jahr nach dem in der Relegation gegen Fortuna Köln knapp geschaffen Klassenerhalt eine neue Mannschaft formiert. Wir sind schon ein Jahr später in den Uefa-Pokal marschiert.
Wie kamen Sie im etwas rauen Ruhrgebiet klar?
Möller: Das war eine sehr gute Schule für mich, meiner Persönlichkeitsentwicklung hat das geholfen. Ich musste mich in einer fremden Umgebung durchsetzen. Es war schon etwas anderes, da im Westfalenstadion vor diesen vielen Fans, die ganz nahe am Spielfeld sitzen, zu spielen. Das hat einen Kick gegeben.
Nach zwei weiteren Jahren in Frankfurt gingen Sie mit 25 nach Turin, ehe Sie 1994 nach Dortmund zurückkehrten und dort die erfolgreichste Zeit Ihrer Karriere erlebten.
Möller: Wir sind zweimal Meister geworden und haben die Champions League sowie den Weltpokal geholt. Das war schon eine überragende Zeit, allerdings konnten wir dieses Niveau nach dem Höhepunkt 1997 auch nicht mehr halten.
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Dass Sie einmal auf Schalke landen würden, hätten Sie dennoch sicher selbst nicht geahnt, oder?
Möller: Nein, ich hätte nie gedacht, dass es in Dortmund mal aufhören würde, aber beim BVB musste irgendwann der Gürtel enger geschnallt werden, und bei den Vertragsverhandlungen kamen wir nicht weiter. Dann ist Rudi Assauer im richtigen Moment auf mich zugekommen und war sehr überzeugend. Schalke hatte etwas vor, der Klub wollte Reibung erzeugen und hat mit Jörg Böhme, Tomasz Hajto und mir drei Spieler geholt, die polarisierten. Ich war sicherlich kein schwieriger Spieler, kam aber eben vom BVB und hatte eben ein gewisses Image.
Schalke-Fans schworen, nie wieder ins Parkstadion zu gehen, solange der Möller da im blau-weißen Trikot spielt!
Möller: Die Fans waren geteilter Meinung. Da waren einige, die konnte man überhaupt nicht umstimmen, doch wenn ich heute mit Schalkern spreche, sagen die: ‚Damals habe ich gedacht: Was, der Möller bei uns, das geht gar nicht.’ Aber dann hätten sie mal richtig darüber nachgedacht und wären zu dem Entschluss gekommen: Spielerisch ist das doch genau der, den wir brauchen.
Ausgerechnet mit Andy Möller stürmte S04 plötzlich an die Spitze.
Möller: Ich war 32, und Rudi Assauer hat zu mir gesagt: Junge, du kannst noch drei Jahre spielen. Es war Chance und Risiko zugleich. Ich hätte meine Karriere auch woanders ausklingen lassen können, ob in der Bundesliga oder im Ausland. Aber das Ding ist voll aufgegangen, wir sind von Beginn an vorne weg marschiert. Man hat gesehen, dass ich mich nicht nur in meinem Nest in Frankfurt oder Dortmund wohl fühlen kann, sondern im letzten Drittel meiner Karriere noch eine Herausforderung gesucht habe.
Die zum Ende der Saison im ultimativen Drama endete...
Möller: Das war sicherlich nicht nur für mich mit der emotionalste Moment überhaupt im Leben. Uns hatte in der Saison ja keiner auf der Rechnung, aber dann haben wir teilweise wie im Rausch gespielt, waren nach drei Spieltagen Tabellenführer und haben sogar zweimal die Bayern geschlagen. Wenn du dann so lange oben dabei bist, willst du natürlich auch die Schale in der Hand haben. Im Nachhinein würde ich auch nicht sagen, dass wir das Ding vorher in Bochum oder Stuttgart verloren haben, sondern das war auch unglaubliches Pech am letzten Spieltag. Erst das irre 5:3 gegen Unterhaching, dann diese Verlängerung in Hamburg.
Was genau haben Sie an diesem 19. Mai zwischen 17.17 und 17.21 Uhr gemacht?
Möller: Wie die anderen Spieler war ich zuerst auf dem Platz und bin dem Rudi vor Freude in die Arme gesprungen, denn wir haben ja alle geglaubt, dass wir Meister sind. Die Fans kamen schon auf den Platz gelaufen und wollten mit uns feiern. Als es da zu voll wurde, sind wir Spieler in die Kabine hoch. Dort lief der Fernseher, erst da haben wir gemerkt, dass das Spiel in Hamburg noch nicht vorbei war. Ich kann mich erinnern, wie Olli Reck vor lauter Angst unter den Tisch gekrabbelt ist, dass dieser Freistoß von Andersson rein gehen würde. Von zehn Schüssen trifft der doch neunmal das Bein eines Gegenspielers oder vielleicht den Pfosten. Dann war es passiert. Danach haben sich unbeschreibliche Szenen abgespielt. 1992 war es mit Frankfurt ähnlich, als wir am letzten Spieltag durch eine Niederlage in Rostock die Meisterschaft verspielt haben. Aber das mit Schalke war viel brutaler. Ein Moment, den man nie mehr vergisst.