Duisburg. . Man nennt ihn „Erle“, weil er im gleichnamigen Gelsenkirchener Stadtteil geboren wurde. Das Herz von Carsten Wolters aber gehört seit langem dem MSV Duisburg, mit dem er Höhen und Tiefen erlebt hat.
So geht echte Liebe: Als Carsten Wolters mit dem Fußball aufgehört hat, da entrollten Hunderte von Duisburger Fans zu seinem letzten Spiel im Trikot des MSV ein gewaltiges Transparent. Sein Porträt hatten sie gemalt, und darunter geschrieben: Erle Wolters, für immer einer von uns.
Und schon muss man die Geschichte, die viel über Carsten Wolters aussagt, ein klein wenig korrigieren. Mit dem Fußball hat er ja bis heute nicht so richtig aufgehört. Mit dem Fußball nicht und auch nicht mit seinem Verein in Duisburg.
Fast mal ein Schalker
Sein Verein. Das ist im Zusammenhang mit einem Profispieler eine gewagte Formulierung. Aber bei Wolters passt sie. Sein Verein. Das ist der MSV Duisburg. Obwohl Wolters alle Welt nur „Erle“ nennt, weil er dort in Gelsenkirchen lebt und beim SV Erle 08 mit dem Fußball begonnen hat. Obwohl er mal dicht vor einem Wechsel zu Schalke 04 stand, was in den frühen Neunziger Jahren daran scheiterte, dass sein damaliger Verein Wattenscheid 09 zu viel Ablösesumme forderte. Obwohl er dann zu Borussia Dortmund gegangen ist.
Jugendsünden.
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Denn 1996, mit 26, wechselte Wolters zum MSV, und als die Fans ihre Choreographie entrollten, da war das Jahr 2007 erreicht, und Wolters hatte mit seinen 37 Jahren fast 300 Spiele für den MSV auf dem Buckel. Mit Abstiegen, mit Aufstiegen, mit Triumphen und Tragödien zwischen erster und zweiter Liga. Und mit einer denkwürdigen Saison 2005/2006, die als der Beginn einer Duisburger Epoche gelten sollte und die aus heutiger Sicht durch das neue Stadion vielleicht sogar den Grundstein gelegt hat für die gewaltigen Schwierigkeiten, in denen die Zebras derzeit stecken.
Mit Auge, Routine und seiner typischen Art
Damals aber war der MSV endlich wieder aufgestiegen, nach trostlosen Jahren in der 2. Liga, nach missglückten Experimenten mit Trainern wie Pierre Littbarski, der hohen Unterhaltungswert hatte, sportlich aber nichts bewegte. Auf Littbarski war Norbert Meier gefolgt, eine Art Kontrastprogramm: spröde, aber akribisch. Als in der 2. Liga Georg Koch, Ivo Grlic und Dirk Lottner dazu stießen, war der Grundstein für den Aufstieg gelegt. Und Erle Wolters wieder einmal davon überzeugt, dass es mit dem Profifußball nun gut sein müsse.
„Ich war doch schon 36, und für meine Position als rechter Verteidiger war ein Junger geholt worden. Ich dachte, ich bin raus“, erinnert sich Wolters, „und das hätte ich auch verstanden.“ Der Junge, Razundara Tjikuzu, war fußballerisch hochbegabt, aber als der VfB Stuttgart mit Trainer Giovanni Trapattoni zum Saisonauftakt in die neue MSV-Arena kam – spielte Wolters. Mit Auge, mit Routine, mit seiner typischen Art, den Ball einzudrehen und abzuschirmen.
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Das erste Spiel war wie ein Symbol für die Saison, die der MSV hinlegen sollte, und dessen Präsident Walter Hellmich träumte in völliger Verkennung der Verhältnisse von Augenhöhe mit Schalke und Dortmund: Das neue Stadion war nicht einmal zum Auftakt ausverkauft, der MSV beim 1:1 irgendwie dran, ohne aber den Bock umstoßen zu können. Wolters zieht heute ein nüchternes Fazit: „Uns fehlte einfach die Qualität.“
Das Riesentheater um Streit und Meier
Was nicht bedeutet, dass Fußball im Kampf gegen den Abstieg keinen Spaß machen kann. Jedenfalls, wenn man Carsten Wolters heißt, schon 36 Jahre alt ist und sich vorgenommen hat, „jedes Spiel einfach nur noch zu genießen. Um mehr“, sagt Wolters, „konnte es für mich doch gar nicht mehr gehen.“
Für den MSV dagegen schon. Die Mannschaft aber kommt nicht vom Fleck, und als es im Winter so wirkt, als bleibe es beim heftigen, aber vergeblichen Abstrampeln gegen den Abstieg, kommt der 1. FC Köln ins Stadion. Und mit ihm Albert Streit.
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Der Rest ist Bundesliga-Geschichte. Für beide Teams geht es um viel, kurz vor Schluss steht es 1:1, was dem Gegner wieder einmal mehr hilft als dem MSV. Dann bauen sich Streit und Duisburgs Coach Norbert Meier am Spielfeldrand voreinander auf. Streit pöbelt böse, Meier ruckt mit dem Kopf nach vorne und lässt sich danach fallen. Wolters ist auf dem Platz, als sein Trainer unfreiwillig in die Annalen der Liga eingeht: „Ich habe das gar nicht so mitbekommen, plötzlich war da ein Riesentheater. Aber was genau passiert war, habe ich erst nach dem Spiel im Fernsehen gesehen. Da dachte man sich: Ob das gut geht?“
Nach elf Jahren Wechsel in den Trainerjob
Es ging nicht. Meier musste nach seinem Kopfstoß und der anschließenden Opferrolle gehen. Dass Jürgen Kohler als Nachfolger kam, entpuppte sich als fataler Fehlgriff. Nach nur drei Monaten, wenigen Punkten und viel internem Ärger musste Kohler wieder gehen. Wolters hatte zwar 1995/96 mit dem Weltmeister zusammen beim BVB gespielt, viel näher brachte es den Routinier dem Trainer-Neuling allerdings nicht: „Er kam damals von Juventus zur Borussia, ich von Wattenscheid. Großen Kontakt hatten wir in der Kabine nie.“ Am Ende war’s Kohlers letztes Spiel, ein 1:1 in Wolfsburg, das dem MSV den Glauben an den Klassenerhalt nahm. „Totenstille in der Kabine“, erinnert sich Wolters, „und dann ging die Brüllerei untereinander los. Das war das Zeichen: vorbei.“
Nur für Wolters nicht. In der 2. Liga hängte er noch eine Spielzeit dran, als Profi auf Abruf. Nach elf Jahren, als die Fans ihr Transparent ausrollten, wechselte er in den Trainerjob, erst als Co-Trainer der Reserve, dann als Chefcoach bei der U 17 des MSV, inzwischen bei der U 19. Der Erle aus Erle und sein Verein aus Meiderich: Es muss Liebe sein.