Gelsenkirchen. . Noch heute schwärmen vor allem Schalke-Fans von der großen Kunst des Kultfußballers Stan Libuda. Doch der Rechtsaußen, dem Borussia Dortmund den ersten Europapokalsieg verdankt, litt bis zu seinem Tod unter den Folgen des Bestechungsskandals aus der Saison 1970/71. Weil er sich schämte.

Reinhard Libuda mochte Interviews so sehr wie Verteidigertritte auf die Achillessehne. Auf der Trommel der Selbstdarstellung spielte er nicht mit Stöcken, sondern mit Besen. Ein seltenes Fernsehinterview vor mittlerweile 20 Jahren zeigte einen Mann, der mit sich selbst haderte, der sich selbst nicht verzieh. Er saß im Kurpark von Bad Reichenhall, dort erholte er sich von einer schweren Operation, er litt an Kehlkopf-Krebs. „Dass ich da überhaupt mitgemacht habe“, sagte er leise. „Ich war damals der Kapitän und wollte das gar nicht.“

Er sprach vom Skandal. Von dem Bestechungsskandal, der die Bundesliga zu Beginn der 70er-Jahre erschüttert hatte, und der ihn, den genialen Dribbelkünstler, den „Stan“, der wie der legendäre Engländer Stanley Matthews perfekt links antäuschen und rechts vorbeiziehen konnte, nie wieder los ließ. Viele Bundesligaprofis waren in den Skandal verstrickt, Reinhard Libuda, Typ ehrliche Haut, zerbrach daran. Weil er sich schämte.

Europacupsieger mit dem BVB

Er war erst 52 Jahre alt, als er 1996 an einem Schlaganfall starb. Obwohl er so verschlossen war, obwohl er sich nach seiner Karriere vor jeglichem Rummel versteckt gehalten hatte, verehrten ihn seine Anhänger. Bis heute ist der Name Stan Libuda das Synonym für einen Kultfußballer des Ruhrgebiets.

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LI-BU-DA. Diese Sprechchöre, die damals von den Rängen der Glückauf-Kampfbahn schallten, dieses Stakkato: Wer das hörte, vergisst es nie. Wer ihn tricksen und flanken sah, schwärmt noch immer.

Er war ein verhinderter Weltstar

Der Instinktfußballer Stan Libuda war ein verhinderter Weltstar, seine Labilität konnte er nicht umdribbeln. Er brauchte die perfekte Atmosphäre, um in Top-Form zu kommen, am liebsten spielte er auf der Tribünenseite der Glückauf-Kampfbahn. 26 Länderspiele waren für einen Mann seiner Klasse deutlich zu wenige. Zwei davon blieben besonders in Erinnerung: Das 3:2 gegen Schottland 1969 in Hamburg, als er die Nationalmannschaft zur WM 1970 nach Mexiko schoss, und eben dort das Spiel seines Lebens – Libuda gegen Bulgarien 5:2. Der Schalker schlug einen Haken nach dem anderen, an diesem Tag hätte ihn auch ein Rudel Jagdhunde nicht einfangen können.

Am 17. April 1971 aber blieb auch Stan Libuda den Qualitätsnachweis schuldig. Schalke 04 verlor 0:1 gegen Arminia Bielefeld, insgesamt 40 000 Mark ließen sich die Ostwestfalen diesen Sieg kosten. Schalkes Spieler verkauften ihre Ehre für einen lächerlichen Betrag. Über Jahre leugneten sie jegliche Beteiligung und wurden vor einem Zivilgericht wegen Meineides angeklagt. Als ihr Kartenhaus zusammenbrach, entkamen sie nur knapp möglichen Gefängnisstrafen.

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Heimisch immer nur auf Schalke

All das war zu viel für Stan Libuda. In der Zeit, als er durch den DFB gesperrt war, spielte er für Racing Straßburg. Aber was sollte er da? Er hatte doch schon Dortmund als Ausland empfunden. Weil Schalke 1965 sportlich abgestiegen war, wechselte er zur Borussia – er hatte sein Wort gegeben, als er noch nicht wissen konnte, dass die Liga aufgestockt werden würde. Er schoss den BVB 1966 zum Europapokalsieg – heimisch aber hatte er sich immer nur auf Schalke gefühlt, ab 1968 spielte er wieder in Blau-Weiß. 1972 führte er ein großartiges Schalker Team als Kapitän zum DFB-Pokalsieg, doch als er 1973 aus Straßburg zurückkehrte, war er schon nicht mehr der Unaufhaltsame. „Ich hatte keinen Nerv mehr, keine Lust mehr, Schluss“, gab er später zu. Dieser verfluchte Skandal...

Das Leben nach dem Fußball stellte Reinhard Libuda zu viele Fallen. Geschäftssinn und Ellbogenmentalität waren ihm fremd. Seine Ehe wurde geschieden, ein Mehrfamilienhaus wurde genauso verkauft wie der Tabakwarenladen an der Kurt-Schumacher-Straße, in Einwurfnähe zur Glückauf-Kampfbahn, dieses kleine Traditionsgeschäft, das einst Schalkes großem Meisterspieler Ernst Kuzorra gehört hatte.

Zurück in den Haverkamp

In diesem Laden verkaufte Reinhard Libuda auch Karten für die Schalke-Spiele im damals neuen Parkstadion, die Fans kamen ihrem Idol dadurch ganz nah. Stets ging er höflich und freundlich mit ihnen um – und doch war ihm Distanz grundsätzlich lieber. „Ich weiß, dass ich ein guter Fußballer war, aber ich habe deshalb nie abgehoben, und Schulterklopfer waren mir ständig zuwider“, sagte er.

Er zog wieder nach Bismarck, genauer: in den Haverkamp, zu seiner Mutter. Haverkamp hieß Zuhause, hier in der alten Arbeiterkolonie kannten ihn die Leute schon als Kind, hier konnte er einfach nur netter Nachbar sein, hier wurde er nicht zum Star erklärt, der er nie sein wollte. Sein bevorzugtes Fortbewegungsmittel war ein Fahrrad.

Zurückgezogen, aber nicht einsam

Er sei einsam gestorben, behauptete der Boulevard, weil es so gut ins Bild passte. Stan Libuda lebte zurückgezogen, das ja. Er war auch schüchtern und scheu. Aber einsam? Die Menschen aus dem Haverkamp, die ihn besser kannten, wussten anderes zu berichten.

500 Menschen, denen er viel bedeutet hatte, kamen zu seiner Beerdigung, es regnete in Strömen. Der Soziologe Norbert Kozicki, Autor der auch mit Verehrung verfassten Biografie „Reinhard Stan Libuda – ein einfacher Junge aussem Kohlenpott“, schrieb über diesen traurigen Tag: „Stan machte alle noch einmal richtig nass.“