Essen. . Mit einer Massensperre für die Schalke-Arena und einem bundesweiten Stadionverbot für einen Teil von Ultra-Fans des BVB hat der FC Schalke 04 auf die Randale beim Revierderby vor drei Monaten reagiert. Experten und Fan-Vertreter halten Stadionverbote für falsch und verfassungswidrig.
501 Anhänger des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund dürfen für die nächsten fünf Jahre die Schalke-Arena nicht mehr betreten. Zusätzlich wurden 31 Personen gar mit einem bundesweiten Stadionverbot belegt. Der Verein legt ihnen zur Last, beim Revierderby im Oktober 2013 in der Schalke-Arena und auf der Fahrt zum Spiel randaliert zu haben. Die Entscheidung sorgt für Frust auf Fan-Seite und für Kritik von Rechtsexperten.
"Wir wollen mit der Entscheidung den Auftritt einer Gruppe von Gästefans mit den aus unserer Sicht angemessenen Mitteln sanktionieren, die uns zur Verfügung stehen", erklärt Schalke-Sprecher Thomas Spiegel auf Nachfrage. Dass auch Personen betroffen sind, die sich auf der Anreise zur Arena und in der Arena selbst nichts zu Schulden haben kommen lassen, mag man beim derzeitigen Bundesliga-Siebten nicht ausschließen: "Das Haus- und Geländeverbot ist für eine Gruppe von Anhängern verhängt worden, aus der heraus diese Taten begangen wurden. Wer glaubt, im Einzelfall zu Unrecht beschuldigt worden zu sein, wird sich sicherlich melden".
"90 Prozent der Stadionverbote sind nicht gerechtfertigt"
Während das Haus- und Geländeverbot für die Schalke-Arena zwar bis 2019 gilt, aber letztlich jeweils nur ein Spiel in der Bundesliga-Saison betrifft, sind die verhängten Stadionverbote weitreichender: Sie untersagen den Besuch sämtlicher Begegnungen aller deutschen Fußballvereine von der 1. Fußball-Bundesliga bis zu den Regionalligen. So haben es die Vereine im Deutschen Fußballbund beschlossen. Zum Beginn dieses Jahres wurden einzelne Regelungen verschärft. Etwas diese: Nachdem in den vergangenen Jahren ein Stadionverbot höchstens für die laufende Saison plus drei Jahre gelten konnte, sind nun bis zu fünf Jahre nach Verhängung möglich. Laut DFB sind aktuell rund 3000 Stadionverbote gegen Fußball-Anhänger verhängt.
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Fan-Vertreter halten die Wirkung für kontraproduktiv. Das Bündnis Aktiver Fußballfans zitiert in seiner Bilanz der vergangen Bundesliga-Saison den Fan-Forscher Jan Tölva. In Bezug auf die "härtere Linie von Polizei und Politik" bei Fußballgewallt beobachtet er: „Es scheint fast so, als würden Teile der Szene auf die wiederholte und dauerhafte Stigmatisierung als Kriminelle und Gewalttäter mit einem 'Jetzt erst recht!' reagieren.“
"90 Prozent der Stadionverbote in Deutschland sind nicht gerechtfertigt", meint Sandra Schwedler, Sprecherin der Vereinigung "ProFans", die bundesweit etwa 40 Ultra-Gruppierungen versammelt. "In den meisten Fällen geht die Polizei auf die Vereine zu und sagt, für wen sie ein Stadionverbot verhängt haben möchte. Meist sind das Personen, bei denen die Polizei in einem Strafverfahren nicht weiter kommt". Zudem bewirkten Stadionverbote "oft das Gegenteil", meint Schwedler: Sie erhöhen den Frust unter Fangruppen, steigern die Vorbehalten gegen Polizei und wohl auch die Gewaltbereitschaft. Gewalt könnten sie letztlich ebenfalls "nicht verhindern, weil sich die Leute meist trotzdem noch in den Problemgruppen bewegen". Zudem sei in Fan-Kreisen "die Solidarität bei Stadionverboten recht hoch". Ein Makel sei es jedenfalls nicht, wenn jemand ein Stadionverbot habe, sagt Schwedler.
"Der bloße Verdacht reicht für ein Stadionverbot"
Stadionverbote halten Fußball-Fans nicht vom Weg ins Stadion ab, meint auch Marco Blumberg, Vorsitzender der Fanabteilung des BVB. Denn "in der Praxis lassen sich Stadionverbote nicht überwachen". Wenn Zehntausende Menschen innerhalb kurzer Zeit in ein Stadion drängen, ist eine Ausweiskontrolle praktisch nicht machbar". Deshalb komme es immer wieder vor, dass Fußball-Anhänger trotz Verbots ihr Team ins Stadion begleiten - wenn auch getrennt von ihren Gruppen und als Einzelperson, sagt Blumberg. Wer erwischt wird, "riskiert eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch".
Mit diesem Stichwort ist man dann beim Kern des Konflikts um die Bewertung von Stadionverboten: "Stadionverbote sind für Vereine und Polizei der einfachste Weg, Randalierer auszusperren", sagt Blumberg, der sich für seine Abschlussarbeit im Jura-Studium mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Sein Fazit: "Stadionverbote sind verfassungswidrig". Weil die entsprechende "Richtlinie" des Deutschen Fußballbundes (DFB) den "Charakter eines Strafgesetzes hat" - aber dabei wesentliche Aspekte von Strafverfolgung und Rechtssprechung missachte. Zwar hat der Bundesgerichtshof 2009 die Richtlinie bestätigt; sie basiert auf dem "Hausrecht" im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, § 1004). Seit 2010 aber ist vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsklage anhängig aus Reihen der "Arbeitsgemeinschaft Fananwälte".
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Was Blumberg und andere kritisieren: Bei einem Stadionverbot reicht der bloße Verdacht eines Fehlverhaltens aus. "Bewiesen werden muss er nicht". Die Vereinigung der Fananwälte kritisiert dazu eine weiter Änderung der DFB-Richtlinie: Seit diesem Jahr kann auch Schmähkritik ("gegen die Menschenwürde gerichtetes Verhalten") mit Stadionverbot geahndet werden. Für die Fan-Anwälte wird damit ein "typischer Bestand der Fankultur" kriminalisiert.
Ist vom Täter weitere Gewalt zu erwarten?
Während Vereinigungen wie ProFans Stadionverbote grundsätzlich ablehnen, sind sie für Mario Blumberg unter Bedingungen legitim: "Wenn für sie die Prinzipien des Strafrechts gelten". Dazu gehört für Blumberg, "den Einzelfall und die jeweilige beschuldigte Person zu betrachten. Beschuldigte müssen das Recht haben, zum Vorwurf angehört zu werden und die Zukunftsdiagnose muss in die Bewertung des Falls einfließen - also die Frage ob und warum vom Täter weitere Gewalt zu erwarten wäre. All das fehlt bei den bisherigen Richtlinien zu Stadionverboten".
Beim FC Schalke 04 geht man davon aus dass die betreffenden Gästefans "bis 2019 nicht mehr zu uns in die Arena kommen". Gleichwohl räumt Schalke-Sprecher Spiegel ein: "Ausschließen können wir das nicht". Er betont: "Wer dennoch in oder auf dem Gelände der Arena erwischt werde, "riskiert eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch". Das wäre dann juristisch tatsächlich ein Strafverfahren.