Düsseldorf.. Andere Prüfungen, neue Klausur-Längen. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) zur Reform des Abiturs und zum Lehrkräftemangel in NRW.

Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen erwarten zahlreiche Veränderungen bei den Abiturprüfungen und bei der Vorbereitung aufs Abi.

„Für die Schülerinnen und Schüler, die 2026 in die Oberstufe kommen, wird es in NRW ein fünftes Abiturfach geben. Das bietet die Chance für alternative Prüfungsformate wie zum Beispiel eine Präsentationsprüfung oder neue Projektkurse“, sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) im WAZ-Interview. Viele Jugendliche wünschten sich diese Reform der Prüfung. 

Das fünfte Abiturfach eröffne Schülerinnen und Schüler bald mehr Möglichkeiten, Fächer zu kombinieren und eigene Schwerpunkte zu setzen und das „ohne Abstriche bei der Qualität“ der Prüfung. „Bei fünf Abiturfächern können zum Beispiel zwei Naturwissenschaften als Abiturfächer gewählt werden. Dies ist bei vier Abiturfächern nicht möglich. Oder wer Musik, Kunst oder Sport im Abitur hat, muss jetzt nicht mehr zwingend Mathematik als Prüfungsfach wählen“, erläutert Feller. Mathematik bleibe aber Pflichtfach bis zum Abitur, stellte sie klar.

Die Ministerin will sich zudem in der Bildungsministerkonferenz dafür einsetzen, die Dauer der Abiturklausuren zu verringern. Schon jetzt wolle NRW dahin kommen, „dass die Klausuren, die in den letzten beiden Jahren vor dem Abitur geschrieben werden, nicht so lang sein müssen wie die Abiturklausuren selbst“. Feller verglich das mit dem Training für Langstreckenläufe: „Ich muss vorher nicht schon einen ganzen Marathon gelaufen sein, um die 42 Kilometer zu schaffen, 30-Kilometer-Läufe reichen zur Vorbereitung.“

Hier das Interview mit der Schulministerin im Wortlaut

Frau Feller, die Kultusministerkonferenz arbeitet an einer Reform der gymnasialen Oberstufe. Was ändert sich?

Dorothee Feller: Für die Schülerinnen und Schüler, die 2026 in die Oberstufe kommen, wird es in NRW ein fünftes Abiturfach geben. Das bietet die Chance für alternative Prüfungsformate wie zum Beispiel eine Präsentationsprüfung oder neue Projektkurse.

Vergrößert das nicht den Abi-Stress?

Dorothee Feller: Die Landesschülervertretung begrüßt das. Viele Schülerinnen und Schüler wünschen sich alternative Prüfungsformate.

Was wird noch geändert?

Dorothee Feller: Mit fünf Prüfungsfächern erhalten die Schülerinnen und Schüler mehr Möglichkeiten, Fächer zu kombinieren und eigene Schwerpunkte zu setzen, ohne dass wir Abstriche bei der Qualität machen. Bei fünf Abiturfächern können zum Beispiel zwei Naturwissenschaften als Abiturfächer gewählt werden. Dies ist bei vier Abiturfächern nicht möglich. Oder wer Musik, Kunst oder Sport im Abitur hat, muss jetzt nicht mehr zwingend Mathematik als Prüfungsfach wählen. Mathematik bleibt natürlich Pflichtfach bis zum Abitur.

NRW wird sich außerdem in der Bildungsministerkonferenz dafür einsetzen, die Dauer der Abiturklausuren zu verringern, weil wir der Meinung sind, dass sich das Leistungsbild auch in kürzerer Zeit prüfen lässt. Schon jetzt wollen wir in NRW dahin kommen, dass die Klausuren, die in den letzten beiden Jahren vor dem Abitur geschrieben werden, nicht so lang sein müssen wie die Abiturklausuren selbst. Das ist wie beim Marathon: Ich muss vorher nicht schon einen ganzen Marathon gelaufen sein, um die 42 Kilometer zu schaffen, 30-Kilometer-Läufe reichen zur Vorbereitung.

Essen - Interview mit Dorothee Feller
„Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall sind so große Herausforderungen, dass man sie nicht von heute auf morgen beheben kann“: NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU). © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Viele Schlagzeilen drehten sich 2024 wieder um Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall. Ist das auch die triste Perspektive für 2025?

Dorothee Feller: Die Perspektive ist nicht so trist. Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall sind so große Herausforderungen, dass man sie nicht von heute auf morgen beheben kann. Aber wir machen Schritte nach vorne. Heute arbeiten 7400 Menschen mehr an unseren Schulen als vor zwei Jahren.

Hendrik Wüst hat im Landtag gesagt, unter den 7.400 Neuen seien 5700 zusätzliche Lehrkräfte, Sozialarbeiter, und Schulpsychologen sowie 1700 Alltagshelfer. Aber wie viele „richtige“ Lehrkräfte sind dabei?

Dorothee Feller: Es sind weit überwiegend Lehrkräfte. Wir haben an unseren Schulen in zwei Jahren 12.000 Neueinstellungen gezählt, darunter mehr als 10.000 Lehrkräfte.

Müssen wir uns daran gewöhnen, dass Kinder und Jugendliche immer öfter von Assistenzkräften, Seiteneinsteigern, Studierenden und immer seltener von Lehrkräften unterrichtet werden?

Dorothee Feller: Ein klares Nein. Schülerinnen und Schüler werden von grundständig ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet. Das können auch Seiteneinsteiger sein, die nach ihrer zweijährigen Ausbildung vollwertig qualifiziert sind. Sie helfen uns, den Unterricht zu sichern. Schulsozialarbeiter, multiprofessionelle Teams, Verwaltungsassistenten und Alltagshelfer unterrichten nicht. Sie sind mit ihren jeweiligen Qualifikationen wichtige Stützpfeiler in unseren Schulen oder aber unterstützen und entlasten wie die Alltagshelfenden die Lehrkräfte, damit diese sich mehr auf den Unterricht konzentrieren können.

Zur Person: Dorothee Feller

Schul- und Bildungsministerin Dorothee Feller ist Juristin und 58 Jahre alt. Der NRW-Landesregierung gehört sie seit 2022 an, davor war sie Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Münster (2017 bis 2022) und verbrachte in dieser Behörde einen großen Teil ihres Berufslebens. Seit 2017 ist Feller CDU-Mitglied. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) holte die erfahrene Verwaltungsfrau in sein Kabinett, um Ruhe in das komplizierte Schulressort zu bringen. Viele ihrer Vorgängerinnen hatten Mühe in dem als „toxisch“ geltenden Schulministerium. Der Plan ging bisher weitgehend auf. Fellers größtes Problem ist der anhaltende Lehrkräftemangel. Ihr Handlungskonzept zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung scheint erste Früchte zu tragen. Lehrkräfte protestieren allerdings gegen Teile dieses Konzeptes, vor allem gegen Abordnungen an Schulen mit besonders großem Personalmangel und Einschränkungen bei der Teilzeit.

Aufgewachsen ist Feller in Dorsten-Holsterhausen mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof. Die bodenständige Umgebung hat sie geprägt. Sprücheklopferei und Selbstdarstellung sind ihr fremd, sie gilt als pragmatisch, fleißig und ideologiefrei. Ihr Wohnort ist Münster. In ihrer Freizeit trainiert sie für Langstreckenläufe bis hin zum Marathon.

SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott (SPD) sagt, diese Regierung habe die schlechteste bildungspolitische Bilanz aller bisherigen NRW-Regierungen: Die Schulgebäude seien marode, der Unterrichtsausfall auf Rekordniveau, es fehlten immer noch 8000 Lehrkräfte. Wie schlecht ist Ihr Gewissen?

Dorothee Feller: Ich habe keine Zeit für ein schlechtes Gewissen, weil ich daran arbeite, dass wir vorankommen. Es gibt leider keinen Schalter, auf den man drücken kann, und plötzlich ist alles anders. Der Lehrkräftemangel ist nicht über Nacht entstanden und wir können ihn auch nicht von jetzt auf gleich beheben. Für Schulgebäude und deren Instandhaltung sind rechtlich die Schulträger zuständig, also die Kommunen.

Viele NRW-Städte sind verarmt. Wie sollen die in Schulen investieren?

Dorothee Feller: Ein Schulgebäude wird nicht von heute auf morgen marode. Ich erinnere mich aus meiner Zeit als Regierungspräsidentin an Kommunen, die in der Haushaltssicherung waren und trotzdem konsequent ihre Schulen saniert haben.

Hendrik Wüst sagt, kein anderes Land gebe pro Einwohner und auch insgesamt so viel Geld für Bildung aus wie NRW. Ayla Celik von der Gewerkschaft GEW kontert: „Um bei den pro Kopf Ausgaben je Schüler im bundesdeutschen Mittelmaß zu sein, würde es in NRW zusätzlich zwei Milliarden Euro benötigen.“ Wer hat Recht?

Dorothee Feller: Der Ministerpräsident hat zu Recht darauf hingewiesen, dass NRW sehr viel Geld in die Bildung investiert. Kein anderes Land gibt einen so großen Anteil seines Etats für Bildung aus. Und kein anderes Land gibt pro Einwohner so viel Geld für Bildung aus wie wir. Zum Beispiel 900 Millionen zusätzlich für die Anhebung der Lehrkräftebesoldung. Das Land legt im kommenden Jahr trotz angespannter Haushaltslage nochmal mehr als zwei Milliarden Euro für die Bildung obendrauf. Das wird sich auszahlen und positiv bemerkbar machen.

Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie bis 2027 insgesamt 10.000 zusätzliche Lehrkräfte an die Schulen bringen wollen. Wird das gelingen?

Dorothee Feller: Ich bin da optimistisch.

Laut dem Bildungsbericht Ruhr erreicht ein Drittel der Grundschüler in den Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathe nicht die Mindeststandards. Von den Achtklässlern, die einen mittleren Schulabschluss anstreben, erreicht fast die Hälfte nicht die Mindestanforderungen im Fach Deutsch. Wird sich das im Zuge des „Startchancen-Programms“ von Bund und Ländern verbessern?

Dorothee Feller: 2025 werden in NRW zusätzlich zu den heute 400 Schulen noch einmal 500 weitere Schulen vom Startchancen-Programm profitieren, und viele dieser Schulen liegen im Ruhrgebiet. Sie erhalten mehr Personal und eine bessere Ausstattung. Ziel ist, die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, zu halbieren und die Basiskompetenzen deutlich zu stärken.

Sie bereiten ein digitales Sprachstand-„Screening“ für die Grundschulanmeldung vor. Geplanter Start: Herbst 2025. Was bedeutet das für die künftigen Schulkinder?

Dorothee Feller: Es läuft ein Pilotversuch mit 130 Schulen, und die Lehrkräfte melden uns zurück, dass das Screening eine genaue und objektive Einschätzung ermöglicht, mit welchen Sprachkompetenzen diese Kinder in die Schulen kommen und welchen Förderbedarf sie haben.

Wann geht das in die Fläche?

Dorothee Feller: Im kommenden Jahr soll das digitale Screening allen Schulen in NRW zur Verfügung stehen. Ab dem Herbst 2025 können die Schulen freiwillig dieses Angebot nutzen. Die Erfahrungen werden wir dann auswerten, bevor wir es verpflichtend machen.

Ist es bei der Schulanmeldung nicht schon zu spät? Die Förderung beginnt dann ja erst nach dem 1. Schultag, oder?

Dorothee Feller: Nein. Nach dem Screening wissen wir, in welchen Bereichen und mit welchen Materialien diese Kinder sprachlich gefördert werden sollten. Das erfahren die Eltern. Die Screening-Ergebnisse werden auch an die Kita gegeben, wenn die Eltern damit einverstanden sind, sodass die Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern gezielt üben können.

In den Kitas ist der Personalmangel mindestens so schlimm wie in den Schulen. Können Erzieherinnen das leisten?

Dorothee Feller: Das ist ja keine neue Aufgabe. Die Sprachbildung gehört bereits jetzt zum Auftrag der Kitas. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Sprachförderung bis zur Einschulung verpflichtend gestalten können. Dafür gibt es noch keine gesetzliche Grundlage. Ich befinde mich dazu im engen Austausch mit der Familienministerin.

In Hamburg wird der Sprachstand schon bei Viereinhalbjährigen ermittelt. Warum geht das in NRW nicht?

Dorothee Feller: Es ist ja nicht so, dass in NRW nichts geschehen würde. Es gibt die U-Untersuchungen bei den Kinderärzten, die Sprachbildung in den Kitas, Delfin-4-Tests zwei Jahre vor der Einschulung für Kinder, die keine Kita besuchen und bald das digitale Screening bei der Schulanmeldung. Man muss auch bedenken: Hamburg hat insgesamt nur 400 Schulen, etwas mehr als allein in Köln. Wir schauen auch nach Hamburg, aber man kann das nicht einfach auf NRW übertragen.

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