Ruhrgebiet. Fahrprüfungen verzögern sich. Die Cranger Kirmes muss auf Attraktionen verzichten. Gelbe Säcke sind knapp. Corona greift weiter in den Alltag.

Ferienzeit, Personalmangel und obendrauf die Coronawelle: Es kommt gerade eine sehr ungünstige Mischung zusammen, die das Leben auf allen Ebenen beeinflusst. Das Reisechaos an den Flughäfen, die Krise in der Gastronomie und die Überlastung des Klinikpersonals stehen natürlich im Fokus. Aber auch die Wasserpest wuchert den Kemnader See zu, weil das Mähboot „Manati“ nicht besetzt werden kann. Schwimmbäder schränken ihre Öffnungszeiten ein wie das Lago und das Wananas in Herne, weil Personal ausfällt. Selbst Gelbe Säcke werden knapp, weil der Kunststoff, aus dem die Säcke produziert werden, wegen ausgefallener Lieferketten zurzeit nicht verfügbar ist. Hattingen hat nun die Abgabe rationiert, eine Rolle gibt’s nur noch, nach Vorzeigen des Persos.

Corona ist an all diesen Einschränkungen beteiligt, meist direkt, weil Arbeitnehmer oder ihre Kinder krank werden und in Quarantäne bleiben müssen. Manchmal indirekt, weil anderswo Menschen ausfallen oder aufgrund von Schutzmaßnahmen nicht normal arbeiten können – das steckt meist hinter dem Verweis auf Lieferketten. Oder weil sie ihrer alten Branche im Lockdown den Rücken gekehrt haben. Wie sehr die aktuelle Sommerwelle wütet, kann man nur schätzen. Die offiziell gemeldeten Wochen-Inzidenzen liegen im Ruhrgebiet zwischen 750 und 400. Doch viele Menschen machen längst keine PCR-Tests mehr und tauchen folglich nicht in der Statistik auf. Experten wie Dr. Eckhard Kampe, Bezirksleiter der Kassenärztlichen Vereinigung in Bochum sagen: „Die tatsächliche Inzidenz dürfte um das Vierfache höher liegen.“

Volksfeste und Freizeitparks

Auf den ersten Blick mag es nicht auffallen, weil andere Schausteller gerne in die Lücke springen, aber der Cranger Kirmes werden zwei Attraktionen fehlen: Das Bellevue-Riesenrad sagte zuerst ab, weil Personal für den Transport fehlt, dann folgte die Geisterbahn Daemonium. Es gibt natürlich eine Nachrückerliste, die in normalen Jahren kaum gebraucht wird. Nun sei sie bereits „weitgehend erschöpft“, heißt es, was auf das Ausmaß des Personalmangels hindeutet. Die Branche hat trotz Kurzarbeiterregelung viele Mitarbeiter verloren, wie Schaustellerpräsident Albert Ritter wiederholt erklärte, weil die Schausteller nach den Lockdowns erst spät den Betrieb wieder aufnehmen durften. Akute Erkrankungen dürften bei den Absagen Wochen vor dem Termin eine untergeordnete Rolle spielen, allerdings fürchten alle Veranstalter derzeit weitere kurzfristige Ausfälle. So geschehen beim Sommerfest an der Essener Gruga am vergangenen Wochenende: Der Betreiber einer Wildwasserbahn hatte es nicht geschafft, sie rechtzeitig aufzubauen.

Personal fehlt auch den Freizeitparks, vor allem in der Gastronomie. Es könne „gegebenenfalls zu Schließungen einzelner Outlets und zu längeren Wartezeiten in den Gastronomieeinrichtungen kommen“, so der Movie Park Germany. Der Europapark Rust hatte wegen Personalmangels sogar die Besucherzahlen beschränkt.

Behörden

Der Bearbeitungsstau in vielen Ämtern ist nicht nur auf Corona zurückzuführen. Aber die Pandemie hat ihn überall verstärkt. Ob in der KFZ-Zulassung von Mülheim, wo Privatleute mit zwei Monaten Wartezeit rechnen müssen und sich darüber ärgern, dass Zulassungsdienste sofort bedient werden. Die Zulassungsstelle in Essen-Borbeck bleibt gar komplett zu (es gibt aber noch Steele), drei Wochen lang waren auch die Bürgerämter in Kettwig und Kupferdreh geschlossen „aufgrund erheblicher krankheitsbedingter Personalausfälle“.

Bei den Ausländerbehörden ist die Lage vielerorts schon lange dramatisch. Personal ist gewissermaßen traditionell knapp, da Bezahlung und Bedingungen als unattraktiv empfunden werden, die coronabedingten Schließungen sind noch nicht überall aufgeholt, und gerade werden die Ämter mit Einbürgerungswünschen bestürmt, denn viele Flüchtlinge, die ab 2015 kamen, sind nun die obligatorischen sechs Jahre im Land. In dieser Situation steigen die Krankenstände noch einmal an. Selbst im gewöhnlich gut sortierten Bochum wartet man derzeit deutlich mehr als ein Jahr auf eine Einbürgerung.

Was das bedeutet? Verschenktes volkswirtschaftliches Potenzial und bittere Erfahrungen für den Einzelnen. In Gelsenkirchen musste Omarabdalaziz Khasaba aus Gelsenkirchen fünf Monate warten, bis er überhaupt jemanden ans Telefon bekam. Nun hat der Syrer, der gerade ein Einser-Abitur hingelegt hat, immerhin einen Termin für seine Einbürgerung im Januar 2023. In der Zwischenzeit wäre er allerdings gern durchgestartet und hätte internationale Veranstaltungen besucht. Darf er aber nicht ohne Pass.

Die Fahrschulen

Bis zu neun Monate warte man auf einen Prüfungstermin, heißt es bei Fahrschulen in Herne. Wie immer sind Corona-Erkrankungen bei den Prüfern nur ein verschärfendes Element. Die Lockdowns allerdings haben einen großen Stau verursacht. Und es wollen wieder mehr jungen Menschen den Führerschein machen – wohl auch wegen Corona. Die Behörden kommen oft ebenfalls nicht hinterher mit der Ausstellung der Scheine. Und sogar auf Erste-Hilfe-Kurse muss man warten. Wieder ist neben den persönlichen Einschränkungen volkswirtschaftlicher Schaden die Folge. In einigen Fällen hingen Jobs von der Fahrerlaubnis ab, heißt es von den Fahrschulen.

Feuerwehr und Rettungsdienste

Es brennt bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst in NRW.“ So warnt der Landesverband der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft. Ständig würden Lücken gestopft, Augen zugedrückt und Schutzziele nicht erreicht. Vieles werde improvisiert. Feuerwehrmann Udo Lipp von der Gewerkschaft kommt zu dem Schluss: „Das Ziel, in Bochum Gefahren schnell und effizient abzuwehren, kann so nicht immer erreicht werden.“ Feuerwehrchef Simon Heußen hält dagegen: „Der Brandschutz und der Rettungsdienst werden immer voll bedient.“ Aber jenseits aller Diskussionen um strukturelle Missstände bestätigt auch er, dass etliche Kollegen wegen Corona ausfallen. Vor einer Woche waren es neun Feuerwehrleute.

Verkehr

Lange Schlangen gibt es fast jeden Tag an den Flughäfen Düsseldorf (im Bild) und Köln.
Lange Schlangen gibt es fast jeden Tag an den Flughäfen Düsseldorf (im Bild) und Köln. © FFS | Kai Kitschenberg

Allein die Lufthansa hat im Juli und August fast 6000 Flüge gestrichen. Personal fehlt an allen Stellen des Tourismusbetriebs, vom Check-in bis zur Gepäckausgabe und natürlich bei den Sicherheitskontrollen an Flughäfen. Die Sommerwelle trifft auf Unternehmen, die nach den starken Nachfrageschwankungen in der Pandemie noch nicht wieder einen stabilen Personalstamm aufgebaut haben. Wie sehr die akuten und plötzlichen Erkrankungen ins Kontor schlagen, sieht man aber auch bei der Bahn, die in der Krise nicht so stark Personal abbauen musste und nun trotzdem Zugausfälle noch und nöcher melden muss. Ein Wochenende fiel die Linie RB32 aus von Dortmund über Oberhausen nach Duisburg.

Auf der Langstrecke kann man meist ausweichen. Doch vor allem im Nahverkehr müssen die Verkehrsgesellschaften unvorhergesehen Ausfälle melden. Die Bogestra kann die Linie 316 in Bochum für einige Zeit nicht bedienen, weil zu viele Fahrer krank sind. Bei der Duisburger DVG fielen nun in einer Woche mehr als fünf Prozent aller Bus- und Bahnfahrten aus, vor allem bei den Linien 901 und 903. Die Sommerwelle trifft auf eine ausgedünnte Personaldecke und auch auf eine Fahrzeugflotte, die nicht im besten Zustand sind. Auch einige Ersatzteile lassen derzeit auf sich warten. Die Ruhrbahn kassierte ihr Pünktlichkeitsversprechen: „Zehn Minuten Verspätung – Geld zurück“ gilt nicht mehr.

Gesundheitswesen

„Wir befinden uns im Zangengriff.“ So beschreibt Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die Situation. Corona, die Urlaubszeit, Kündigungen, dazu Streiks für bessere Arbeitsbedingungen, was ja wiederum eine Folge der Pandemie sind. In NRW arbeitet mittlerweile ein Drittel der etwa 300 Krankenhäuser im eingeschränkten Betrieb, ein weiteres Drittel ist teilweise eingeschränkt. Die einen können kaum noch Patienten aufnehmen, melden sich teils von der Rettungsstelle ab, wodurch sich Wege verlängern, die anderen müssen Operationen verschieben. Besonders spürbar werden die Engpässe auch in den Notaufnahmen. Aber auch die Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen leiden unter krankheitsbedingten Ausfällen.

Darum setzt kaum eine Stadt die Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal durch. Teils erklären Krankenhäuser, Altenheime und Praxen Mitarbeiter für unabkömmlich, teils schleppen sich die Anhörungsverfahren, an denen auch die Einrichtungen beteiligt sind. Neues Personal zu finden, ist enorm schwierig. So arbeiten die Ungeimpften einfach weiter. In Essen sind es immerhin über 500, in Duisburg rund 660 und in Bottrop etwa 50 Kräfte. Die Infektionszahlen beim Pflegepersonal sind besonders hoch, mit Sorge blicken Verantwortliche und Patientenschützer auf den Herbst.

Gastronomie und Hotels

Kellner, Köche, Veranstaltungstechniker - der Markt ist leergefegt. Aber auch Rezeptionisten, Barkeeper, Service- und Reinigungskräfte werden verzweifelt gesucht. Die Zahl der offenen Stellen in Hotels hat sich mehr als verdoppelt, so eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Das bedeutet nicht nur Einschränkungen für die Kunden, sondern auch Stress für die, die den Laden noch schmeißen – was sich auch hochschaukeln kann. „Wenn die Bestellung mal fünf Minuten länger dauert, kann ich mir anhören, dass ich doch einfach schneller laufen soll“, berichtet Susan Schröder, Kellnerin in Oberhausen – „dabei ist es mir wichtig, mir Zeit für meine Gäste zu nehmen.“