Gelsenkirchen. Gelsenkirchen: Ein syrischer Musterschüler wünscht sich nichts mehr als den deutschen Pass. Doch wer ihn will, muss ewig warten. Die Gründe.

  • Viele Syrer, die 2015/2016 nach Deutschland kamen, sind nun berechtigt, den Einbürgerungsantrag zu stellen. Das Interesse ist groß, doch die Stadt Gelsenkirchen kommt nicht hinterher.
  • Wer die deutsche Staatsangehörigkeit haben möchte, braucht deswegen aktuell sehr viel Geduld – und muss teils bis Sommer 2023 warten.
  • Betroffen ist auch Omarabdalaziz Khasaba. Der Einser-Abiturient aus Schalke wünscht sich nichts mehr als die deutsche Staatsangehörigkeit.

Als die WAZ Gelsenkirchen zum Abschluss des vergangenen Schuljahres mit dem 21-jährigen Omarabdalaziz Khasaba sprach, der es sechs Jahre nach seiner Flucht aus Syrien zum Einser-Abiturienten geschafft hatte, da verriet der heutige Schalker seinen größten Wunsch nach dem Abi: „Endlich die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen." Das allerdings erweist sich in Gelsenkirchen aktuell als ziemlich schwierig.

Im Schulleben ohne deutschen Pass musste der junge Syrer auf einiges verzichten: Für internationale Stipendien konnte er sich nicht bewerben, an Austauschprogrammen oder Auslandspraktika konnte der Schülersprecher nicht teilnehmen. Umso erwartungsvoller sah er jenem Zeitpunkt entgegen, mit dem für ihn die Voraussetzung für die deutsche Staatsangehörigkeit gegeben sein sollte.

Einbürgerungen in Gelsenkirchen: Wartezeit teils bis Juni 2023

Frühestens sechs Jahre nach der Einreise ist die Einbürgerung möglich. Für viele Syrer, die 2015/2016 gekommen sind, öffnet sich also seit Herbst 2021 schrittweise das Fenster zum deutschen Pass. Und genau hier liegt das Problem. Denn seitdem werden die Wartelisten länger und länger. „Die dadurch sprunghaft gestiegene Anzahl der Einbürgerungsanträge hat einen Terminstau für Neuanträge oder Beratungen zur Folge“, bestätigt man bei der Stadt.

Alleine auf einen telefonischen Termin mit einem Sachbearbeiter der Stadt habe er fünf Monate warten müssen, berichtet auch Omarabdalaziz Khasaba. Und nachdem man all die vielen benötigten Dokumente für die Einbürgerung zusammen hat, müsse man erneut sehr lange ausharren. „Mein Termin ist jetzt im Januar 2023“, sagt er. „Bis dahin darf ich an keinen internationalen Veranstaltungen teilnehmen“ – was für den Ausnahmeschüler eigentlich sehr wichtig wäre.

Gelsenkirchener Musterschüler Omarabdalaziz Khasaba: „Ich hätte die Staatsbürgerschaft einfach gerne schnell gehabt.“
Gelsenkirchener Musterschüler Omarabdalaziz Khasaba: „Ich hätte die Staatsbürgerschaft einfach gerne schnell gehabt.“ © WAZ | Thomas Richter

Damit gehört Khasaba fast noch zu den Glücklichen. Nach Angaben der Stadt kann sich die Wartezeit aktuell sogar bis Juni 2023 ziehen. Groll gegenüber der Stadt hegt Khasaba deshalb aber nicht, das sei ihm wichtig zu betonen. „Aber ich hätte die Staatsbürgerschaft einfach gerne schnell gehabt.“

Stadt Gelsenkirchen wollte eigentlich „Einbürgerungsoffensive“ fortsetzten – stoppt diese aber aktuell

Während Khasaba also nun geduldig wartet, sind einige seiner Bekannten offenbar von der aktuellen Situation abgeschreckt. Alle Papiere zu besorgen, sich mit der Botschaft in Beirut auseinanderzusetzen, die seit der Schließung der Botschaft in Damaskus die Angelegenheiten der Syrer bearbeitet, sei ohnehin mühsam und teuer. Hinzukommt nun die Situation im Bürgerservice hier in Deutschland. „Manch einer sagt deshalb: Das dauert mir zu lange, das ist zu anstrengend“, weiß Khasaba von einigen Bekannten.

Für die Stadt Gelsenkirchen heißt das: Die Menschen, die zurückschrecken, bleiben als Nichtdeutsche weiterhin Klienten des Ausländeramtes, das – wie die WAZ Gelsenkirchen schon häufig berichtet hat – als chronisch überbelastet und überfordert gilt.

Noch mehr als sonst belastet ist aufgrund des hohen Interesses an deutschen Pässen unter den Syrern nun auch der Bürgerservice der Stadt. Eigentlich wollte dieser in 2022 seine „Einbürgerungsoffensive“ fortsetzen, die 2016 gestartet wurde. Dabei wurden die in Gelsenkirchen lebenden Ausländer, welche die Voraussetzung zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erfüllen, angeschrieben und über die Vorzüge und Möglichkeiten einer Einbürgerung informiert.

Weil aber dieses Jahr ohnehin so viele Syrer ihren Antrag stellen, habe man auf die Fortsetzung der Aktion verzichtet, so Stadtsprecher Martin Schulmann. Aber nicht nur deshalb: Schulmann nennt auch „die Personalsituation“ im Team „Einbürgerung“ als einen Grund.

Es ist also wieder der obligatorische Personalmangel, der der Stadt Probleme bereitet – das kennt man aus zig anderen Bereichen: vom Jugendamt über die Kitas bis hin zum erwähnten Ausländeramt.

Gelsenkirchener Politiker: „Es entsteht der Eindruck, nicht gewollt zu sein“

Ali-Riza Akyol, der als führender Kopf der Wählerinitiative NRW (WIN) in Gelsenkirchen häufig politische Themen aus dem ausländischen und migrantischen Teil der Stadtgesellschaft aufgreift und bereits seit langem eine „Einbürgerungskampagne“ von der Stadt fordert, hält die aktuelle Situation für nicht tragbar. Gerade in einem Ort wie Gelsenkirchen.

Gelsenkirchener Politiker Ali-Riza Akyol (WIN): „Es entsteht der Eindruck, nicht gewollt zu sein, nicht dazu zu gehören.“
Gelsenkirchener Politiker Ali-Riza Akyol (WIN): „Es entsteht der Eindruck, nicht gewollt zu sein, nicht dazu zu gehören.“ © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Es gibt Studien, die belegen, dass Zugewanderte mit einem deutschen Pass sich Deutschland stärker zugehörig fühlen, mehr Verantwortung übernehmen möchten und sich stärker gesellschaftlich sowie politisch einbringen“, sagt er. „Mit der Verzögerung der Einbürgerung verzögert man diesen sehr wichtigen Integrationsprozess. Es entsteht der Eindruck, nicht gewollt zu sein, nicht dazu zu gehören. Es demotiviert und stärkt Abgrenzungstendenzen. Insbesondere in Gelsenkirchen, bei all den Integrationsherausforderungen, die wir haben, können wir das nicht gebrauchen.“

Akyol hält den Verweis auf das fehlende Personal in der Stadtverwaltung mittlerweile für ein „Totschlagargument“. Aus seiner Sicht bietet es sich an, viel mehr Seiteneinsteiger anzuwerben. „Ich bin überzeugt, dass man viele Akademiker mit Migrationshintergrund, die oftmals auch wegen ihrer Herkunft keine Einstellung finden, gewinnen könnte“, meint der WIN-Politiker.

Die Sprachkenntnisse und das Wissen über andere kulturellen Gepflogenheiten, die solche Quereinsteiger mitbringen könnten: Aus Akyols Sicht wären sie ein großer Gewinn – gerade im Bereich Einbürgerungen und Ausländerangelegenheiten. „Aber unsere Verwaltung denkt da anscheinend anders.“

Syrer an der Spitze

2021 wurden in Gelsenkirchen 336 Personen eingebürgert; in 2022 wurden bis zum 20. Juni insgesamt 241 Einbürgerungen durchgeführt. Das teilte die Stadt auch Nachfrage mit.

Aus fast 50 unterschiedlichen Ländern kommen die Antragsteller – von der Demokratischen Republik Kongo über Brasilien bis Usbekistan, Vietnam, Jordanien oder Georgien. Die fünf häufigsten Nationen sind: 1. Syrien 2. Türkei, 3. Serbien, 4. Irak, 5. Rumänien.