Ruhrgebiet. Ab März kommt mehr Corona-Impfstoff als erwartet, dann könnten die Impfzentren an ihre Grenzen kommen. Nun sollen doch die Hausärzte eingreifen.

Erst zu wenig, bald zu viel… Was denn nun? Noch sind die 53 Impfzentren in NRW alles andere als ausgelastet, der Bedarf ist da, der Impfstoff nicht. Plötzlich aber kommen Warnung und Mahnung aus Berlin: Schon im März könnten so viele Impfdosen nachgeliefert werden, dass die Impfzentren nicht mehr nachkommen. Wie kann das sein, und greifen also doch die Hausärzte ein?

Es war im Dezember die Politik, die vorgab, was ein Impfzentrum zu können hat: zum Beispiel, pro 70.000 Einwohner einer Stadt eine Impfstraße vorzuhalten, in der Ärzte jeweils 240 Menschen am Tag impfen können. Seither stehen sie da: die Städte als Betreiber mit ihren fertig ausgerüsteten Hallen, in denen erst seit einer guten Woche wirklich geimpft wird – und das nur mit halber Kraft.

Impfzentren im Ruhrgebiet sind derzeit längst nicht ausgelastet

Doris Giefers war unter den Ersten, die im Bochumer Impfzentrum ihre Corona-Spritze bekamen.
Doris Giefers war unter den Ersten, die im Bochumer Impfzentrum ihre Corona-Spritze bekamen. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Weil bislang der Impfstoff nicht reichte, wird nur nachmittags geimpft, nicht die ganze Woche, in Dortmund in sechs Impfstraßen von zehn, in Bochum vier von sechs, in Essen sechs von zwölf. Dortmund könnte dort 2400 Menschen am Tag impfen, Essen ebenso viele, Oberhausen 750, Duisburg 2500, Bochum 900, Mülheim „deutlich mehr“ als die geforderten 480 am Tag in zwei Impfstraßen, wie Feuerwehrchef Sven Werner sagt. Überall wurden aber zunächst nur wenige Hundert versorgt. „Da ist noch viel, viel Luft nach oben“, sagte ein Stadtsprecher in Bochum, von „aktuell noch deutlich Luft nach oben“ spricht wortgleich auch Duisburg. Auch Dortmunds Zentrum, heißt es, sei „noch weit von einer regelhaften Auslastung an der Kapazitätsgrenze entfernt“. Mülheim muss „reduziert fahren“, Essen meldet entsprechend: „Derzeit noch nicht ausgelastet.“ Es klingt Bedauern aus allen diesen Sätzen, sie wollen ja, aber ohne Impfstoff können sie nicht.

Jetzt aber soll auf einmal alles anders werden.

Ab März, hieß es zuletzt aus dem Gesundheitsministerium, stünden in NRW wöchentlich 100.000 Impfdosen des Herstellers Biontech zur Verfügung, 30.000 mehr als bislang geplant. Bundesweit könnten im zweiten Quartal, also ab April, pro Tag 698.000 Menschen geimpft werden. „Woche für Woche“, twitterte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Montag, werde man nun mehr Impfstoff erhalten, allein in dieser Woche mehr als zwei Millionen Dosen. „Es wird also bald voll werden in den Impfzentren.“

7,5 Millionen Impfdosen könnten im Sommer wöchentlich liegenbleiben

In einer Hausarztpraxis nicht zu kühlen: der Impfstoff von Biontech/Pfizer.
In einer Hausarztpraxis nicht zu kühlen: der Impfstoff von Biontech/Pfizer. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schlug deshalb bereits in der vergangenen Woche Alarm: Schon im nächsten Monat könnten die Kapazitäten der Impfzentren gar nicht mehr ausreichen. Bis zu 7,5 Millionen Dosen könnten im Sommer pro Woche liegenbleiben. Selbst wenn die Impfzentren doppelt so viele Menschen impfen würden als bislang vorgesehen, wäre eine Durchimpfung der Bevölkerung bis Ende September „nicht zu schaffen“.

In den Städten als Betreiber der Impfzentren ist von solcher Dramatik bislang nicht viel angekommen. „Wir fühlen uns gut aufgestellt“, sagt ein Stadtsprecher in Bochum. Zunächst einmal sei mehr Impfstoff „eine gute Nachricht“. Einige Städte könnten ihre Impfzentren durchaus erweitern, Essen etwa auf das Dreifache der derzeit geöffneten Impfstraßen, Oberhausen von drei auf fünf Impfstraßen und 1250 Impflinge am Tag. In Duisburg ahnten sie zuletzt: „Durch die vermehrte Verfügbarkeit der Impfstoffe (...) gehen wir davon aus, dass wir bereits im März alle Impfstraßen nutzen werden.“ Eine Aufstockung sei zudem möglich. In Dortmund fordert die Gesundheitsdezernentin und Krisenstabsleiterin Birgit Zoerner für den Fall, dass die Kapazitätsgrenzen dauerhaft überschritten werden, eine Anpassung der Impfstrategie. „Die Kommunen erwarten, dass sie rechtzeitig ausreichend belastbare Informationen erhalten und eingebunden werden.“

Für die Kassenärztlichen Vereinigungen ist die Hilfe der Hausärzte „erklärtes Ziel“

Allerdings ist „rechtzeitig“ so eine Sache, der März beginnt in weniger als 14 Tagen. Gefordert wird deshalb, parallel zur Arbeit der Impfzentren, eine möglichst rasche Einbindung der Hausärzte. Die KVB will mit „flächendeckenden Impfungen gegen das Coronavirus in Arztpraxen spätestens ab April“ beginnen. Bundesweit würden dazu mindestens 40.000 Arztpraxen benötigt. Auch für die beiden Kassenärztlichen Vereinigungen im Ruhrgebiet ist eine Einbindung niedergelassener Ärzte „erklärtes Ziel“. „Das wäre der einfachste Weg, viele Menschen schnell zu impfen“, sagt ein Sprecher der KV Nordrhein. Auch im Bereich der KV Westfalen-Lippe werden dazu gerade Mediziner befragt. Erste Rückmeldungen zeigten einen „positiven Trend“.

Bislang impfen Hausärzte, wie hier in Essen, nur außerhalb ihrer Praxen, in Zentren oder mobilen Impfteams.
Bislang impfen Hausärzte, wie hier in Essen, nur außerhalb ihrer Praxen, in Zentren oder mobilen Impfteams. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Dass Hausärzte impfen können, steht außer Frage, allerdings: Wegen der schwierigen Lagerungsbedingungen des Biontech-Impfstoffs fielen private Praxen bislang aus. Einrichtungen zur Massenimpfung, sagt nicht nur Sven Werner aus dem Mülheimer Krisenstab, seien deshalb bislang das „korrekte Mittel der Wahl“ gewesen. Der Impfstoff von AstraZeneca ist indes weniger anspruchsvoll, weshalb auch die Städte die Mithilfe der niedergelassenen Ärzte begrüßen würden. Sie sei „von Anfang an das Ziel“ gewesen, heißt es aus Essen, Oberhausen und Bochum halten sie für sinnvoll, Mülheim nennt sie „wünschenswert“, schon weil die Ärzte ihre Patienten kennen. Für die Stadt Duisburg wäre dieser Weg sogar ein „unverzichtbarer Schritt“, um Menschen mit eingeschränkter Mobilität erreichen, aber auch die Breite der Bevölkerung versorgen zu können. Grundsätzlich sei „alles zu begrüßen, was es den Menschen leichter macht, sich impfen zu lassen“.

Warnung aus Berlin: „Gigantischer Stau“ bei der Impfkampagne

Noch aber gibt es keine kurzfristigen Pläne. Essen, Dortmund und Mülheim verweisen auf das Gesundheitsministerium in Düsseldorf. Auch in Dortmund sagt Krisenstabs-Chefin Zoerner, es sei „wichtig, dass an die jeweilige Situation angepasste Szenarien weitsichtig und sorgfältig zwischen Land und Kommunen vorbereitet werden“. Die Chance des zeitlichen Vorlaufs sollte genutzt werden. „Wann dieser Zeitpunkt gekommen sein wird, weiß nur das Land.“ Noch sei eine neue Rollenverteilung beim Impfen „Zukunftsmusik“.

Tatsächlich gibt sich das Ministerium auf Anfrage dieser Redaktion zurückhaltend: Man sei „zuversichtlich, zeitnah ein Konzept zur Verimpfung in den Hausarztpraxen vorlegen zu können“, heißt es aus Düsseldorf. An einer Ausweitung der Impforganisation werde gearbeitet, dazu werde eine Erweiterung der Impfzentren geprüft – nicht nur in den bereits bestehenden Sport-, Stadt- oder Musikhallen, sondern vor allem dezentral, etwa in Impfbussen.

Land will Hausärzte einbinden, als ein Problem gilt das zusätzlich nötige Personal

Auch das Land will den Impfprozess mittelfristig in die ambulante Regelversorgung, also in die Hausarztpraxen übertragen. Für den Übergang werden in Düsseldorf aber sogenannte Schwerpunktpraxen favorisiert, die sich auf das Impfen konzentrieren. Zugleich aber warnt der Sprecher: Ein entscheidender Punkt sei das zusätzlich notwendige Personal – das wiederum die Kassenärztlichen Vereinigungen stellen müssten.

Dabei treten gerade die Kassenärzte aufs Gas. Ohne die zügige Einbindung der niedergelassenen Ärzte, warnt der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen, werde die Impfkampagne „schon bald in einem gigantischen Stau nicht verabreichter, aber dringend benötigter Impfdosen stecken bleiben“. Andernfalls – könnten die Erwachsenen bis Ende August vollständig durchimpft sein.