Essen. Sechs Portionen Hoffnung und ein Arzt, der niederkniet: So wurden in Essen die vorerst letzten Patienten vor dem Impfstopp versorgt.

Der Doktor kniet neben Martina, es ist ihr doppeltes Glück: Sie ist die Letzte für heute auf diesem Stuhl, der Impfstoff schon wieder alle und ab morgen Impfstopp. Die erste Spritze Ende Dezember war für die Mitarbeiterin aus der Tagesbetreuung "mein Weihnachtsgeschenk", die zweite "ein Stück Freiheit". Darauf eine Tasse Kaffee!

Die Kühlboxen kamen am frühen Dienstagmorgen, am Ende wird es wieder nicht reichen, und Nachschub fällt für diese Woche aus: Impfstoff für 168 Spritzen, sie hätten 190 gebraucht im Seniorenstift St. Josef in Essen. Aber ein dritter Termin ist schon gemacht, bald sind sie also wirklich fast alle geimpft in der Einrichtung, ihr Leiter Norbert Schöner ist "erleichtert": "Dann wissen wir, dass wir durch sind." Die Bereitschaft war groß, beim Personal über 80 Prozent, bei den Bewohnern sind es noch mehr, die die "Einwilligung zur Schutzimpfung gegen Covid-19" unterschrieben haben.

Altenpflegerin Anna: "Man weiß, das ist alles richtig"

Die Altenpflegerinnen kommen mit dem gelben Impfpass in der Hand an diesem Morgen, manche den Ärmel schon hochgeschoben bis zur Schulter, andere im Anorak aus dem Urlaub. "Die Menschen hier sind sehr dankbar", sagt der Hausarzt Dr. Reinhold Krämer, "sie haben es alle verstanden." Und sitzen später an den Kaffeetischen, weit auseinander, aber doch nah genug, um ihre Stempel zu vergleichen: "Man weiß", sagt Martina, "das ist alles richtig." Ein paar wenige gibt es, die nicht mitmachen, sie wissen nicht warum in St. Josef und dürfen auch nicht fragen.

Im Laufschritt durch St. Josef: Sechs Stunden für die Impfung

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Dr. Krämer rennt im Laufschritt die Treppe hinauf, auf dem Kopf eine himmelblaue Haube, in der Hand eine Nierenschale aus Pappe, zehn Spritzen darin. 3. Etage, Wohnbereich C, "wo müssen wir noch hin"? Er hat sechs Stunden Zeit, um den Stoff zu verimpfen, nach einer ist er fast fertig. Frau D. sitzt am Tisch, sie sagt "Aua" mit langem A. Dabei tut es gar nicht weh, das sagen alle, auch Frau F. auf ihrem Bett. "Alles gar nicht so schlimm!", ruft sie dem Arzt hinterher, die Pflegerin macht einen Witz: "Das war doch für einen Mann ganz angenehm."

Impfpass, Einwilligungs-Erklärung, Pieks: In Essen impft Dr. Hermann Jeschke im Seniorenstift St. Josef im Akkord. Und kniet dazu nieder.
Impfpass, Einwilligungs-Erklärung, Pieks: In Essen impft Dr. Hermann Jeschke im Seniorenstift St. Josef im Akkord. Und kniet dazu nieder. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Unten fragt eine alte, krumme Dame hinter ihrem Rollator schon zum dritten Mal, wer denn der nette Doktor war. Dr. Jeschke war das, "den kennen Sie vielleicht noch aus Heisingen". Heftiges Nicken, großes Lächeln, Hermann Jeschke ist der, der immer niederkniet neben den Patienten, er kommt dann besser an den Arm. Jemand wollte ihm schon ein Kissen unters Knie legen, aber es ist gerade nichts Passendes da im Nebenraum des großen Saals, es steht da nur ein Kickertisch.

Pfizer Biontech, Charge EL 1491 für St. Josef

Einrichtungsleiter Schöner eilt vorbei, er trägt ein paar Spritzen wie einen Strauß Blumen in der Faust. Der Impfstoff, einst zu kühlen bei minus 70 Grad, muss jetzt nicht mehr kalt sein, "der hat Zimmertemperatur". Der Kühlschrank steht bei 5,6 Grad, auf dem Tablett mit den Impffläschchen klebt ein Aufkleber: haltbar bis Freitag, 15 Uhr. Heute sind sie bei Charge EL 1491 Pfizer Biontech, Mindesthaltbarkeitsdatum April 2021. Wird alles dokumentiert, "nur falls mal was ist".

Die Fläschchen sehen auf Bildern größer aus als kaum zwei Zentimeter, so winzig für sechs Portionen Hoffnung. Gar nicht so einfach, damit umzugehen, sagen die Medizinischen Fachangestellten, die davor sitzen in Kittel und Überschuhen. Da sei "viel Druck auf den Flaschen", es dürfen keine Bläschen entstehen, wenn sie Kochsalzlösung zufügen und Spritzen aufziehen mit genau 0,3 Millilitern, "nicht mehr und nicht weniger", sagt Denise Nehme. Sie haben sich das vorher auf Youtube angesehen, es ist ein bisschen wie bei James Bond: "Nicht schütteln, sondern schwenken", mahnt Dr. Krämer, "sonst geht der Impfstoff kaputt."

Die ersten Impfungen: Ein historischer Moment

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Zehnmal schwenken, um genau zu sein, alle zehn Minuten den Tisch desinfizieren und die Handschuhe wechseln, "alles so steril wie möglich". Impfen, das macht Sandra Dickhut in ihrem Beruf schon lange, aber "was für ein Gefühl nach so vielen Jahren", sie war "richtig aufgeregt". Das hier ist historisch, und der Impfstoff "der Heilige Gral". Für ihre Familie, gesteht Dickhut, sei sie eine "kleine Heldin".

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Keine Zwischenfälle, nur ein "leichtes Spannungsgefühl"

Weil sie von Anfang an im Impfteam war, das in Seniorenheimen auch das Personal versorgt: "Ohne die bringt es nichts." Die angehende Altenpflegerin Anna, 39, sagt: "Ich mach’ das gerne für die alten Leute und für meine Kinder auch." Eine Mitarbeiterin verlässt gerade den Raum, sie jubelt, die Hände zum Himmel. Wenn man schon dürfte: Man könnte ihre Freude anfassen. Eine andere macht einen kleinen Sprung: "Jetzt können wir nach Barcelona reisen!"

Das ist nicht ernst gemeint, aber die Angst ist weg, und es ist niemand da, der über Nebenwirkungen klagen würde. "Leichtes Spannungsgefühl", berichtet Dr. Krämer selbst, aber sie hatten in St. Josef "keinen Zwischenfall". Anna sagt, sie habe "keinen Stress gespürt". Vielleicht liegt es am "Lockerlassen", zu dem die Ärzte immer mahnen, wenn das Desinfektionsmittel kühl den Oberarm hinunterläuft.

Bis Ende Januar sollen die Impfungen in den Senioreneinrichtungen durch sein

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Der junge Altenpfleger Younes kann trotzdem nicht hinsehen, er verdreht den Kopf so weit nach hinten, dass er den Pieks verpasst. "Schon fertig? Oh mein Gott!" Noch acht Spritzen in der Nierenschale. Neben einer Rolle Tupfer unterschreibt Dr. Henner Horstmann ein "Ersatzformular zur Dokumentation der durchgeführten Impfungen", viele der alten Leute haben keinen Impfpass mehr.

Aber nun diesen Beleg, meist schon den zweiten. Bis Ende Januar wollen sie in Essen mit den Altenheimen durch sein, sie könnten das schon erreicht haben, wenn es mehr Impfstoff gäbe. Die alte Dame mit dem Rollator mag die Augen von den eilenden Ärzten nicht wenden: "Das geht doch alles ganz flott hier!"