Essen. Der Markthändler Marvin Tidili ist Fisch-Sommelier geworden. Er weiß alles über Fisch bei Tisch: sogar, wie man Kinder dazu bringt, ihn zu essen.
Ein Fischstand ist ein Fischstand, oder? Die Leute kaufen morgens Seelachs, essen mittags Backfisch, und wenn der Wagen weg fährt, bleibt ein nasser Fleck auf dem Marktplatz. Dieser Stand ist anders: Daneben stehen Sitzmöbel und Tische mit Blumenvasen, Verkäufer packen die Fische statt in Plastiktüten in Verpackungen aus Zuckerrohr, und es gibt Lachs-Burger zu essen. Oder auch Garnelen an Rosmarin-Kartoffeln. Der Hausherr, Marvin Tidili, ist aber auch kein normaler Fischhändler. Sondern ein Fisch-Sommelier. Was es alles gibt!
Und das ist keine Angeberei. „Sechs Wochen Kurs, 1200 Seiten lernen, 40 Fische an ihrer Form unterscheiden, zwei Tage Prüfung“, erinnert sich der 31-jährige Essener. Ach, eine Seezunge musste er auch noch vor der Jury filetieren. Dann bekam er den limitierten Titel von der Industrie- und Handelskammer Bremen. 100 Fisch-Sommeliers sollen dort für ganz Deutschland ausgebildet werden, um die Esskultur rund um den Fisch auf ein höheres Niveau zu heben; drei gibt es wohl bisher im Ruhrgebiet.
„Wir sind in Nordrhein-Westfalen beim Thema Fisch noch sehr begrenzt“
Denn „wir sind in Nordrhein-Westfalen beim Thema Fisch noch sehr begrenzt“, sagt Tidili: Die Leute hier essen wenig Fisch, und wenn, dann bitte als Stäbchen – oder wenigstens aus der Gefriertruhe. „Hier im Ruhrgebiet würde ich fast schon auf finanzielle Gründe schließen.“ Und Tradition hat es auch nicht.
Tidili steht beispielsweise immer in Essen-Kupferdreh auf dem Markt und in Gelsenkirchen-Buer und erzählt den Leuten vom Fisch, wenn sie hören wollen. Ewige Frage: Ist der Fisch frisch? „Frisch und frisch sind zweierlei“, sagt er dann. Der normale Rotbarsch beispielsweise ist mit Schleppnetz gefangen, tagelang tiefgefroren auf See unterwegs und kommt nach vielleicht zehn Tagen an. Frisch. Es gibt aber auch einen aus Tagesfang, der ist nach drei Tagen an der Theke. Frisch – und deutlich teurer. „Wenn man das den Leuten plausibel erklärt, greifen viele zu dem Hochwertigeren“, sagt Tidili. Und: „Die jüngere Generation fängt an nachzufragen. Schleppnetz ist für viele ein k.o.-Kriterium.“
Für das Fischgeschäft hat er sein Studium drangegeben
Generell aber könne man sagen: Frischen Fisch erkennt man an einem gewissen Glanz, er riecht leicht nach Meer und Algen, die Kiemen sind rötlich und schleimig, die Augen klar und nicht milchig – und er muss, wenn man ihn eindrückt, eigenständig zurückfedern. Letzteres überlassen Sie vielleicht besser der Fachverkäuferin ihres Vertrauens und ihrer behandschuhten Hand.
Natürlich ist das Anpreisen des Fisches Marvin Tidilis Geschäftsmodell. Aber die Begeisterung kann man ihm auch abnehmen, schließlich hat der Lockruf des Fisches dazu geführt, dass er vor fünf Jahren sogar von Studium wieder aufstand, das er begonnen hatte: Makrele statt Management, sozusagen. Da kommt es heute zu so schönen Sätzen wie: „Fisch ist Gold.“ Oder: „Fisch ist Familie.“
Man kann den Fisch in den Gerichten auch verstecken
Das darf man auch mal wörtlich nehmen. Denn die Töchter des Fischsommeliers, Amy (2) und Liz (5 Monate), werden schon mit Fisch groß. Also, als Mahlzeit. Kabeljau oder Lachsfilet, dampfgegart und kleinpüriert. „Die Sonne hat Vitamin D, und Fische haben Vitamin D. Sonst können Sie Tabletten schlucken“, sagt Tidili.
Fisch sei auch sehr wichtig für die Entwicklung des Gehirns und der Sehkraft. „Viele Omega-3-Fette, Jod, Selen, Zink, Eisen . . .“ Doch wie kriegt man die lieben Kleinen überhaupt dazu, Fisch zu essen, der nicht frittiert ist und nicht in Teig steckt? Man solle die Kinder „langsam an Fisch heranführen“ und zunächst auf milde, magere Fische mit weniger ausgeprägtem Eigengeschmack zurückgreifen. „Oder Sie verstecken den Fisch in den Gerichten.“
„Muscheln kann man immer essen“, nicht nur in Monaten mit ,r’
Auch interessant
Gute Gelegenheit, zwei alte Lehrsätze, wenn man so will, von Bord zu schmeißen, die noch heute viele Leute einander erzählen. Dass man Fisch nicht aufwärmen dürfe. „Man kann Fisch genauso wie Fleisch oder andere Lebensmittel erwärmen.“ Und was ist mit den Muscheln, die man nur in den berühmten Monaten mit „r“ essen darf? Nun, das ist heute unnötig, „Muscheln kann man immer essen“; doch in alten Zeiten, als die Kühlketten noch unsicherer waren, war die Regel mit r vorbeugenderweise nicht ganz falsch.
Ach, und die ewige Frage Nummer zwei: Wie bewahre ich Fisch richtig auf? „Am besten befreit man ihn von seiner Verpackung“, sagt Tidili, der Sommelier: „Man sollte ihn auf einen Teller legen und zum Beispiel Frischhaltefolie drüber machen. Wenn vorhanden, legen Sie ihn in eine 0-Grad-Zone im Kühlschrank.“ Und: „Erst vor Gebrauch abwaschen.“ Ein reiner Händler hätte wahrscheinlich gesagt: Aufbewahren? Gar nicht!
Weitere Artikel rund um das Thema Ernährung
Goji, Matcha, Acai: Was Sie über Superfood wissen sollten
Vermeintlich besonders gesunde Lebensmittel wie Goji-Beere, Chiasamen, Matcha oder Spirulina-Alge halten nicht immer, was die Werbung verspricht. Lesen Sie hier mehr.
Müsli: Gesundes Frühstück aus der Schüssel
Vor mehr als 100 Jahren erfand ein Schweizer Arzt das Trendfrühstück von heute: Müsli. Doch Vorsicht: Viele sind viel zu süß. Lesen Sie hier mehr.
Rösten: Der Kaffeebohne das perfekte Aroma entlocken
Besuch in der Kaffeerösterei „Rubens“ in Essen-Rüttenscheid: Hier duftet es mehrmals in der Woche nach Schokolade und Malz. So funktioniert es. Lesen Sie hier mehr.
Erklärt: Darum ist der Einkauf aus dem Hofladen so gesund
Hofläden sind die Sehnsuchtsorte der Großstädter. Viele Produkte wie Obst und Gemüse frisch vom Feld gelten als besonders gesund. Lesen Sie hier mehr.
Pressung, Siegel, Fettsäuren: Woran man gutes Öl erkennt
Die Preise für eine Flasche Öl können stark variieren. Ein Experte erklärt, wie man gute von schlechten Fetten unterscheidet. Lesen Sie hier mehr.
Alles, was Sie über Hülsenfrüchte wissen müssen
Früher galten Erbsen, Linsen oder Bohnen als „Arme-Leute-Essen“. Aber Hülsenfrüchte sind nicht nur günstig, sie haben auch ganz andere Qualitäten. Lesen Sie hier mehr.
Smoothies und Chips: Warum selbst Stars den Grünkohl lieben
Gesundheitsbewusste Menschen auf der ganzen Welt sind wild auf Grünkohl. Sie erfinden das urdeutsche Gemüse neu und trinken es plötzlich sogar. Lesen Sie hier mehr.
Wie Kräuter helfen können, gesund durch den Winter zu kommen
Holunder bei Husten, Weißdorn fürs Herz: Kräuter können helfen, gesund durch den Winter zu kommen. Ein Spaziergang mit Dr. Carsten Grüneberg. Lesen Sie hier mehr.
Lecker und gesund – Wintergemüse neu entdeckt
Viele Wintergemüsesorten werden zu Unrecht verschmäht. Sie sind nicht nur gesund, sondern haben auch in kulinarischer Hinsicht einiges zu bieten. Lesen Sie hier mehr.
Was ist dran an Sekt, Champagner, Crémant, Schaumwein & Co?
Die einzige Sektkellerei des Ruhrgebiets findet sich in Recklinghausen. Önologin Ingeborg Molitor arbeitet nach der „Methode Champenoise“. Lesen Sie hier mehr.
Fasten: Wann es schadet und was es mit dem Körper macht
Nicht nur zu Aschermittwoch liegt das Fasten voll im Trend. Es gibt etliche Methoden und Versprechen. Doch was ist wirklich dran? Hier finden Sie einen Überblick.