Recklinghausen. . Nun hat auch Recklinghausen eine Einkaufsgalerie. Das “Palais Vest“ wurde an diesem Dienstag eröffnet. Es ist Sinnbild auch für den Konkurrenzkampf um Käufer in den Städten im Revier. Seit 2008 hat das Ruhrgebiet allein an Einkaufsgalerien 350.000 Quadratmeter Einkaufsfläche hinzugewonnen. Zu viel?
Als Monja Zajusch mitbekommt, dass manche Leute gleich drei, vier, ja fünf der großen Gratis-Plastikbälle von „Toys“ mitnehmen, da kommt ihr ein karitativer Gedanke: Und sie nimmt zehn. Demnächst rollen die im Kindergarten St. Gertrudis, wo sie im Elternrat ist; aber jetzt müssen Zajus und ihre Freundin in dem ganzen Gedränge erst mal mit den zehn Bällen fertig werden. Und den vier roten Ballons von „dm“. Und den Rosen aus dem Nagelstudio. Und den Pröbchen aus der Apotheke.
Ganz abgesehen von den Sachen, die sie gekauft haben!
Durchweg gute Kritiken
Man ahnt es schon: Hier eröffnet eine Einkaufsgalerie. Das „Palais Vest“ in der Stadtmitte von Recklinghausen bekommt am Dienstag durchweg gute Kritiken. „Supergut! Viele Geschäfte, die in Recklinghausen gefehlt haben. Xenos, Toys, Mango,“ sagt Zajusch, die Frau mit den Bällen. Und Gerda Paepke findet’s „toll, rundum. Es gefällt mir, dass es überschaubar ist, das stört mich in Oberhausen und in Essen.“ In ihrem Oer-Erkenschwick „kriegt man nichts auf die Reihe“. Dann erzählt sie die Geschichte einer kleinen Einkaufsgalerie in Oer-Erkenschwick, aus der viele Mieter schon wieder verschwunden seien.
Auch interessant
Handel ist Wandel, schon klar; was das Palais mit der Recklinghäuser Altstadt macht, wird sich zeigen. Manche Geschäfte sind aus der Fußgängerzone in die Galerie gezogen und hinterlassen jetzt erstmal hässlichen Leerstand. Genauso aber sieht man an diesem Dienstag eine Geschäftsfrau neben dem Palais, die mit Gratis-Getränken einen Nebenfluss des Kundenstroms zu sich umlenken will; wenig weiter parkt ein Maler-Sprinter vor einem Ladenlokal, das es wirklich nötig hat.
76 der 120 Filialisten sind neu in der Stadt
Und dann ist da Karstadt Recklinghausen, zwei Fußminuten weg vom Palais und ständig von Schließungsgerüchten umflattert. Das Gebäude sieht aus, als gäbe es auch einen soliden Luftschutzbunker ab, und natürlich ist es vergleichsweise leer. Man muss gar nicht tief hineinhorchen, um zu merken, wie sie hier fühlen. Verkäuferin zu Verkäuferin: „Was ich da für Umsätze gemacht habe . . . das waren noch Zeiten . . . aber da waren auch die ganzen Verrückten noch nicht da.“ Eine alte Dame tritt hinzu, fragt nach Pralinen und gesteht ein bisschen schlechten Gewissens, dass sie jetzt im Palais gucken geht. „Gucken dürfen Sie“, sagt die Verkäuferin, „aber gekauft wird hier. Wir bleiben Ihnen erhalten.“
Auch interessant
Also zurück ins Palais. Stellenweise Geschiebe, dazwischen Reinigungswägelchen. Bepacktes Rausgehen, Erschöpfung sucht Sitzecken auf, „sollen wir in die Richtung gehen? – Ich dachte, wir wollten was essen?“ Genau da sitzt dann auch Nina Bader mit Leo (2) und Eleni (5), die geradezu eröffnungstagsmäßig erschöpft sind. Auch sie sagt: „Sehr viele Geschäfte, die wir hier noch nicht hatten.“ 76 der 120 Filialisten sollen neu in Recklinghausen sein, sagt der Betrieber „mfi“.
Freies Internet, extrabreites Parken, und die Toiletten sind kostenfrei
Das Positive: Sie geben sich hier Mühe mit dem Service. Es gibt freies Internet und Kinderwagen-Verleih, einen Anteil extrabreiter Parkplätze, Bildschirme mit Staumeldungen und Fahrplänen. Und die Toiletten sind kostenfrei, eine krude Vorstellung, die eigentlich Ende des letzten Jahrhunderts ausgestorben war. Sie haben drei Lichthöfe eingebaut, das sieht man selten in Einkaufsgalerien von Mittelstädten, und sie haben ein bisschen Gestaltung betrieben. Das Problem ist nur, dass die Marktschreier-Abteilung die Messlatte selbst noch höher hängt.
Auch interessant
„Palastähnliche Architektur“, „königliches Shoppen“ – naja. Das prahlerische Raunen vom Verkehrs-Chaos zum Eröffnungstag erweist sich als gegenstandslos. Und dann die Benennungen: „Spiegelsaal“, „Grüner Salon“ – alles etwas hoch gegriffen. Der Flügel zum Beispiel, wo sich in typischer Weise die Schnellimbisse ballen, heißt hier „Orangerie“ , man hört da praktisch schon: „Schatz, ich hol grad zwei Döner aus der Orangerie!“ Dazu passt, dass in einem italienischen Restaurant auf der Kinderkarte „Fritte rosso e bianco“ steht. Sie bekommen dann Pommes Schranke.
Demnächst die Rathaus-Galerie
„Mit dem heutigen Tag beginnt für unsere Altstadt eine neue Zeitrechnung“, sagt Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) in einer Videobotschaft aus dem Urlaub. Er hoffe, das Palais Vest werde „Kaufkraft binden und gewinnen“. Im Klartext: aus den Nachbarstädten holen. Das Problem daran ist: Die haben genau denselben Plan. Alle. In wenigen Wochen eröffnet in Hagen die ähnlich große „Rathaus-Galerie“ mit dem erklärten Ziel: Erweiterung des Einzugsgebietes.
Das neue "Palais Vest"